Kein Geheimnis: Speed allein reicht heutzutage nicht mehr aus für eine erfolgreiche Karriere im Motorsport. Ein Thema, das in den vergangenen Jahren immer präsenter wird im Fahrerlager: Mentaltraining. Doch was genau bedeutet das eigentlich, worum geht es konkret und wie hilft es den Sportlern? Motorsport-Magazin.com unterhielt sich mit Julia C. David, von Beruf Beraterin, Motivationstrainerin und Mentalcoach für Unternehmen, Führungskräfte und Spitzensportler. Die 33-Jährige aus Frankfurt war eine der ersten weiblichen Mentalcoaches im Profifußball und engagiert sich ebenfalls im Motorsport. Zu ihren Kunden zählen vor allem ambitionierte Nachwuchstalente.

Frau David, viele Rennfahrer blocken ab, wenn sie gefragt werden, ob sie Mentaltraining betreiben. Warum ist das so?
Julia C. David: Oftmals ist Menschen überhaupt nicht bewusst, was Mentaltraining eigentlich bedeutet. Sie denken, sie müssten dabei über heiße Kohlen laufen oder in die Hände klatschen - das ist Blödsinn. Mentaltraining hat vielmehr etwas mit dem Bewusstsein und der Aktivierung von Energien zu tun. Sicherlich denken viele Menschen, dass es ein Zeichen von Schwäche sei, zu einem Mentalcoach zu gehen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Es ist ein Zeichen von Stärke.

Julia C. David betreut auch junge Talente, Foto: Julia C. David
Julia C. David betreut auch junge Talente, Foto: Julia C. David

Wie kann man Mentaltraining konkret beschreiben?
Julia C. David: Mentaltraining wird in die tägliche Trainingsarbeit eingebunden und dient grundsätzlich der Leistungssteigerung. Konkret geht es um Konzentration, Ruhe, Strategie, individuelle Zielsetzung und -definition. Es geht um die Aufarbeitung spezieller Themen: Wie gehe ich mit Druck um? Wie kann ich mehr Selbstvertrauen aufbauen? Wie gehe ich mit Ängsten um? Wie kann ich mir Abläufe konkret bewusst machen? Bewusstsein ist ganz wesentlich, um eine Leistung oder Rennsituation positiv zu beeinflussen.

Wir sehen häufig, dass Rennfahrer kurz vor dem Start im Cockpit sitzen und die Augen schließen. Was geht da in diesem Moment vor sich und haben Sie mit Ihrer Arbeit Anteil daran?
Julia C. David: Genau, das gehört auch zu meinem Programm. Dieses 'in sich gehen' ist ein Ritual, bei dem individuell erarbeitet wird, was die Fahrer für sich vor jedem Rennen innerlich durchgehen. Es handelt sich dabei um eine klassische Wettkampfvorbereitung, in der unter anderem auch mit der Visualisierungstechnik gearbeitet wird. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Fahrer lernen, sich vor dem Rennen auf sich selbst zu konzentrieren.

Ist es schwierig, Rennfahrer von der Wichtigkeit des Mentaltrainings zu überzeugen?
Julia C. David: Ich möchte Menschen von nichts überzeugen. Ich möchte vielmehr für das Thema sensibilisieren und Bewusstsein schaffen. Für den Erfolg ist es elementar wichtig, dass man "will". Meine Klienten sollen aus freien Stücken zu mir kommen, ansonsten macht es keinen Sinn. Wenn mir ein Teamchef etwa all seine Fahrer schicken möchte, von denen aber ein paar nicht wollen, dann bringt die Sache nichts.

Dabei ist Mentaltraining heutzutage im Sport ein wichtiger Aspekt. Kann ein Fahrer, der sich dagegen wehrt, trotzdem die gleiche Leistung bringen?
Julia C. David: Sicher kann ein Fahrer auch ohne Mentaltraining Spitzenleistungen bringen. Die Frage jedoch lautet: Wodurch kann ich meine Leistung noch verbessern und wie weit bin ich bereit, dafür über den Tellerrand zu schauen? Habe ich es schon einmal versucht und erfahren, dass ich auch ohne Mentaltraining zurechtkomme - oder habe ich einfach nur Angst davor, mich diesem Thema zu stellen? Daran erkennt man schnell, wer in seinen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit überdurchschnittlich ist und wer zum Durchschnitt gehört. Ich sage immer: Probiert es aus, zu verlieren habt ihr nichts, im worst case ist es danach genauso wie davor.

Da ich in meiner eigenwilligen Art zu arbeiten jedoch sehr auf die Persönlichkeit setze, gibt es bei mir neben dem Mentaltraining gleich eine Persönlichkeitsentwicklung mit dazu, ich bin keine Oberflächenveredlerin. Das unterscheidet mich auch zu vielen anderen Mentaltrainern. Ich bin überzeugt davon, wer dauerhaft Spitzenleistung erreichen möchte, braucht dafür nicht nur Talent sondern auch die richtige Einstellung und genau diese hat viel mit Persönlichkeit zu tun. Viele Fahrer haben Ängste und sind blockiert. Meine Aufgabe besteht darin, die Gründe dafür herauszufinden.

Mittendrin statt nur dabei, Foto: Julia C. David
Mittendrin statt nur dabei, Foto: Julia C. David

Gerade Nachwuchsfahrer, aber auch einige gestandene Profis, wirken bei Interviews mit Journalisten verschüchtert und überfordert. Woran liegt das und wirkt sich diese vermeintliche Schüchternheit auch auf die Leistung auf der Strecke aus?
Julia C. David: Diese Distanziertheit hat nichts mit den sportlichen Fähigkeiten zu tun. Rennfahrer verfügen grundsätzlich über eine hohe Risikobereitschaft, weil sie in einem Extremsport zuhause sind und dabei auch ihr Leben riskieren. Die Frage ist, warum manche Fahrer distanziert sind: Wägen sie genau ab, was für eine Art Gespräch sie führen wollen, weil sie nicht oberflächlich sind, oder sind sie unsicher? Junge Fahrer sind eher unsicher. Darum geht es auch bei der Persönlichkeitsentwicklung, die jedoch nur funktioniert, wenn die Fahrer regelmäßig zu mir kommen.

Unfälle gehören im Motorsport dazu. Nach einem Crash lassen sich viele Fahrer öffentlich nichts anmerken. Sind die wirklich so cool?
Julia C. David: Es gibt unterschiedliche Arten, damit umzugehen: Manche verdrängen solche Situationen, sie werden aber irgendwann hochkommen und Ängste oder Blockaden nach sich ziehen. Oder man verarbeitet es direkt nach dem Rennen. Man sollte sich in solchen Situationen genau anschauen, was da passiert ist. Ich arbeite mit den Fahrern daran, dass sie Unfälle genau wahrnehmen, mit ihren Ängsten umgehen und sie in einen bestimmten Rahmen setzen. Das gehört zu meiner Arbeit mit dem Unterbewusstsein. Der Fahrer erzählt mir vor allem auf emotionaler Ebene von der Unfallsituation und beschreibt das Erlebte. Mit diesen Wahrnehmungen arbeite ich dann.

Sebastian Vettel wurde nach einigen Rennsiegen in dieser Saison ausgebuht. Er sagte lange, dass ihn das nicht störe und gab erst nach dem Saisonende zu, dass ihn diese Situation doch belastet habe. Warum verhielt er sich wohl so?
Julia C. David: Er wollte in diesem Moment keine Schwäche zeigen. Hätte er aber zugegeben, dass ihn die Buhrufe verletzen, hätte er sicher an Sympathie gewonnen. Vettel ist einfach zu glatt geworden und nicht mehr authentisch. Früher war er der nette Junge von nebenan, der frei sagte, was ihn beschäftigt. Jetzt wirkt er sehr kontrolliert. Diese Kontrolle wirkt langweilig. Menschen wollen Schlagzeilen lesen, zum Beispiel wenn Fernando Alonso mit einer hübschen Frau verschwindet oder Kimi Räikkönen einen über den Durst trinkt - das ist einfach menschlich und dadurch gewinnen diese Fahrer an Interesse. Viele Fans wollten Vettel nicht mehr siegen sehen, weil es einfach zu kontrolliert und ohne Ecken und Kanten wirkte. Ich sage meinen Klienten: Gebt nicht eure Persönlichkeit auf - Menschen interessieren sich doch für Menschen und Ihre Geschichten.

Sportliche Krisen gehören zum Profisport dazu. Können Sie einem Fahrer helfen, der nach zahlreichen Misserfolgen nicht mehr weiter weiß und zu Ihnen kommt?
Julia C. David: Ja, das kann ich. Wir müssen am Selbstbewusstsein und intensiv an der Einstellung arbeiten. Da fällt mir einer meiner Klienten aus dem Profifußball ein: Der saß quasi nur noch auf der Bank. Die Elf, die auf dem Platz stand, war sein größter Feind, weil er natürlich auch spielen wollte, und er versank in einer Negativspirale. Er meinte, dass er nicht mehr dazu gehöre. Er hatte zwar das nötige Können, nicht aber den Willen. Eine Formel: Können mal wollen ist gleich dürfen. Er kann gut kicken, wollte aber nicht, weil er mit seinen Gedanken in eine völlig falsche Richtung abdriftete. Ich sagte ihm, dass er nie spielen wird, wenn er den Trainer infrage stellt, sich nicht als Teil der Mannschaft fühlt und im Training nicht alles gibt. Das hat er schnell begriffen und nach drei Wochen wieder 90 Minuten durchgespielt. Im Motorsport darf man allerdings auch nicht vergessen, dass das Material eine wichtige Rolle spielt und irgendwo einfach Grenzen gesetzt sind.

Geld ist ein entscheidender Faktor im Motorsport, schon Jugendliche werden mit hohen Summen konfrontiert. Wie gehen Sie mit diesem Fall um?
Julia C. David: Ich spreche mit meinen Klienten nicht direkt über Geld, aber im Falle von jungen Fahrern gehen die Eltern unterschiedlich mit dem Thema um. Manche versuchen, dies komplett von ihren Kindern fernzuhalten. Es gibt aber auch Eltern, bei denen das Budget knapp ist, sie die Kinder damit konfrontieren und damit natürlich belasten. Ein Fahrer mit einem geringen Budget lebt immer mit dem Druck, keinen Unfall bauen zu dürfen und das Auto kaputtzumachen. Mit den Jungs muss ich sehr stark am Thema Druck arbeiten und sie lernen, damit umzugehen und eine gewisse Gelassenheit an den Tag zu legen.

Ist es richtig, wenn Nachwuchsfahrer die Formel 1 als Ziel ausgeben?
Julia C. David: Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden. Es ist gut, sich hohe Ziele zu stecken und darauf hinzuarbeiten - aber mit der richtigen Portion Realismus. Wenn ich in einer unterklassigen Rennserie fahre, dort immer Letzter werde und trotzdem in die Formel 1 will, muss man schon einmal ehrlich reflektieren, was denn wirklich vorhanden ist. Talent allein reicht nicht, es muss gepaart sein mit der richtigen Einstellung.