Die Hackordnung war von Beginn an klar: In der linken Ecke der strahlende Held. Sebastian Vettel, Sensationssieger in einem Toro Rosso, das größte Talent seit einem Jahrzehnt. Der kommende Weltmeister. In der anderen Ecke der designierte Nummer 2-Pilot. Mark Webber, konstant schnell, aber bisher auch konstant erfolglos, dazu ein kleiner Freizeitunfall, der ihn wochenlang zur Untätigkeit zwang, während der junge Newcomer im Winter sich einen massiven Testvorsprung herausfahren konnte. Ich weiß, die Vergleiche hört Sebastian nicht so gerne. Aber die Situation war exakt wie mit Michael Schumacher vs. Martin Brundle einst bei Benetton. Mehr Rückenwind auch aus den eigenen Reihen kann man sich als Fahrer nicht wünschen.

Webbers Karriere soll nicht im Sand verlaufen., Foto: Red Bull
Webbers Karriere soll nicht im Sand verlaufen., Foto: Red Bull

Sieben Rennen und über zwei Monate nach dem Saisonstart ist Mark Webber immer noch am Leben. Und wie! Und das hängt weniger damit zusammen, dass Vettel ein Versager ist. Im Gegenteil. Sebastians Mimik und Gestik nach der Türkei-Pole war zu hundert Prozent die eines Champions, der zum Erfolg bereit ist. Auch dazu, die Gegner zum Frühstück zu verspeisen, wenn's nötig ist. Und die Enttäuschung nach Rang drei und die Kritik am Team sagt wohl auch alles.

Da sind zwei absolute Alpha-Tiere in einen zu kleinen Käfig gesperrt worden. Klassisches Red Bull-Programm. Der Stärkere möge gewinnen. Tatsache ist, dass Mark Webber sich nicht kampflos ergeben hat. Und auch nicht gedenkt, dies in Zukunft zu tun. Dreimal in Serie hatte der Australier zuletzt die Nase vorne. Dreimal hat er Vettel "fair and square" auf der Piste besiegt. In Barcelona und Istanbul kam er vor ihm ins Ziel, in Monaco war er ohnehin in einer anderen Liga. Dabei war da noch nicht mal ein Regenrennen dabei. Denn da wird der Australier genauso wie Vettel erst richtig gut.

Webber kämpfte sich nach seinem Fahrradunfall zurück., Foto: Red Bull
Webber kämpfte sich nach seinem Fahrradunfall zurück., Foto: Red Bull

Wie gut ist Webber wirklich? Ich habe seinen Weg seit der Formel 3000 genau verfolgt. Ich kenne seinen Dad ein bisschen. Wir haben öfters miteinander Zeit verbracht, gefrühstückt und so weiter, seit er noch zu Mika Häkkinens Zeiten einen Arrows testen durfte. Und der Apfel fällt tatsächlich nicht weit vom Stamm. Die Typen haben einfach keine Nerven. Die Art von Mensch, neben denen man sogar in einem Fluss mit Krokodilen schwimmen gehen würde. Denn die sehen immer so aus, als wüssten sie schon, was sie tun. Und sie haben eine unglaublich bodenständige Art, die der Formel 1 so fehlt. "Tja, Jenson konnte da vorne anscheinend in Ruhe ein paar Rothman's rauchen, so überlegen war der Brawn", gab er nach Platz 2 in Istanbul zu Protokoll. Welchen belanglosen Quatsch hätten da andere in dieser Situation wohl von sich gegeben?

Mark Webber ist ein wichtiger Stabilitätsfaktor bei Red Bull geworden. Er kann das, was Sebastian Vettel (noch) nicht kann, und was das Technikerteam noch lernen muss. Er kennt die Strategiespiele, alle Eventualitäten eines Grand Prix, er hat die Erfahrung. Trotzdem ist er hungrig wie am ersten Tag. Und er entscheidet immer rational und nie emotional. Deswegen sind seine Strategien im Normalfall heuer auch aufgegangen.

Mark Webber: Durchbruch oder verlorene Generation?, Foto: Red Bull
Mark Webber: Durchbruch oder verlorene Generation?, Foto: Red Bull

Die andere Seite der Medaille: Erst Sebastian Vettel hat Webber dazu gebracht, seine Leistungen so abzurufen. Es mag vielleicht ein hartes Urteil sein (und falls es noch nicht aufgefallen ist - ich mag Mark Webber sehr!), aber im Laufe seiner Karriere hat er sich immer dem Leistungsniveau seines Teamkollegen angepasst: Bei Williams war er so gut wie Heidfeld, bei Jaguar immer auf oder knapp über dem Level von Pizzonia oder Klien. Und Coulthard war als angehender Rentner für ihn öfter ein echter Prüfstein als ihm lieb war.

Erstmals sitzt er nun in einem Auto, das das Potenzial zum Sieg hat. Und ich wünsche es ihm, dass er endlich diesen ersten Grand Prix-Sieg einfahren kann. Den wichtigsten Schritt dazu hat er in den letzten Rennen gesetzt: die internen Duftmarken zu setzen. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, eher gewinnt Webber im Red Bull heuer noch ein Rennen als Barrichello im Brawn. Es wäre auch an der Zeit. Sonst wird er in die Geschichte eingehen als klassischer Vertreter der "verlorenen Generation" des dritten Jahrtausends - hochtalentiert, aber entweder schlecht beraten oder einfach kein Glück in der Cockpitwahl. Ich meine damit die Generation der Heidfelds, de la Rosas, Fisichellas, Ralf Schumachers, Rosbergs, Davidsons, Trullis, Satos, Montoyas - potenzielle Weltmeister mit ausgebauter Erfolgsgarantie. Bis vor ein paar Wochen hätte ich auch Jenson Button ohne Zögern in diese Liste aufgenommen. Aber manchmal geschehen in der Formel 1 halt doch noch Wunder...