Silverstone: Hier wird Motorsport gelebt, wie nirgendwo anders. Petrolheads gibt es im 'Home of British Motorsport' wie Sand am Meer, besser gesagt wie Schlamm an der Rennstrecke. Doch nicht nur Fans, Stimmung und Umgebung machen den Klassiker im Königreich so besonders, auch die Rennstrecke selbst zählt zu den wenigen verbliebenen Traditionsrennstrecken. Auch nach ihrem Umbau im Jahr 2010 zählt der Silverstone Circuit noch zu den Gradmessern der wahren Performance. Wer in Silverstone vorne ist, ist schnell, so die einfache Faustregel. Doch welches Team hat kommendes Wochenende das beste Paket? Motorsport-Magazin.com nennt die Favoriten für das anstehende Rennwochenende.

Aerodynamik ist Trumpf: Vor allem der ehemalige erste Sektor mit Copse, Maggotts, Backetts und Chapel fordert Downforce. Geht es um Anpressdruck, führt wohl kein Weg an Red Bull vorbei. "Die einzige Strecke, die man noch mit Silverstone vergleichen kann, ist Suzuka - sonst gibt es keine andere Strecke im Kalender, die eine solche Abfolge an superschnellen Kurven hat wie Silverstone", weiß auch Sebastian Vettel um die Besonderheiten des Silverstone Circuit. Die Vergangenheit beweist: Silverstone und Red Bull, das passt. Bei den letzten vier Großbritannien GPs standen Mark Webber und Sebastian Vettel insgesamt sechsmal auf dem Podium.

Doch England ist nicht gleich Vettel-Land. Die Konkurrenz aus dem eigenen Stall machte dem Heppenheimer nicht erst einmal zu schaffen. Unvergessen Webbers Auftritt im Jahr 2010, als der Australier mit dem alten Frontflügel fahren musste und das Rennen gewann, während Vettel das neuere Model erhielt und lediglich als Siebter die Ziellinie überquerte. Auch im vergangenen Jahr hatte Webber seinen Teamkollegen im Griff und konnte im letzten Stint sogar noch Fernando Alonso überholen und sicherte sich somit den Sieg. Nicht nur Vettel zählt am Sonntag also zu den ganz heißen Anwärtern auf den Sieg, auch Webber steht hoch im Kurs.

Was machen die Reifen?

Ein Problem könnte für Red Bull der Reifenverschleiß werden. Schon in Barcelona tat sich das Weltmeisterteam schwer, die Vorderreifen am Leben zu halten. Genau das könnte die Chance für Ferrari sein. Die Scuderia bewies in Spanien bereits, dass der F138 auf aerodynamisch anspruchsvollen Strecken mehr als nur ein Geheimfavorit ist. Ähnlich wie auf dem Circuit de Catalunya sind die lateralen Kräfte auf die Reifen in Silverstone enorm hoch, das kommt Ferrari entgegen. Eine wichtige Rolle wird dabei das Wetter einnehmen. Bleibt es trocken und wird es warm, schlägt das Pendel eher Richtung Maranello aus, kühlere Temperaturen helfen Red Bull.

2011 siegte Fernando Alonso im Ferrari, Foto: Ferrari
2011 siegte Fernando Alonso im Ferrari, Foto: Ferrari

Dass Ferrari in England zu den Sieganwärtern gehört, liegt vor allem an Fernando Alonso. Die Bilanz des Spaniers, seit er für die Italiener ins Lenkrad greift, kann sich sehen lassen: Bei drei Rennen in Silverstone holte Alonso einmal Pole Position, einen Sieg und einen zweiten Platz. Zudem fuhr er zweimal die schnellste Rennrunde. Auf eine Top-Platzierung von Felipe Massa wartet man in Maranello noch vergeblich. Über Rang vier kam der Brasilianer in Northamptonshire noch nie hinaus.

In Barcelona wurden Nico Rosberg und Lewis Hamilton durchgereicht, Foto: Sutton
In Barcelona wurden Nico Rosberg und Lewis Hamilton durchgereicht, Foto: Sutton

Einmal mehr wird spannend, wie gut Mercedes mit dem schwarzen Gold haushalten kann. Bleibt es trocken, steht in Silverstone Realitäts-Check Nummer zwei ins Haus. War in Montreal noch ein leichter Aufwärtstrend beim Umgang mit den Reifen zu sehen - als Maßstab soll nicht Monaco dienen -, droht nahe der Mercedes-Fabrik in Brackley die große Ernüchterung. Dass der F1 W04 auf aerodynamisch anspruchsvollen Strecken auf eine Runde pfeilschnell ist, hat er bereits bewiesen.

Doch die Renntauglichkeit bleibt noch abzuwarten. Während der Circuit de Gilles Villeneuve vor allem die Hinterreifen beim Herausbeschleunigen aus den Schikanen beanspruchte, gilt es auf der Highspeed-Strecke von Silverstone vor allem die Vorderreifen zu schonen. Wie drastisch das für die Silberpfeil-Piloten enden kann, zeigte sich in Barcelona, als Rosberg und Hamilton im Rekordtempo durchgereicht wurden. Bei Mercedes hängt am Wochenende alles von den Reifen und dem Wetter ab. Denn durch eine Reifen-schonende Fahrweise verlieren die Piloten in schnellen Kurven deutlich mehr Zeit als in langsameren Ecken, wie Ross Brawn schon in Montreal feststelle.

Kommt Lotus zurück?

Wird der Großbritannien eine Reifenschlacht, darf natürlich auch Lotus auf der Favoritenliste nicht fehlen. Insbesondere auf Kimi Räikkönen darf hier gespannt geblickt werden. Dann wird sich auch zeigen, ob die vergangenen beiden Rennen nur Ausrutscher aufgrund atypischer Streckencharakteristika waren, oder ob die mäßigen Resultate in Monaco und Montreal einen Abwärtstrend einleiteten. Zahlreiche Updates am Lotus E21 sollen den Boliden aus Enstone wieder in Schlagdistanz zu Red Bull und Co. bringen. Will die Mannschaft von Eric Boullier noch ernsthaft im Weltmeisterschaftskampf bleiben, muss am Wochenende ein größerer Sprung gelingen.

Während bei Lotus die Augen vor allem auf Iceman Räikkönen gerichtet sind, hat Force India für eine mögliche Reifenschlacht zwei heiße Eisen im Feuer. Adrian Sutil und Paul di Resta zeigten bereits, dass mit ihnen zu rechnen ist, wann immer die Reifen im Mittelpunkt standen, geht ihr Force-India-Bolide doch sehr schonend mit den Pirelli-Pneus um. "Als Team haben wir gezeigt, wie wettbewerbsfähig wir sein können, aber ich habe das Gefühl, dass da noch viel mehr kommen wird", ist Sutil optimistisch. Teamchef Vijay Mallya ist mit Prognosen vorsichtiger: "Wir haben ein paar kleine Updates und deshalb bin ich optimistisch, dass wir um unsere üblichen Positionen in den Top-10 kämpfen können. In der Vergangenheit hatten wir keinen großen Erfolg in Silverstone und ich hoffe, dass wir dies nun zurechtrücken können."