Formel 1-Teamchefs und Formel 1-Fans stimmen nicht immer in ihren Meinungen überein, die Teamchefs stimmen sich oft noch nicht einmal untereinander zu. In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: es muss mehr Überholmanöver geben. Der Weg dazu soll allzu oft über eine Beschneidung der Aerodynamik führen, es gibt sogar eine eigene Überholkommission, die neue Aerodynamikregeln austüfteln soll, um Überholmanöver zu fördern. "Aber die Aerodynamik zu reduzieren, ist nicht die allumfassende Antwort", betont Renault-Chefingenieur Pat Symonds. "Einige der Dinge, die wir gemacht haben, haben das Überholen sogar noch schwieriger gemacht." Dennoch sieht er die Formel 1 mit dem neuen Reglement für 2009 auf dem richtigen Weg.

FIA-Technikmann Tony Purnell hat einen Traum. Er weilte vor einiger Zeit bei einem Legend Race in Brands Hatch; was er dort zu sehen bekam, ließ seine Kinnlade herunterklappen: "Wow, das war Racing - die Fahrernamen waren nicht so berühmt wie in der Formel 1, aber wenn wir so ein Racing erreichen, können sich die Fans vom Fernseher gar nicht mehr losreißen." Das wird erst recht der Fall sein, wenn die Autos sich nicht nur gegenseitig überholen, sondern auch wieder mit Slicks fahren. "Die Autos sehen besser aus - eben wie richtige Rennautos", bestätigt Honda-Boss Nick Fry. "Die Slicks bieten mehr Grip, zusammen mit der exzellenten Arbeit der Überholgruppe könnte das etwas bringen."

Pat Symonds ist Mitglied dieser Gruppe, glaubt aber nicht so recht an die profillose Wunderwaffe. "Die Slicks machen die Rennen nicht automatisch besser", gibt er zu bedenken. Purnell stimmt ihm zu. "Sie machen wenig Unterschied, es gibt mehr Grip, aber mehr Grip nimmt den Einfluss des Fahrertalents weg." Slicks werden vor allem deswegen wieder erlaubt, weil sie den Downforceverlust der neuen Regeln ausgleichen sollen. "Wenn der Fahrer eine größere Rolle spielt, ist es positiv", sagt Red Bull-Sportdirektor Christian Horner. "Die Rennen werden enger, es gibt mehr Fehler und dadurch mehr Überholmöglichkeiten." Es soll zurück zu den Wurzeln des Wheel-to-Wheel-Racing gehen.

Slicks allein machen die Formel 1 nicht spannender., Foto: Sutton
Slicks allein machen die Formel 1 nicht spannender., Foto: Sutton

Doch nicht alle Ideen für eine bessere Formel 1 gehen zurück zu den Wurzeln. Einige sind sogar so radikal, dass sie heute scheinbar nicht umzusetzen sind. Williams Marketingchef Scott Garrett stellte im Rahmen des Motor Sport Business Forums in Monaco seine teils strittigen Ideen vor - und bediente sich großzügig bei anderen Sportarten. Vom Fußball würde Garrett den Auf- und Abstieg übernehmen. "Das ist der beste Weg die Anzahl der Rennen zu steigern", sagte er. Das Mission Statement der GP2 sei ein guter Ansatz dafür. Darin nennt man ausdrücklich die Vorbereitung der Fahrer, Mechaniker und des gesamten Teams auf die Formel 1 als Ziel. Auch Max Mosley träumte schon einmal von einem Ligensystem ähnlich dem Fußball - und das runde Leder rollt das ganze Jahr immer irgendwo. Bernie Ecclestone würden so viele Rennen wie Fußballspiele sicherlich gefallen.

Von einer anderen Ballsportart würde Garrett die Shot Clock übernehmen. Wie im Basketball müsste nach Ablaufen der Zeit eine Aktion erfolgen - etwa ein Überholmanöver oder das Drücken des Boostbuttons. Auch beim Radsport könnte man sich bedienen: ein Sprintbonus, ein Pokal für den Fahrer mit den meisten Überholmanövern, ein Punkt für die schnellste Rennrunde - alles sei denkbar. Selbst das Umdrehen der Startaufstellung wie in manchen Nachwuchsserien, zwei Rennen pro Wochenende und Strafgewichte für gute Ergebnisse könnte sich Garrett als Spannungsmacher vorstellen.

"Wir müssen eine Linie ziehen: Was ist Sport und was ist nur eine Show wie beim Wrestling", warnt Nick Fry. Eine umgekehrte Startaufstellung ginge für den Honda-Boss zu weit. "Das wäre nur noch pure Unterhaltung, kein Sport mehr." Damit stößt er auf eine wichtige Frage: "Was sind wir? Sind wir Sport, Business oder Unterhaltung? Die Antwort ist nicht einfach." Man müsse alles davon sein. "Nicht entweder oder, sondern und." An der Tradition dürfe man allerdings nicht zu sehr hängen. "Ich erinnere mich an die Qualifyingdiskussionen", sagt Fry. "Einige Leute mochten das neue Format nicht, weil es nicht so war, wie es immer gemacht wurde, aber wir haben eine gute Lösung gefunden."

Am spannendsten war es in den vergangenen Jahren immer dann, wenn es chaotisch wurde - weil das Wetter oder andere äußere Einflüsse das Qualifying oder Rennen beeinflussten. "Suzuka 2005 war ein tolles Rennen", erinnert Colin Kolles. Damals mussten sich die Topfahrer von hinten nach vorne kämpfen. Aber es reicht nicht, die Startaufstellung einfach umzudrehen. "Sonst wird McLaren im Qualifying immer Letzter, nur um im Rennen auf der Pole zu stehen." Ferrari demonstrierte im halb verregneten Qualifying von Silverstone schon mal einen absichtlichen Dreher... "Ich stehe allem negativ gegenüber, was unfair ist", sagt Purnell. Christian Horner hat eine eigene Lösung: "Vielleicht brauchen wir einen Knopf für Mr Ecclestone, wenn es langweilig werden sollte..."

Die neue Aerodynamik ist nur der halbe Weg., Foto: Sutton
Die neue Aerodynamik ist nur der halbe Weg., Foto: Sutton

Colin Kolles hat einen transparenteren Vorschlag: "Es sollte einen Anreiz geben, bessere Positionen zu erreichen. Das Überholen muss belohnt werden." Etwa durch eine erweiterte Punkteverteilung. Aber auch hier müsse man vorsichtig herangehen. "Ich bin für neue Dinge", sagt Pat Symonds, "aber nicht für Gimmicks. Wenn es einen Punkt für die schnellste Runde geben würde, würde sich viel verändern. Denn ein Punkt ist in der Formel 1 etwas verdammt Wertvolles." Die Fahrer im Mittelfeld würden sich überlegen, ob sie sich nur auf diesen Punkt konzentrieren sollten? "Als Zehnter ist es recht einfach, die schnellste Runde zu fahren. Dann bleibt aber die Frage: Warum das Risiko eingehen, noch Neunter zu werden, wenn man für die schnellste Runde einen Punkt bekommt, für Platz 9 aber nicht." Symonds möchte das komplette Punktesystem überarbeiten. "Es sollte mehr Punkte geben, ein nicht lineares System, das mehr Anreize schafft, zu überholen. Denn wir wollen Racing sehen."

Man dürfe keine künstlichen Szenarien erschaffen, "trotzdem müssen wir bedenken", betont Horner, "dass die Formel 1 eine Sonntagnachmittagsshow ist. Die Fans wollen Action sehen. Eine andere Punkteverteilung könnte ein Weg dorthin sein." Auch Purnell war schon immer ein Fan von unvorhersehbaren Rennen. "Bei vorhersehbaren Rennen schalten die Zuschauer den Fernseher ab." Davon habe es auch 2007 einige gegeben. "Wenn wir Möglichkeiten finden, mehr Anreize für bessere Rennen zu schaffen, dann werden wir es machen." Pat Symonds sagte im Laufe des Jahres zu Purnell: "Es gibt momentan keinen Anreiz für die Ingenieure, Autos zu designen und zu bauen, die im Verkehr gut funktionieren." Stattdessen würde man Autos entwickeln, die in sauberer Luft, ohne vorher fahrendes Auto schnell sind. "Die gesamte Designphilosophie muss sich ändern." Wenn mehr Überholen gefordert ist, wird man auch einen Weg finden, mehr zu überholen - ganz ohne Aufstieg, Shotclock und Strafgewichte.