Ratatatata! Endlich ein bisschen Rennstrecken-Feeling, denke ich, als der Schlagschrauber in der Box die idyllische Ruhe auf dem CEERTA Racetrack im französischen Issoire durchbricht. Noch einmal: Ratatatata! Ah, so muss Motorsport klingen. Rad dran. Wieder Stille. Aber nicht die Sorte trügerischer Ruhe, bis der V8-Motor eines Rennwagens ohrenbetäubend angelassen wird, kurz bevor es raus auf die Strecke geht. Nein, an diesem Tag bleibt es weitestgehend ruhig.

Das kann nur eines bedeuten: Motorsport-Magazin.com war mal wieder für euch auf Tour, diesmal in spezieller Mission. Testfahrten der neuen Formel E, der Elektro-Serie, die im September 2014 in ihre erste Saison startet. Eines vorweg: Ich war äußerst skeptisch, als ich erstmals von dem Projekt hörte. Eine Rennserie ohne Sound? Ohne richtigen Motor? Das klingt wie Fußball ohne Ball. Wie Red Bull ohne Flügel.

In der Realität sieht der Formel E wesentlich größer aus als auf Bildern, Foto: Michelin
In der Realität sieht der Formel E wesentlich größer aus als auf Bildern, Foto: Michelin

Vorurteile eines V8-Fans

Ja, ich oute mich hier öffentlich als bekennender V8-Fan. Freund der Viel-Zylinder. Elektro ist für die Küche oder von mir aus den Rasenmäher, aber doch nicht für ein Rennauto... Mit diesem Vorurteil im Gepäck mache ich mich auf nach Frankreich - wie passend: Geburtsstätte der Revolution -, wo Reifenausstatter Michelin Testfahrten mit dem neuen E-Renner namens Spark-Renault SRT_01E durchführt.

Und dann auch noch das: Der Formel E kommt nicht etwa auf den üblichen Slicks daher. Nein, die Franzosen setzen hier auf richtige Reifen mit 18-Zoll-Felgen. Mehr unbehagliche Skepsis macht sich in mir breit. Das hat mit Motorsport doch nichts zu tun, murmele ich in mich hinein. Rennreifen mit Rillen. Das ist doch wie Damenvolleyball mit Ganzkörperbekleidung. Wie Formel-1-Auto mit Becherhalter.

Sieht so die Zukunft des Motorsports aus?, Foto: Michelin
Sieht so die Zukunft des Motorsports aus?, Foto: Michelin

Umdenkprozess dank Prost

Das Schöne an Vorurteilen: Manchmal kommt einer daher, der es besser weiß. In meinem Fall ist das Alain Prost. Vierfachweltmeister. F1-Ikone. Der muss doch wissen, was richtiges Racing ist. "Die Menschen müssen endlich aufhören, immer Vergleiche zur Formel 1 zu ziehen", erklärt er mir mehrfach eindringlich während unseres Gesprächs am Rande der Testfahrten. Klar, Alain ist Markenbotschafter bei Renault, sogar Teammitbesitzer in der Formel E. Was soll der auch anderes sagen, denke ich erst.

Ich gönne mir eine kurze Denkpause und genieße die friedliche Ruhe, als der Formel E fleißig seine Runden direkt vor meinen Augen dreht. Hat Alain vielleicht sogar Recht? Oder auch die Michelin-Leute, die ebenfalls seit zwei Tagen predigen, man dürfe die Formel E nicht mit der Formel 1 vergleichen?

In mir beginnt langsam aber stetig ein Umdenkprozess. Welches Recht nehmen wir uns heraus, neue Dinge immer an etablierten messen zu müssen? Wer hätte sich früher vorstellen können, den Sportteil nicht in der Zeitung, sondern auf einem Tablet zu lesen? Urlaubsbilder mit dem Handy zu knipsen statt die Polaroid-Kamera auszupacken? Das eigene Auto an der Steckdose zu laden statt Sprit reinzukippen? Fragen über Fragen, die Selbstzweifel in mir aufkommen lassen.

Alain Prost erzählt uns in Issoire interessante Dinge, Foto: Michelin
Alain Prost erzählt uns in Issoire interessante Dinge, Foto: Michelin

Skepsis ist angebracht

Die Welt bleibt nicht stehen. Der Sport tut es ebenso wenig. Zu dieser eigentlich offensichtlichen Einsicht komme ich nach dem Ausflug in die neue Welt der Formel E. Wie kann ich mir anmaßen zu fordern, dass Motorsport gefälligst laut zu sein hat? Nur, weil das früher ja auch so war? War die Formel 1 früher besser, als es wöchentlich Todesfälle wegen der mangelnden Sicherheit gab? Fragen Sie mal Alain Prost...

Ob die Formel E eine schöne neue Welt ist, weiß ich noch nicht. Das Konzept mit Stadtrennen, bekannten Namen und kostenlosem Eintritt klingt viel versprechend. Ob die Serie es aber schafft, genügend Popularität und die Herzen der Fans zu erreichen, kann niemand vorhersehen.

Michelin führte in Issoire Reifen-Tests im Nassen durch, Foto: Michelin
Michelin führte in Issoire Reifen-Tests im Nassen durch, Foto: Michelin

Der Formel E eine Chance geben

Was ich nach den Eindrücken aus Issoire aber mit Sicherheit sagen kann: Wir sollten uns nicht vor Neuem verschließen, sondern der Formel E eine faire Chance geben. Skepsis ist bei Unbekanntem immer angebracht, aber bitte in einem gesunden Maße.

Mit dieser Erkenntnis checke ich am Flughafen bequem per Handy-Ticket ein, rufe auf dem Weg zum Flieger noch schnell meine Mails am Smartphone ab und muss dabei ein wenig über mich selbst lachen, wie verbohrt ich der neuen Formel E doch zu Beginn gegenüber gestanden habe...