"Im Hinblick auf die Performance ist nach dem Qualifying klar, dass unsere Reifen sehr gut zum Indianapolis Motor Speedway passen", kommentierte Michelin-Motorsportdirektor Pierre Dupasquier den Ausgang des Qualifyings in Nordamerika.

Doch wie wir nicht erst seit dieser Saison, aber ganz besonders seit dieser, wissen, kommt es bei den Reifen eben nicht nur auf die Performance, sondern auch auf die Zuverlässigkeit an. Und jene steht bei den mitgebrachten Michelin-Walzen in Frage.

Entsprechend gingen in der vergangenen Nacht die Lichter im Michelin-Werk in Clermont-Ferrand und im Michelin-Centre in Greenville, South Carolina, niemals aus. Denn dort analysierten die Franzosen ununterbrochen alle benutzten Reifen des Indy-Wochenendes - sowohl jene vom Freitag als auch jene vom Samstag.

Ralfs Crash brachte die Probleme ins Rollen., Foto: Sutton
Ralfs Crash brachte die Probleme ins Rollen., Foto: Sutton

Zu einer Erklärung für die beiden Reifenschäden von Ricardo Zonta und Ralf Schumacher kamen sie aber dennoch nicht. Und Ron Dennis erwartet auch so schnell keine Entscheidung über das weitere Vorgehen. "Wir werden morgen mehr Informationen haben und ich zweifle daran, dass eine Entscheidung vor 11 Uhr Ortszeit [18:00 MESZ, d. Red.] fallen wird."

Welche Auswege gibt es?

Die Frage aller Fragen, deren Antwort wohl nicht "42" lauten wird, ist jedoch: Wie kommen Michelin, deren Teams und die Formel 1 aus diesem Reifen-Schlamassel wieder heraus ohne sich der Lächerlichkeit preis zu geben, ein Sicherheitsrisiko einzugehen oder den wichtigen amerikanischen Markt endgültig zu vergraulen - man erinnere sich an das inszenierte Ferrari-Forotfinish, welches die F1 in Nordamerika bereits einiges an Kredit kostete.

"Eine Möglichkeit ist es, dass Rennen nicht zu bestreiten", räumt Ron Dennis ein. "Aber wir werden abwarten, bis wir alle Informationen vorliegen haben, bevor wir eine Entscheidung fällen. Derzeit ist es unmöglich eine Antwort zu geben."

Dennoch betont Ron Dennis, dass die Probleme bislang nur bei einem Team aufgetreten sind. "Die Reifen bei denen der Fehler auftrat wurden mit wenig Druck gefahren und das Problem wurde von jenem Team verstärkt, da sie meines Wissens nach außerhalb des empfohlenen Druckbereichs hantierten", impliziert Dennis einen klaren Fehler seitens Toyotas.

Sollten die Informationen, welche Michelin am Sonntagmorgen den Teams präsentiert, aber unzureichend sein, um ein sicheres Rennen zu gewährleisten, erwartet Williams-Technikchef Sam Michael unterschiedliche Reaktionen seitens der sieben Teams.

"Ich glaube nicht, dass alle Teams den gleichen Weg verfolgen würden", so Michael. "Wir hatten keine Reifenschäden und zwar weder am Freitag mit wenig Druck noch am Samstag mit hohem Druck. Selbst als wir am Morgen mit wenig oder viel Sprit gefahren sind, hatten wir keine Probleme." Damit stützt Michael die Toyota-These von Dennis.

Neue Reifen aus Frankreich?

Eine Alternative zu einer Rennabsage ist der bereits seit gestern heiß diskutierte Einflug neuer Reifen aus Europa. "Die vorgeschlagenen Reifen wurden beim Rennen in Barcelona verwendet und haben die gleiche Konstruktion", so Dennis. "Die Mischung ist extrem anders, aber dies beeinträchtigt nur die Performance, nicht die Sicherheit. Die Frage ist, ob wir dafür bestraft würden, wenn wir sie einsetzen."

Überall wird nur über ein Thema diskutiert..., Foto: Sutton
Überall wird nur über ein Thema diskutiert..., Foto: Sutton

Laut dem Sicherheitsdelegierten der FIA, Charlie Whiting, wird die Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Schließlich würden die Michelin-Teams beim Einsatz neuer Reifen gleich mehrere Regeln brechen. Nichtsdestotrotz drohte Flavio Briatore bereits an: Wenn die neuen Reifen nicht eingesetzt werden dürfen, werden Fernando Alonso und Giancarlo Fisichella nicht an den Start gehen.

Den Vorgang den es benötigt um die neuen Pneus benutzen zu dürfen, kennt einer besser als jeder andere: Minardi-Teamboss Paul Stoddart versuchte bereits beim ersten Saisonrennen in Melbourne das aktuelle Reglement zu umgehen und mit einer Unterschriftenaktion bei allen Teamchefs ein altes Aerodynamikpaket an seinen Autos durchzusetzen - zur Erinnerung: Stoddart scheiterte damals mit diesem äußerst fragwürdigen Versuch.

"Das Prozedere ist, dass alle zehn Teams zustimmen müssen", erinnert sich Stoddart zurück. "Im Interesse der Sicherheit würde ich zustimmen und wenn wir annehmen, dass auch Jordan und Todt, die anderen beiden Bridgestone-Teams, zustimmen, dann muss man immer noch die Zustimmung von Max [Mosley, d. Red.] und Bernie erhalten, damit die 12 Stimmen des Concorde Agreement beisammen sind."

"Danach muss Max die Stewards beauftragen eine Untersuchung durchzuführen", führte Stoddart gegenüber ITV weiter aus. "Beim letzten Mal hatten wir alle zehn Stimmen und die Stewards lehnten trotzdem ab. Sie sympathisierten mit dem Vorschlag, aber er war außerhalb der Regeln. Somit wird es interessant sein zu sehen, was sie diesmal sagen. Ich möchte heute nicht in Max' Haut stecken."

Die möglichen Strafen für den "klaren Regelbruch", wie Bernie Ecclestone eine Verwendung neuer Reifen bezeichnet, stehen hierbei weder im Regelbuch noch sonst irgendwo fest geschrieben. Entsprechend reichen die Vermutungen im Paddock von einer Verschiebung der Michelin-Teams in der Startaufstellung hinter die sechs Bridgestone-Fahrer über eine 10-Sekunden Stop-and-Go-Strafe während des Rennens bis hin zu einer Ausnahmeregelung.

Letztere würde allerdings einen Präzedenzfall generieren, welchen sich die FIA sicherlich nicht leisten möchte, was notfalls dafür sorgt, dass das Rennen wegen Teilnehmermangels komplett abgesagt werden muss oder die F1 sich mit einem Mini-Bridgestone-Feld der Lächerlichkeit preis gibt.

Seitens Bridgestone möchte man sich in die Entscheidungsfällung nicht einmischen. Dies überlässt man klar der FIA. Den ersten großen Sieg des Jahres haben die Japaner ohnehin bereits eingefahren. Denn während ihre Konkurrenten sich nicht nur in der Reifenwahl vergriffen, sondern sogar die Teilnahme am Grand Prix gefährdet haben, darf Bridgestone sich samt seiner konzerneigenen Kollegen von Firestone über die schon vor dem Wochenende gelobte Vorbereitung auf das neunte Saisonrennen freuen.

Bridgestone kann dem Renntag gelassen entgegen sehen., Foto: Sutton
Bridgestone kann dem Renntag gelassen entgegen sehen., Foto: Sutton

So erklärte Technikmanager Hisao Suganuma vor dem Wochenende: "Einige Sektionen der Strecke wurden neu asphaltiert, was unsere Kollegen von Bridgestone/Firestone Nordamerika bestätigten, die bei einem erfolgreichen Indy 500 intensive Erfahrungen auf dieser Strecke sammeln konnten." Diese Erfahrungen entpuppten sich an diesem Wochenende als besonders wertvoll.

Andere Lösungsvorschläge

Abgesehen von der Verwendung neuer Michelin-Gummis gibt es auch noch einige weitere Ideen und Vorschläge, die entweder schon wieder verworfen wurden oder sich als höch unpraktikabel erwiesen. So soll laut SpeedTV der Vorschlag gemacht worden sein die Steilkurve durch eine Schikane zu umfahren.

Und während angeblich die Michelin-Teams nur mit einer solchen Schikane antreten möchten, erscheint eine solche Lösung aufgrund der Kürze der Zeit als nicht umsetzbar. Schließlich würde eine falsch installierte Schikane noch mehr Sicherheitsrisiken heraufbeschwören als dies die Reifensituation derzeit schon alleine erledigt.

Ein weiterer Vorschlag ist die problematische Steilkurve in einer Art "Gelb-Modus" zu befahren, so dass die Piloten dort freiwillig den Speed verringern dürfen. Da die Fahrer während eines Zweikampfes wohl kaum vom Gas gehen würden und es ein immenses Sicherheitsrisiko an sich darstellt, wenn dies tatsächlich ein Fahrer tun sollte hinter dem andere Autos fahren, erscheint auch dieser Lösungsverschlag als nicht machbar.

Sollte das Rennen aber tatsächlich mit ausreichend Fahrzeugen gestartet werden, erwartet Ron Dennis zumindest einen Kompromiss bei einer möglichen Safety-Car-Phase, in welcher sich der Reifendruck natürlich absenken würde. "Wir haben vorgeschlagen, dass wir nachdem das Safety-Car in die Box gegangen ist drei Runden lang gelbe Flaggen schwenken, damit die Autos ihren Reifendruck wieder normalisieren können", erklärte Dennis gegenüber Autosport. "Wir hoffen, dass alle Teams dem zustimmen."

Was wird geschehen?

Bernie rechnet fest mit einem kompletten Teilnehmerfeld., Foto: Sutton
Bernie rechnet fest mit einem kompletten Teilnehmerfeld., Foto: Sutton

Bevor der neunte Rennsonntag des Jahres im Land der unbegrenzten Möglichkeiten seinen Lauf nimmt, stehen also jede Menge wichtiger und schwieriger Entscheidungen für die Formel 1 auf dem Tagesprogramm.

Sollte alles wie in der Königsklasse gewohnt ablaufen und das letzte Wort dem großen F1-Zampano Bernie Ecclestone gehören, dann wissen wir allerdings schon jetzt, wie das Dilemma beendet werden wird.

"Michelin wird einen Reifen finden, der funktioniert und sie werden damit starten können", prophezeite Bernie bereits nach dem Qualifying. "Ich bin absolut und zu 100% sicher, dass wir ein komplettes Feld mit 20 Autos haben werden."