Wenn man die Leidenschaft eines Landes, den Enthusiasmus einer Nation einfangen will, helfen Zahlen nur bedingt. Indien hat das am schnellsten wachsende Bruttosozialprodukt der Welt, über 400 Millionen Menschen in der wichtigen Mittelklasse, einen riesigen Markt von 1,2 Milliarden Einwohnern. Vijay Mallya braucht keine dieser Zahlen, keine Statistik und keine Powerpointpräsentation, um die Leidenschaft seiner Heimatnation zu beweisen. Er lässt die Begeisterung für seine neueste Errungenschaft für sich sprechen: Force India F1. Indien ist auf der F1-Weltkarte aufgetaucht, jetzt soll es auch auf der Wirtschaftslandkarte verankert werden.

Indien wird gerne, aber zu unrecht mit Armut, einem Entwicklungsland gleichgesetzt. "Wir haben enorme Probleme mit der großen Einwohnerzahl", bestätigt Mallya. Der Ursprung liegt weit in der Vergangenheit. "Alexander der Große hat Indien erobert, auch die Briten, sie fuhren nicht um die halbe Welt, um dort Armut vorzufinden", sagt Mallya. Sie kamen wegen der Reichtümer des Landes, wegen der Bodenschätze.

Willkommen in Vijays Reich., Foto: Sutton
Willkommen in Vijays Reich., Foto: Sutton

Die britische Krone ist mit Diamanten aus Indien besetzt, die East India Company war der Beginn großer weltumspannender Unternehmen. Doch in den vergangenen 40-45 Jahren lief etwas schief. "Ein Managementfehler", analysiert der Manager Mallya. Man habe die Unabhängigkeit erhalten, aber den Preis der Demokratie bezahlt. Für alles musste ein Konsens gefunden werden, alles dauerte länger. Das politische Missmanagement bedingte fehlende Bildungsinvestitionen; das Bevölkerungswachstum geriet außer Kontrolle. Von den 1,2 Milliarden Einwohnern leben die meisten in Armut, aber kaum jemand von ihnen muss Hunger leiden. Sie haben nicht die lebensbedrohlichen Probleme wie die Menschen in Afrika, sie liegen 'nur' unter der offiziell anerkannten Armutsgrenze.

Bis zum Jahr 2020 soll dieser Missstand behoben sein. "Dann gibt es keine Armut mehr in Indien", prophezeit Mallya. Dann bietet sich den Konzernen der Konsumwelt eine riesige Zielgruppe, ein riesiger neuer Markt. "Indien ist ein wachsender Wirtschaftsmarkt", weiß GP2-Pilot Karun Chandhok. "In den letzten fünf Jahren gehörten 400 Millionen Menschen der Mittelklasse an - das ist mehr, als die Einwohner etlicher europäischer Länder zusammengenommen."

Aber nicht nur das. Es gibt 400 Millionen Menschen unter 20 Jahren, wenn diese ihr Studium abschließen und ins Berufsleben wechseln, wird niemand mehr von Armut sprechen, nur noch von der "einzigartigen indischen Chance", ist Mallya sicher. "Bislang sind die Leute nur Motorrad oder Motorroller gefahren", fügt Chandhok hinzu, "aber jetzt können sie sich Autos leisten." Und Fernseher. Und Digitalkameras. Und Blueray-Player. Und Designermode. Und... "Es wird zu einer völlig neuen Konsumsituation kommen."

Indien befindet sich im Wandel. Vor 20 Jahren gab es genau einen Fernsehsender, der staatlich kontrolliert wurde. "Jetzt sind es über 200", verrät Mallya. "Sie beeinflussen den Lifestyle der Jugend, sind der Motor der neuen Wirtschaft." Das Land stecke voller Enthusiasmus, voller Möglichkeiten - und beides nehme weiter zu. "Indien ist keine Bananenrepublik, sondern eine riesige Nation, in der gerade 300-400 Millionen potenzielle Kunden aufwachsen."

Das Interesse der Formel 1-Teams und Automobilhersteller ist also verständlich. "Was in Indien passiert, ist ähnlich wie in China", sagt Mario Theissen. Nicht nur der BMW-Motorsportdirektor sieht in diesen beiden Ländern die größten zukünftigen Märkte der Welt. "Das wird nicht nur Automobilhersteller anziehen, sondern auch große Unternehmen und Sponsoren, die in diesem Land Geschäfte machen wollen." Auch Toyota Motorsport-Präsident John Howett kann es kaum erwarten, dorthin zu kommen. "Alle Hersteller müssen an Indien interessiert sein", sagt er. "Bis zum ersten Grand Prix 2010 scheint es eine lange Zeit zu sein, aber wir werden dort sein." Und hunderte Millionen potenzieller BMW- und Toyota-Fahrer auch.

Die F1 kommt nach Indien., Foto: Hartley/Sutton
Die F1 kommt nach Indien., Foto: Hartley/Sutton

Oder interessiert es die Inder gar nicht, wenn 22 Autos im Kreis fahren? "Crickett ist in Indien mehr Religion als Sport", macht sich Mallya nichts vor. Einen Vergleich mit dem hierzulande wenig verbreiteten indischen Nationalsport verliert die Königsklasse des Motorsports deutlich - noch. "Die neuen, jungen Inder wollen sich von der Masse abheben", beginnt Mallya. "Der Inder will seinen Erfolg zeigen, sich von den anderen differenzieren - an diesem Punkt kommt der Wert der Formel 1 ins Spiel." Vor vier bis sieben Jahren war die Formel 1 noch zu teuer, zu glamourös, komplett außer Reichweite für die indische Bevölkerung. "Damals dachten alle: Dahin kommen wir niemals." Jetzt hat Indien ein eigenes F1-Team, ein Grand Prix steht in den Startlöchern und die ersten Fahrer haben schon auf sich aufmerksam gemacht.

"Als ich das Team kaufte, dachten die meisten, dass es ein weiteres teures Hobby sei", so Mallya, der sich mit Force India F1 von den anderen abhebt, aber dennoch immer wirtschaftliche Ziele verfolgt. "Es ist kein teures Hobby, sondern ein extrem guter Wirtschaftsplan." Nach der Bekanntgabe der Teamübernahme durch Mallya stiegen die TV-Quoten der F1-Übertragungen um 60%. Die Force India Webseite hatte am ersten Tag nach dem Launch 150.000 Seitenaufrufe, bis Saisonende waren es über eine Million - obwohl nur ein "under construction"-Hinweis zu sehen war. Vier unabhängige Blogs berichten regelmäßig über die Tests des Teams. "Es gibt ein riesiges Interesse. Das indische Feuer hat das Potenzial einer Atombombe." Die Kraft der indischen Bombe soll schon bald entfesselt werden.