Alles begann mit einem langen Hals. "Der Speed zieht ordentlich am Helm, da wird der Hals beim Bremsen schon ein bisschen länger", gestand ein junger Formel 1-Testpilot namens Sebastian Vettel nach seiner ersten Ausfahrt auf dem Traditionskurs von Monza. Damals, im Jahr 2006, kannte er das Autodromo di Nazionale nur aus dem Fernsehen.

Entsprechend nutzte er seinen ersten Besuch als F1-Testfahrer zum Sightseeing. Besonders viel Ehrfurcht entwickelte er vor der altehrwürdigen Steilwandkurve. "Ich kam zu Fuß kaum hoch, man kann sich nicht vorstellen da zu fahren", sagte der ehrfürchtige F3-Pilot. "Das sieht absolut brutal aus, aber früher sind sie da nicht nur schnell gefahren, sondern haben sich auch noch gegenseitig überholt!"

Tanz mit dem Stier

Niki Lauda ist nicht mehr auf dem alten Kurs mit Steilwandkurven gefahren, doch zwei Jahre nach Vettels erstem F1-Kontakt mit Monza sollte ihn der dreifache Weltmeister genau dort zum Ritter schlagen: "Es gibt nur ein Thema hier: das ist Vettel." Der hatte gerade das Unmögliche möglich gemacht: nach seiner ersten Pole Position am Vortag holte er sich seinen ersten Grand Prix-Sieg - in einem Toro Rosso.

Sebastian Vettel gewann seinen ersten Grand Prix., Foto: GEPA
Sebastian Vettel gewann seinen ersten Grand Prix., Foto: GEPA

"Heute war so ein Tag, an dem alles zusammengepasst hat. Es war der schönste Tag in meinem Leben", sagte Vettel mit einem Strahlen im Gesicht. "Ich habe jede Runde genossen." Obwohl er sich jederzeit bewusst war, dass der kleinste Fehler das Aus hätte bedeuten können. "Das geht ruckzuck", wusste er. Wie bei seinem Quersteher in Runde 8. "Ich war einen Tick zu schnell", erklärte er. "Unter diesen Bedingungen muss alles stimmen. Der Bremspunkt, das Dosieren beim Bremsen, das Gasgeben, das Einlenken. Im Regen ist man mehr am Tanzen mit dem Auto."

Im Trockenen rutsche man bei so einem Fehler nur ein Stückchen weiter neben die Linie, verliere etwas Zeit und keiner bemerke etwas. "Im Regen kann man sich dann leicht drehen", so Vettel. "Ich war sehr knapp dran, aber es gab noch andere solche Momente, von denen keiner etwas mitbekommen hat." Im Laufe des Rennens griff er immer mehr an, wurde immer schneller und hatte sogar Zeit, die Wettervorhersagen seines Teams selbst zu überprüfen.

Mit der Hand im Regen

"Ich habe jede Runde aufs Neue probiert, mehr herauszuholen", erinnerte er sich. Aber er wusste nicht, wo es nasse Stellen gab, wo er die Reifen kühlen konnte, damit sie nicht so stark abbauten und ob der angekündigte Regen tatsächlich noch kommen würde. "Also habe ich ab und zu die Hand aus dem Cockpit gehalten und geschaut, wie stark der Regen war", erzählte er den staunenden Journalisten. "Ja, ehrlich. Ich hatte Regentropfen auf meinem Visier und wollte wissen, wie fest die Tropfen sind. Es gibt ja genügend Geraden hier..."

Zwei Jahre zuvor hätte er sich das nicht getraut, hätte er jemanden, der sich so etwas traut, für genauso wahnsinnig gehalten wie die tollkühnen Piloten längst vergangener Steilwandtage. "Bei 340 km/h ist es nicht möglich, mal schnell aus dem Cockpit zur Seite zu schauen und jeden Grashalm zu erkennen", sagte Vettel nach seiner ersten Bekanntschaft mit dem königlichen Park von Monza im Jahr 2006. "Wenn da einer seinen Bremspunkt an einem Grashalm ausmacht: Respekt!" Gleiches gilt wohl für jemanden, der bei diesen Geschwindigkeiten, dieser Anspannung und diesen Bedingungen die Hand aus dem Cockpit streckt, um die Stärke des Regens zu prüfen - Respekt!

Lob von den Größten

Seit Vettels erstem Monza-Besuch 2006 ist viel Zeit vergangen., Foto: Sutton
Seit Vettels erstem Monza-Besuch 2006 ist viel Zeit vergangen., Foto: Sutton

Diesen Respekt zollten Vettel nach seinem Debütsieg alle im Fahrerlager. "Er hat vom Freitag bis Sonntag sein Meisterstück abgeliefert", lobte Lauda, der an diesem Wochenende nur ein Highlight sah, nämlich Sebastian Vettel. "Es war für mich ein emotional ergriffener Sieg, weil er hier mit einer super Leistung mit dem kleinsten Team gegen die Großen dominiert hat." Aber noch wichtiger war: "Es war kein Zufallsrennen, es war hart erarbeitet."

Genau deswegen wiederholte Vettels Teambesitzer Gerhard Berger seine Zukunftsprognose für den jüngsten Pole-Inhaber und jüngsten GP-Sieger aller Zeiten: "Er hat gezeigt, dass er Rennen gewinnen kann. Und so wie er die Sache angeht, wird er auch Weltmeisterschaften gewinnen." Auch Vettels ehemaliger Boss Mario Theissen zog seinen Hut. "Sebastian hat mit einer fehlerlosen, tollen Leistung das Ding souverän nach hause gefahren. Große Klasse."

Und auch der Mann, der vor Vettel als letzter Deutscher einen Grand Prix gewann, lobte seinen Nachfolger in den höchsten Tönen: "Das was Sebastian heute vorgeführt hat, war 1A", sagte Michael Schumacher. "Bei diesen Wetterumständen keine Fehler zu machen, das Rennen von vorneherein zu dominieren, in einem Auto, was nicht unbedingt dafür vorgesehen ist, Rennen zu dominieren, das zeichnet das Ganze noch mehr aus."

Urschrei

Vettel ging damit um wie ein Profi. Schon zehn Runden vor dem Ende bemerkte er, dass es mit seinem ersten Sieg klappen könnte. Aber er riss sich zusammen, lenkte sich mit schnellem Autofahren ab und konzentrierte sich bis zu Zielflagge. "Erst als ich die Flagge gesehen habe, habe ich es geglaubt."

Dann war er sprachlos: "Ich wusste nicht, was ich sagen sollte." Also ließ er erst das Team sprechen, sich noch einmal von seinem Ingenieur bestätigen, was vor zwei Jahren, ja sogar vor zwei Tagen noch völlig utopisch erschien: er hatte den Großen Preis von Italien gewonnen. "Dann habe ich mich ganz benommen beim Team bedankt und losgeschrien." Alles begann mit einem langen Hals und endete mit einem lauten Schrei.