Charles Leclerc musste sich beim Formel-1-Rennen in Singapur am vergangenen Wochenende auf kompromisslose Weise in den Dienst seines Teams stellen. Ferrari entschied noch vor dem Start, dass er als Wasserträger herhalten muss, um Teamkollege Carlos Sainz zum Sieg zu verhelfen. Der fünfmalige Grand-Prix-Sieger setzte die Anweisungen ohne Querelen um und präsentierte sich als perfekter Teamplayer. Die jüngsten Niederlagen gegen Sainz motivieren den einstigen Heilsbringer der Scuderia, wieder selbst zur Bestform zurückzukehren.

"Carlos war in Monza und Singapur absolut am Drücker. Er war sehr, sehr stark", lobt Leclerc die Leistungen des Spaniers an den beiden vergangenen Rennwochenenden. An beiden eroberte er die Pole Position und setzte sich jeweils auch im Rennen gegen Leclerc durch. In Monza lieferten sich beide einen erbitterten Kampf um Platz drei, den Sainz für sich entschied. In Singapur sprach Ferrari noch vor dem Rennen eine Teamorder aus und stellte Leclerc in seinen Dienst, sodass es gar nicht erst zum Schlagabtausch kam.

"Es sind nicht nur diese letzten beiden Wochenenden. Er hat wirklich einen guten Schritt gemacht, wahrscheinlich vor allem in der Vorbereitung auf das Wochenende", so Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur über die kürzliche Leistungsexplosion von Sainz. "Ich denke, der größte Unterschied ist, dass er von der ersten Runde im ersten Training an bereit ist. Und das ist der beste Weg, sich auf das Qualifying vorzubereiten."

Das teaminterne Kräfteverhältnis war in der ersten Saisonhälfte weitestgehend ausgeglichen. Vor Monza wurden Sainz und Leclerc in der Gesamtwertung auf den Plätzen fünf und sechs von gerade einmal drei Punkten getrennt. Im Qualifying-Duell hatte der für seine Stärke auf eine Runde berüchtigte Monegasse mit 9:4 hingegen klar die Nase vorne.

Leclerc steckt beim Ferrari SF-23 weiter im Setup-Dilemma

Dass Sainz ihm zuletzt sogar am Samstag den Rang ablief, ist für Leclerc ein klares Zeichen, dass er momentan nicht auf dem von ihm gewohnten Level performt. "Es ist gut, ihn in dieser starken Form zu sehen, denn das treibt mich an, meinen eigenen Fahrstil besser zu verstehen und zu versuchen, ihn besser auf dieses Auto anzupassen", so der 25-Jährige, der dieses Jahr bereits seine fünfte Saison für Ferrari bestreitet.

Als er nach nur einer Saison bei Alfa Romeo Sauber zu den Roten aufstieg, entzauberte er auf Anhieb Sebastian Vettel, der seinerseits mit der roten Göttin auf Kriegsfuß stand. Fünf Jahre später findet sich Leclerc in einer ähnlichen Situation wieder. "Das Auto war vom ersten Rennen an sofort unberechenbar", erklärt er.

Mit dem SF-23 kann er nicht das Setup fahren, das ihn früher stark machte. "Wegen der Unberechenbarkeit des Autos, kann ich nicht das Übersteuern haben, das ich will", so Leclerc, der dadurch zu einem unliebsamen Setup-Kompromiss gezwungen ist: "Wir müssen deshalb mit der Balance auf der sicheren Seite sein, denn wir können an der Vorderachse nicht allzu viel Grip aufbauen. Wenn du dann einen Rutscher hast, verlierst du plötzlich sehr viel Grip und das ist schwer abzufangen."

Leclerc orientiert sich an Sainz, Vertrauen in Ferrari ungebrochen

Der fehlende Grip an der Vorderachse wiederum steht ihm bei seinem Fahrstil im Weg. "Ich fühle mich mit dem Auto im Moment nicht ganz wohl. Es untersteuert mir für meinen Geschmack zu sehr und ich habe Schwierigkeiten, das zu umfahren", sagt er. In den ausstehenden sieben Rennen will er alles daran setzen, die Lücke zu Sainz zu schließen. "Carlos fühlt sich wohl und jetzt liegt es an mir, aufzuholen. Ich gebe wirklich alles, um mittelfristig einen Schritt zu machen, um mich etwas wohler zu fühlen."

Ein Aufwärtstrend dürfte den Spekulationen um eine durch die Misserfolge belastete Beziehung zu Ferrari entgegenwirken. Mit Frederic Vasseur stieß erst dieses Jahr Leclercs ehemaliger Teammanager aus der GP3 und der Formel 2 als neuer Teamchef in Maranello hinzu. Das Vertrauen zu seinem langjährigen Weggefährten und dem italienischen Team ist ungebrochen.

"Seit Fred hierherkam, war er mit mir sehr offen, was die Richtung angeht, in die er mit dem Team gehen will", so Leclerc, dessen langjähriger Vertrag Ende 2024 ausläuft. "Ich bin immer über alles im Bilde und habe vollstes Vertrauen, dass es in die richtige Richtung geht, egal wie lange es dauert, wieder an die Spitze zu kommen."