Großbritannien war nach der WM-Entscheidung in Brasilien ein wenig im Schockzustand. Lewis Hamiltons Chancen, Geschichte zu schreiben, standen vor dem letzten Rennen der Formel 1 Saison 2007 so gut, dass der Sekt nach dem Zieleinlauf eigentlich nur mehr aufgemacht und getrunken werden musste - eingekühlt war er ohnehin bereits. Doch es kam eben anders, was sich am Montagmorgen auch in den britischen Medien niederschlug, die mehr den Leiden des Lewis Hamilton nachhingen und irgendwo am Rande auch noch erwähnten, dass ein gewisser Kimi Räikkönen Weltmeister geworden war.

"Es ist nicht genug, gut zu sein. Manchmal braucht man auch Glück, um es zu schaffen", schrieb etwa Kevin Garside vom Telegraph. Er beschrieb den Moment in China, als Hamilton im Kiesbett der Boxengasse stecken blieb und den Moment in der achten Runde von Interlagos, als das Getriebe kurz in den Leerlauf schaltete, als die Augenblicke, die Hamilton im Gedächtnis bleiben werden, weil sie den Ruhm aus seiner Reichweite brachten. "Ein großer Klopfer auf die Schulter geht an den Rennsieger und neuen Weltmeister Kimi Räikkönen, der selbst die Enttäuschungen kennt. Sechs Siege, zwei mehr als Hamilton oder sein McLaren-Teamkollege Fernando Alonso, waren einfach Belohnung für die Mühen einer Saison. Es waren aber die Geister, die gestern Hamiltons Maschine heimgesucht haben und die bizarre Entscheidung, ihn auf abgefahrenen Reifen in Shanghai draußen zu lassen, weswegen der Finne heute Morgen feiern darf", war noch zu lesen.

Auch der Guardian beschäftigte sich mit Trauerarbeit, denn nach der Meinung von Alan Henry, wachte die F1-Welt am Montagmorgen mit einem anderen Weltmeister auf, als ihn die britischen Fans feiern wollten. "Während Lewis Hamilton ein Mitglied der High-Tech-Generation ist, die mit den Medien umzugehen weiß, ist Kimi Räikkönen ein altmodischer Rennfahrer aus der Heldenschablone, für den ein Bier mit seinen alten Freunden genauso wichtig ist, wie das Vollgas fahren in Richtung Grand Prix-Sieg." Der Autor fuhr damit fort, Räikkönen mit James Hunt zu vergleichen, auch wenn er den Finnen nicht als so extrovertiert wie den Weltmeister von 1976 sah. "Hunt hätte den Berichten über Räikkönens Benehmen in einem Club in West End ebenso mit einem Nicken zugestimmt, wie dem angeblichen Einschlafen außerhalb einer spanischen Bar, während er einen aufblasbaren Delphin in den Armen hielt. Der dritte Finne, der die Weltmeisterschaft gewonnen hat, kann sicher auf mehr als nur eine Art Eindruck machen."

Im entscheidenden Moment fand Lewis Hamilton den Schatten nicht, Foto: Sutton
Im entscheidenden Moment fand Lewis Hamilton den Schatten nicht, Foto: Sutton

Im Telegraph verlegte man sich darauf, dass die Saison 2007 eigentlich immer ein Lehrjahr für Hamilton hätte sein sollen. "Aber was für eine bittere Lektion musste er an diesem Wochenende lernen", schrieb Andrew Baker. Denn statt herauszufinden, wie man eine WM gewinnt, habe er herausfinden müssen, wie man sie verliert - und das noch unter sehr außergewöhnlichen Umständen, war zu lesen. "Ungestümes Verhalten mag teilweise schuld an seinem Ausflug in das Kiesbett in China vor zwei Wochen gewesen sein und ein jugendlicher Übereifer war gestern bei Hamiltons Eskapaden in der ersten Runde erkennbar. Was ihm aber in Interlagos seine Chancen kostete, war kein Fahrfehler. Was ihn im Stich ließ, war sein Auto." 40 Sekunden habe er verloren, um über Funk die Anweisungen zu bekommen und sie umzusetzen, damit das Auto wieder fahren konnte. "Rechnen Sie selbst: ziehen Sie 40 Sekunden von seiner Rennzeit ab und es ist klar, dass der fünfte Platz ihm gehört hätte, den er gebraucht hätte, um Räikkönen zu schlagen - leicht."

Des Kelly von der Daily Mail versuchte in reportageartiger Form, die Szenen vor Rennbeginn zusammenzufassen, als Anthony und Lewis Hamilton sich bereit machten, Geschichte zu schreiben. "Sie sprachen ein paar private Worte miteinander, es gab eine kurze Berührung und dann kam Lewis aus dem Schatten und stieg in die Maschine, die seine und die Hoffnungen seines Landes tragen sollte. Danach schmolz einfach alles davon." Denn innerhalb von vier Kurven habe sich die Arbeit einer sensationellen Saison und die Aussicht auf einen nie dagewesenen WM-Titel in seinem ersten Jahr in Rauch aufzulösen begonnen, wurde geschrieben. "Als es am meisten darauf ankam, verwelkte Hamilton in der Sonne. Der scheinbar unerschütterliche Charakter - ein junger Mann, der der Inbegriff des Cool Britannia während seines ersten Jahres war - gab letztendlich dem Druck nach und benahm sich für einen kostspieligen Moment so, wie es ein 22-jähriger Rookie eigentlich tun müsste. Gerade als er sein ruhiges, leidenschaftsloses Selbst sein sollte und wieder den ruhigen Moment im Schatten finden musste, benahm er sich wie ein Hitzkopf, der an der Ampel geschnitten wurde. Jetzt gehört der Platz in den Geschichtsbüchern, der für Hamilton reserviert war, stattdessen Kimi Räikkönen."

Times-Redakteur Edward Gorman schrieb davon, dass Hamiltons WM-Hoffnungen erst nach der Untersuchung der Stewarts zu Ende waren. "Dem britischen Fahrer wurde die Hoffnung auf eine dramatische Begnadigung gegeben, als die FIA, der Motorsport-Weltverband, sich mögliche technische Verstöße ansah. Aber mehr als sechs Stunden nach dem Rennen erfuhr Hamilton, dass er die Saison tatsächlich hinter Kimi Räikkönen, dem neuen Weltmeister, beendet hatte." Wären die BMW Sauber und Williams doch noch bestraft worden, dann wäre es für Gorman eine weitere Wendung in "Hamiltons außergewöhnlicher Rookie-Saison" gewesen. "Aber nach langen Beratungen entschieden die Stewarts, dass das Endergebnis Bestand hat."

Das Boulevardblatt Sun beschrieb das Rennen in Interlagos als doppelten Herzschmerz für Hamilton. Charlie Wyett schrieb: "Der McLaren-Star konnte nur Siebter im Brasilien GP werden, was bedeutete, dass er den Titel um einen Punkt an Kimi Räikkönen verlor. Dann, in einer unglaublichen Wendung, schien es, dass er die Krone noch aufgrund einer Formalie bekommen könnte, nachdem es einen Benzin-Aufruhr wegen der Fahrer auf den Plätzen vier, fünf und sechs gab. Nachdem er die Strecke verlassen hatte, wartete Hamilton angespannt in seinem Hotel, verzweifelt auf Nachrichten von der FIA hoffend. Aber um 1:00 Uhr heute vernichteten die Stewarts seinen Traum endgültig, als sie bekannt gaben, dass ungeachtet der Ergebnisse der Untersuchung, das Rennresultat Bestand haben würde."