Red Bull Racing über den Brasilien GP

Die Brasilianer sind für ihre ausgeprägte Lebenslust bekannt, und ein Erklärungsversuch für diesen heiteren Charakter lautet: Das liegt daran, dass das Leben der Bewohner dieses Landes permanent in Gefahr ist. Als der Grand Prix in Sao Paulo erstmals ausgetragen wurde, genügte nach der Ankunft ein Schritt vor die Türen des Flughafens, um die Lungen des Anreisenden so aussehen zu lassen, als habe er sein Leben lang in einer Asbestmine gearbeitet.

In Brasilien kann der Blick schon einmal trübe werden., Foto: Sutton
In Brasilien kann der Blick schon einmal trübe werden., Foto: Sutton

Seitdem wurde die Luftverschmutzung gewaltig reduziert. Diese Entwicklung ist auch auf kleine Schritte zurückzuführen, denn weltweit findet man nirgendwo derart grauenvolle Warnungen vor Gesundheitsrisiken wie in Brasilien. Auf den Zigarettenschachteln sind Fotos abgebildet, die völlig marode Lungen, lebensunfähige Frühgeburten in Weckgläsern und an Beatmungsmaschinen angeschlossene Kinder zeigen. Die Tatsache, dass der motorisierte Individualverkehr eingedämmt wurde, hat allerdings neue Gefahren heraufbeschworen: Nachdem sich die Blechlawinen jahrelang mit einem Durchschnittstempo von 1 km/h durch die Straßen wälzten, knallen die Einheimischen jetzt mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Gegend. Und dabei müssen sie Lenkrad und Gangschaltung mit den Knien bedienen, weil sie ständig beide Hände brauchen, um obszöne Gesten zu machen und gleichzeitig ihr Handy am Ohr haben. Alle Autofahrer behaupten, sie seien wahlweise mit Emerson Fittipaldi, Nelson Piquet, Ayrton Senna oder Rubens Barrichello verwandt – ohne jedoch auch nur annähernd so gut wie diese fahren zu können.

Ganze Stadtteile sehen aus wie eine Kulisse bei der Verfilmung von Dantes "Göttlicher Komödie". Aber diese Erzählungen von Raub, Mord und Verrat sind maßlos übertrieben – jedenfalls wenn man sie mit den Zuständen außerhalb des Fahrerlagers vergleicht! Trotz all dieser Gefahren hat diese Gemeinde irgendetwas wundervoll Ansteckendes – nein, hier ist nicht vom Leitungswasser die Rede. Theoretisch gilt der Grundsatz: Kein Wasser trinken, weite Bögen um Salat machen und Fleisch vor dem Verzehr so lange braten lassen, dass es einen an Jeanne d´Arc erinnert – wenn man sie sich so ins Gedächtnis ruft, wie sie am Tag nach dem Barbecue aussah, das die Engländer einst für sie veranstalteten. Und wie sieht es in der Praxis aus? Raus aus dem Hotel, ins Getümmel stürzen und Spaß haben.

Sao Paulo - Ein gefährliches Pflaster., Foto: Sutton
Sao Paulo - Ein gefährliches Pflaster., Foto: Sutton

Vegetarier zu sein, wird in Brasilien als Verbrechen eingestuft. In den wunderbaren Churrascarias, die man an jeder Ecke findet, verzehren die brasilianischen Bürger pro Woche ihr eigenes Körpergewicht in Form von Rind-, Schweine-, Lamm- oder Hühnerfleisch. Geht mal in ein solches Restaurant und schaut euch die Ober an, die in Armeestärke auf euren Tisch losgehen und dabei meterlange Degen tragen, die voller Gesottenem und Gebratenem stecken. Es scheint, als würden früher oder später alle Landsäuger auf dem Teller landen. Kellner, die ihre Arbeit in eher finsteren Bezirken tun, dürfen ihre Degen abends mit nach Hause nehmen, um... auf dem Heimweg Strauchdiebe abwehren zu können.

Als das Rennen von den Stränden Rio de Janeiros nach Sao Paulo verlegt wurde, flossen bei den Mitgliedern des F1-Völkchens anfangs Tränen. Aber inzwischen haben die Renn-Veteranen die Erinnerung an Rio mit so vielen Caipirinhas weggespült, dass sie sich gar nicht mehr daran erinnern können, weshalb sie eigentlich angefangen haben, dieses Zeug zu trinken. Tatsache ist: Caipirinha, dieser tödliche Cocktail auf Zuckerrohrbasis, ist verführerischer als eine auf einem Konzertflügel liegende Michele Pfeiffer, oder alles, was Cameron Diaz mit Haar-Gel anstellen kann. Caipirinha hat mehr Kick als Bruce Lee, und dieses Gesöff kann dich in dieser verrückten Stadt echt in Schwierigkeiten bringen: Je mehr du davon trinkst, desto hübscher erscheinen dir die Transvestiten und die Ladies der Nacht.

Weitaus sicherer, als sich in die Gesellschaft solcher Leute zu begeben, ist, in einem der vielen Jazz Clubs vorbeizuschauen. Dort kann man Samba-Klängen und den Werken von Gilberto, Jobim und Baden Powell lauschen. Was allerdings der Gründer der britischen Pfadfinderbewegung anstellte, um als brasilianischer Komponist gefeiert zu werden, zählt mit zu den großen Geheimnissen des größten südamerikanischen Landes.