Die Silberpfeile von Mercedes-Benz feiern im Jahr 2009 ihr 75-jähriges Jubiläum. 1934 eroberten sie erstmals die Rennpisten der Welt. Ihre Fahrer sind Legenden, Namen wie Rudolf Caracciola und Manfred von Brauchitsch klingen noch heute in den Ohren der Rennsportfans. Doch die Silberpfeile von damals rollten ebenso wenig wie heute ihre modernen Nachfolger auf eigener Achse zu den Rennpisten.

Die empfindlichen Hochleistungsfahrzeuge, egal ob Formel 1 oder Tourenwagen, benötigen eine perfekte Infrastruktur. Ohne Renntransporter keine Rennen und keine Rennsiege. Mancher Renntransporter mit Stern ist sogar nicht weniger spektakulär als die Rennwagen auf seinem Rücken. Im

Fahrerlounge im modernen Renntransporter

Treffen der Generationen: Renntransporter aus drei F1-Ären., Foto: Mercedes-Benz
Treffen der Generationen: Renntransporter aus drei F1-Ären., Foto: Mercedes-Benz

Vorn im Hals des Aufliegers öffnet sich hinter einer Glastür eine ganz andere Welt: Hier ist der Aufenthalts- und Rückzugsraum für die Rennfahrer. Im aufgeräumten Spind ist oben Platz für den Helm, unten stehen die Rennfahrerschuhe, dazwischen hängt die Rennmontur. Eine gemütliche Rundsitzgruppe lädt zum Entspannen ein, im Kühlschrank warten temperierte Getränke.

Renntransporter von heute sind nicht nur Transportmittel, sondern auch eine gepflegte Lounge. Ganz so fein hatten es die Vorgänger der aktuellen Rennfahrer in den Silberpfeilen der dreißiger und fünfziger Jahre nicht, ihnen würde der Renntransporter des Jahres 2009 wie von einem anderen Stern erscheinen.

Klangvoller Sound aus 18 Zylindern

Auch wenn das Orchester nur aus drei Mitgliedern besteht, sein Sound geht tief unter die Haut. Versammelt sind 18 Zylinder, verteilt auf drei Lkw. Im Vordergrund der hell-nervöse und feinnervige Klang eines Dreiliters aus dem legendären Sportwagen Mercedes-Benz 300 SL von 1955. Ergänzt vom Schnorcheln eines knorrigen Vierzylinder-Benziners aus den dreißiger Jahren. Im Hintergrund grollt kraftvoll der mächtige V8-Turbodiesel im Schwer-Lkw Mercedes-Benz Actros des Jahrgangs 2009, sein Bass basiert auf 15,9 Liter Hubvolumen. Drei Lkw sind versammelt, so grundverschieden wie ihre Baujahre. Gemeinsam ist ihnen ihre Aufgabe: Es handelt sich um Renntransporter für die Silberpfeile von Mercedes-Benz.

Bereits vor rund 75 Jahren die Nummer eins - neu aufgebauter Mercedes-Benz Lo2750 im Original-Stil der Rennabteilung in den dreißiger Jahren., Foto: Mercedes-Benz
Bereits vor rund 75 Jahren die Nummer eins - neu aufgebauter Mercedes-Benz Lo2750 im Original-Stil der Rennabteilung in den dreißiger Jahren., Foto: Mercedes-Benz

Die drei Generationen des Familientreffs bestätigen die These, dass der Nachwuchs seinen Vorfahren über den Kopf wächst. Hoch ragt der aktuelle Actros auf, mitsamt Sattelauflieger streckt er sich auf 16,5 Meter Länge und vier Meter Höhe. Vor diesem Riesen wirken seine Vorfahren geradezu zierlich und schrumpfen zu Spielzeugformat.

Da wäre der Mercedes-Benz Lo 2750 aus den dreißiger Jahren mit geschwungenen Kotflügeln, einem kantigem Fahrerhaus und chromblitzender Kühlermaske mit stolz aufgepflanztem Stern. Seine Typenformel geht auf die Tragfähigkeit zurück: Damals zählte er als Zweidreiviertel-Tonner, was in etwa seiner Nutzlast entspricht. Heute würde man den Lo 2750 nach seinem zulässigen Gesamtgewicht als 6,5-Tonner deklarieren.

Der dritte im Bunde muss auf eine offizielle Bezeichnung verzichten. Er benötigt auch keinen Namen, denn bekannt ist er unter seinem Spitznamen: "Das Blaue Wunder". Warum der berühmte Renntransporter des Jahres 1955 so heißt, macht die geduckte blaue Karosserie mit nach vorn verlegtem Fahrerhaus in all ihrer Schnittigkeit auf Anhieb klar: Hier hat sich ein Sportwagen als Renntransporter verkleidet.

Das Blaue Wunder

Die Replica des blauen Wunders wurde nach Originalfotos aus den fünfziger Jahren gebaut., Foto: Mercedes-Benz
Die Replica des blauen Wunders wurde nach Originalfotos aus den fünfziger Jahren gebaut., Foto: Mercedes-Benz

Den schnellen Renntransporter hatte der Prototypenbau von Mercedes-Benz auf Wunsch des unvergessenen Rennleiters Alfred Neubauer eigens für besonders eilige Frachten entwickelt. Die einzigen Vorgaben: Er sollte schnell sein und einen Grand-Prix-Rennwagen oder einen Rennsportwagen befördern können. Ergebnis ist ein einzigartiges Fahrzeug, das damals wie heute fasziniert. Die Plattform bildet der verlängerte Rohrrahmen des Luxus-Coupés Mercedes-Benz 300 S. Den leistungsfähigen Motor - schon mit Benzin-Direkteinspritzung - steuert der Sportwagen 300 SL bei, Karosserieteile wie die Türen und Kotflügel sowie Elemente der Ausstattung kommen von der gutbürgerlichen Limousine Mercedes-Benz 180.

Es muss ein imponierendes Bild gewesen sein, wenn der Renntransporter mit seiner kostbaren Fracht über die Autobahn zog: Ein 6,75 Meter langer Transporter, zwei Meter breit, dazu mannshoch, extravagant geformt und für die damalige Zeit unerhört schnell unterwegs.

Nach dem Rückzug von Mercedes-Benz Ende 1955 aus dem Rennsport dient der Renntransporter zunächst als Ausstellungsfahrzeug in den USA, dann verrichtet er zehn Jahre lang Arbeit im Fahrversuch von Mercedes-Benz. Rudolf Uhlenhaut, zur "aktiven" Zeit des Renntransporters Leiter der Rennabteilung und später Vorstand, lässt das Unikat 1967 verschrotten.

Großer Preis von Schweden, Kristianstad, 07.08.1955. Mercedes-Benz Renntransporter Das blaue Wunder mit einem Rennsportwagen des Typs 300 SLR (W 196 S) auf der Ladefläche., Foto: Mercedes-Benz
Großer Preis von Schweden, Kristianstad, 07.08.1955. Mercedes-Benz Renntransporter Das blaue Wunder mit einem Rennsportwagen des Typs 300 SLR (W 196 S) auf der Ladefläche., Foto: Mercedes-Benz

Jahrzehnte später baut Mercedes-Benz den spektakulären Renntransporter nach alten Fotos wieder neu auf. Er lässt die Zeiten von Rennsportlegenden wie Juan Manuel Fangio, Stirling Moss, Karl Kling, Hans Herrmann und anderen wieder wach werden. Vom Grand-Prix-Rennwagen Mercedes-Benz W 196 und dem Rennsportwagen 300 SLR, die der Renntransporter auf seinem Rücken trug. Es sind Siegerfahrzeuge: Mercedes-Benz gewinnt 1955 die Weltmeisterschaft der Formel 1, die Markenweltmeisterschaft der Sportwagen und die Tourenwagenmeisterschaft von Europa.

1934: Lkw übernehmen den Transport

Den fahrgast- und ladefreundlich niedrigen Rahmen hatte Mercedes-Benz bereits in den zwanziger Jahren entdeckt und später als Plattform für Renntransporter genutzt. Schon 1934 im Geburtsjahr der Silberpfeile übernehmen Lastwagen den Transport. In großen weißen Lettern steht stolz "Mercedes-Benz Rennabteilung" auf der hölzernen Bordwand des Lo 2750, so die nüchterne Bezeichnung des Renntransporters.

Der zeitgenössische Prospekt verspricht optimistisch eine "reiche Ausstattung". Er meint damit unter anderem: "An der Armaturentafel befinden sich die Schaltapparate für Beleuchtung, elektrische Winker, ferner Geschwindigkeitsmesser mit Kilometerzähler, Ölkontrollanzeiger, Brennstoffregulierung, Glüh- und Anlassschalter, Stecker für Handlampe." Komfort im heutigen Sinne kennt der Lo 2750 nicht.

Mercedes-Benz Renntransporter Das blaue Wunder mit einem Rennsportwagen Typ 300 SLR (W 196 S) auf der Ladefläche., Foto: Mercedes-Benz
Mercedes-Benz Renntransporter Das blaue Wunder mit einem Rennsportwagen Typ 300 SLR (W 196 S) auf der Ladefläche., Foto: Mercedes-Benz

Aber die Renntransporter dieses Typs transportieren Siegerfahrzeuge: Der neue Silberpfeil W 25 mit Kompressormotor siegt im Juni 1934 beim Internationalen Eifelrennen auf dem Nürburgring. Auftakt einer Siegesserie, die bis 1939 anhalten wird. Die Renntransporter sind stets dabei, nach Siegen paradieren sie stolz mit den Silberpfeilen auf der Ladefläche.

Das abgebildete Modell basiert auf einem zeitgenössischen Lastwagen von 1936. In aufwendiger Restaurierungsarbeit wurde der ehemalige Wassersprengwagen der Stadtreinigung München nach historischen Vorlagen exakt zum Renntransporter umgebaut. Jetzt blinkt der Stern auf der Kühlermaske so stolz in der Sonne, als hätte der Lkw tatsächlich die historischen Siege von Rudolf Caracciola, Manfred von Brauchitsch, Hermann Lang und Luigi Fagioli begleitet.