Die Zeit der Silberpfeile ist vorbei - die Zeit der Chrompfeile ist gekommen! Unter diesem Motto startete McLaren Mercedes in einem schillernden, neuen Outfit in die Saison 2006.

Die Marketing-Truppe von Perfektionist Ron Dennis steckte nicht weniger als sechs Monate in den neuen Chromeffekt des MP4-21. Das sind immerhin zwei Monate mehr, als Aguri Suzuki Zeit hatte, um sein Team auf die Räder zu stellen und zum ersten Saisonrennen zu schicken. Böse Zungen mögen nun behaupten, dass McLaren diese Zeit lieber in die Fahrzeugteile und nicht in deren Lackierung hätte stecken sollen.

Denn aufgrund der 40% höheren Kosten für die Chromfarbe, besitzen die einst Silbernen momentan nur bei den Lackierungskosten die Spitzenposition. Auf der Strecke fahren sie nach sechs Grand Prix der Konkurrenz aus Enstone und Maranello hinterher.

Bei der Feuertaufe durchgefallen

Dabei war Teamboss Ron Dennis vor Saisonbeginn noch zuversichtlich. "Wir glauben ein sehr gut designtes Auto zu haben - vielleicht das beste Auto, das wir jemals gemacht haben; und das sage ich nachdem wir es getestet haben."

Die ersten Tests verliefen jedoch noch schlimmer, als sich die aktuelle Situation der Silbernen darstellt. Dem Auto fehlte der Speed und der Motor schien deshalb wie wild Rauchzeichen von sich zu geben, um irgendwo Hilfe anzufordern. Mit einem enormen Kraftakt bewältigte McLaren Mercedes diese Probleme und schien in den ersten Rennen nur von Pech und unglücklichen Zwischenfällen eingebremst zu werden.

"Zu Saisonbeginn sah es noch so aus, als ob McLaren einen großen Sprung in Richtung Spitze gemacht hätte", schreibt Sven Heidfeld in seiner motorsport-magazin.com-Kolumne. "Aber die aerodynamisch anspruchsvolle Strecke von Barcelona entlarvte die Chrompfeile als nicht konkurrenzfähig."

Denn nicht nur Sven mahnte rund um den Spanien GP: "Wenn dein Auto auf dem Circuit de Catalunya funktioniert, kannst du überall gewinnen - umgekehrt sieht es weniger gut aus."

Time to say goodbye

Der Chrompfeil: Sehr fotogen, aber nicht sehr schnell., Foto: Sutton
Der Chrompfeil: Sehr fotogen, aber nicht sehr schnell., Foto: Sutton

Was sind nun die Gründe für den Leistungsabfall des Vizeweltmeisters von 2005? Warum ist der Nachfolger des anerkannt schnellsten Rennwagens der Vorsaison momentan maximal dritte Wahl? Ex-Jordan-Technikdirektor Gary Anderson glaubt das Problem auf personeller Ebene gefunden zu haben. "Ich denke, sie leiden unter dem Weggang von Adrian Newey", spricht er aus, was viele Experten vor dem Saisonbeginn befürchtet hatten.

Unterstützt wird er von Ex-GP-Pilot Marc Surer. Der Schweizer vermutet, dass "sich bei McLaren der Abmarsch der Ingenieure bemerkbar macht, weil jene Fachkräfte gegangen sind, die den Wagen entworfen haben und ihn aus diesem Grund am besten verstehen würden, um ihn schneller zu machen."

Zunächst die Fakten: Neben Newey verließen auch Aerodynamikchef Nicolas Tambazis und Elektronikmann Anton Stipinovich das Team. Tombazis kehrte nach Maranello zurück und Stipinovich folgte Newey zu Red Bull Racing. Dort soll Ende dieser Saison auch McLaren-Chefaerodynamiker Peter Prodromou seinen Dienst aufnehmen. Aber wie wichtig war dieser als Stardesigner und Aerodynamik-Guru gepriesene Adrian Newey wirklich? Droht McLaren ein ähnlicher Absturz, wie ihn Williams nach Neweys Wechsel nach Woking erlebte? Wie sehr schmerzen die Verluste Ron Dennis & Co?

"Einen Freund vermisst man immer", sagte Dennis unseren Kollegen vom F1 Racing Magazine. "Aber es war geplant, dass Adrian 2006 nicht mehr für McLaren arbeiten würde. Wir haben das eingeplant und ihn sich schrittweise zurückziehen lassen." Im letzten Jahr hätte er sich deshalb schon "viel Zeit für seine Familie" nehmen können. "Er hatte mehr als zweieinhalb Monate Urlaub", betonte Dennis. So entscheidend könne Neweys Einfluss auf den MP4-21 also nicht gewesen sein. Oder etwa doch?

Newey stufte seinen Urlaub jedenfalls nicht als großes Problem ein. "Ja, ich hatte 2005 einen etwas längeren Urlaub", aber die Arbeit am Auto habe dadurch nicht gelitten. Seinem kongenialen Partner Prodromou fehlt er bei der Weitentwicklung des Autos dennoch - jedenfalls so weit dieser angesichts seines bevorstehenden Wechsels überhaupt noch in die Arbeiten am Auto einbezogen wird.

"Ich habe die Zusammenarbeit mit Peter Prodromou sehr genossen", sagt Newey, "und ich bin froh, sie in diesem Jahr fortsetzen zu können." Was er damit aussagen möchte: Prodromou kann die genialen Einfälle von Newey durch seine Managementfähigkeiten auf die Ingenieure und Designer übertragen und so für ein perfektes, sprich verdammt schnelles, Ergebnis sorgen.

Wie sehr fehlt Adrian Newey am Kommandostand?, Foto: Sutton
Wie sehr fehlt Adrian Newey am Kommandostand?, Foto: Sutton

Insofern erscheint die Theorie von Surer und Anderson gar nicht einmal so fernab jeglicher Realität zu sein. Im Gegenteil: Der Leistungsabfall der Silbernen seit Saisonbeginn untermauert diese These sogar noch. Während man in den ersten Rennen noch gut dabei war, fehlen spätestens seit dem Europa-Auftakt in Imola die Entwicklungsschübe und Fortschritte. Dem MP4-21 mangelt es an Speed. Bis Imola durfte Norbert Haug sein Team zurecht dafür loben, dass sich von Januar bis März "kein Team so stark verbessert" habe wie McLaren Mercedes. Danach fielen die Silbernen jedoch in ein Loch, aus dem sie noch immer nicht herausgekrabbelt sind.

Ron Dennis sucht die Begründung dafür aber nicht in den Personalabgängen. "Wir haben 136 Ingenieure und Designer bei McLaren", sagt er überzeugt. "Wir schätzen jeden von ihnen, aber es wäre falsch zu glauben, dass wir Panik schieben, nur weil einer oder zwei uns kürzlich verlassen haben."

Auch Norbert Haug sieht die Personaldiskussion gelassen. "Wir sind gut aufgestellt", sagte er motorsport-magazin.com über die Abgänge der beiden großen Namen Adrian Newey und Mario Illien. "Beide haben große Verdienste um unser Team und dessen Erfolge, aber McLaren Mercedes war nie eine Two- oder gar One-Man-Band. Beim Stern ist die Mannschaft der Star."

Zurück zu altem Glanz

Wenn nicht die fehlenden Mannschaftsteile für die Probleme verantwortlich sind, was ist es dann? "Ich sage nur eins: Wir hatten viel Untersteuern und das Auto war schwierig zu fahren", klagte Kimi Räikkönen nach dem Spanien GP. "Es fehlte uns ein bisschen von allem."

Betrachten wir also die einzelnen Teile des Gesamtpakets. Mit den Reifen findet man heutzutage nur allzu oft ein wehrloses Opfer. Am Nürburgring gestand McLaren-CEO Martin Whitmarsh etwa, dass man sich bei der Reifenwahl vergriffen habe. Mit einer anderen Mischung, hätte man "Ferrari schlagen" können. Nach Barcelona wollte Norbert Haug von Reifenproblemen aber nichts wissen: "Wir haben die gleichen Reifen wie Renault, aber die gewinnen und wir werden Fünfter."

Liegt es also am Motor? "Ich kann auch nicht sehen, dass der Motor das Defizit ausmacht, das ich mit etwa einer Sekunde pro Runde ansetze", so der Schwabe. "Wenn die Bohrungslimits ausgenutzt werden, spielen die Drehzahlen sehr wohl eine Rolle - und da waren wir immer oben mit dabei."

Verstecken muss er sich nicht - oder versteckt er neue Teile?, Foto: McLaren
Verstecken muss er sich nicht - oder versteckt er neue Teile?, Foto: McLaren

Wie sieht es dann mit der Aerodynamik aus? Vor dem Großen Preis von Australien musste McLaren bekanntlich seinen Heckflügel an das Reglement anpassen. Und tatsächlich: Hier gesteht Martin Whitmarsh ein, dass man eine Strebe im Bereich der Motorabdeckung ändern musste, um so deren Flexibilität einzudämmen. "Da müssen wir vielleicht nachrüsten" verriet Haug der Motorsport aktuell. "Ich weiß nicht, ob wir da am Limit sind, aber es ist auf jeden Fall ein Entwicklungsfeld."

McLaren wäre nicht das einzige Team, welches durch eine reglementtechnisch außerhalb der Grauzonen gelegene Regelauslegung das ein oder andere Zehntel einbüßt. Am letzten Wochenende beschwerten sich Toyota und Williams mehr oder minder offen darüber, dass ihre konservativen Flügelvarianten im Vergleich mit den agileren Flügeln der beiden Top-Teams alles andere als Vorteile bringen.

Für die nächsten Rennen kündigte Whitmarsh deshalb eine Generalüberholung des Chrompfeils an. "Wir hatten das drittschnellste Auto und müssen es jetzt weiter verbessern." Dabei gehe es nicht nur um "einen Bereich", sondern um das gesamte Paket.

"Die F1 ist mittlerweile so eng, dass man mit nur einem Prozent Leistungsverlust richtig Probleme bekommen kann. Deshalb kann ein einziges Teil nicht alle Probleme lösen. Wir arbeiten am Chassis, der Aerodynamik, der Aufhängung, dem Handling des Autos und dem Motor. Zusammen mit den Reifen müssen wir versuchen die bestmögliche Performance aus dem Auto herauszuholen." Vielleicht kann der MP4-21 dann schon bald nicht nur auf Fotos, sondern auch auf dem Podium glänzen.