Es ist nicht leicht im Formel-1-Geschäft. Es ist noch viel schwerer, als Teamchef die Verantwortung für einen kompletten Rennstall zu tragen. Doch Teamchef von Ferrari, dem Stolz Italiens, zu sein, ist wohl die größte Bürde, die man sich überhaupt im Motorsport aufladen kann. An den Grand-Prix-Wochenenden schaut eine ganze Nation mit 60 Millionen Menschen hin. Gewinnt man, wird man vergöttert. Verliert man, wird man von der Presse gelyncht. Stefano Domenicali ist der vierte Nachfolger des unvergessenen Enzo Ferrari, dessen Bild das Arbeitszimmer jedes Ferrari-Teamchefs ziert.

"Wie man sehen kann, schaut er mir jederzeit über die Schulter", kommentiert Domenicali gegenüber Autosport die Allgegenwärtigkeit des Commendatore. "Das ist ein massives Bild über mir und woran erinnert es mich? An 'R und R'." Diese beiden englischen Begriffe, 'respect' und 'responsibility' (Verantwortung) hat der 47-Jährige zum Leitfaden seiner Geschicke gemacht. Obwohl er in seiner tagtäglichen Papierarbeit und seinen Einsätzen an der Rennstrecke ständig auf Trab ist, glaubt er nicht, dass er Enzo Ferrari jemals wird erreichen können: "Ich habe so großen Respekt vor dem, was er geschaffen hat. Man darf nicht vergessen, er startete mit nichts."

Besser nicht drüber nachdenken

Aus diesem Nichts hat Ferrari dann den Mythos geschaffen, "und dann war Herr Montezemolo in der Lage, den Fluss weiter in die richtige Richtung in einer komplett anderen Situation fließen zu lassen", lobt er auch den aktuellen Chef von Ferrari. "Ich bin nun dafür verantwortlich, mit meiner kleinen, demütigen Arbeit den Wert dieses Unternehmens zu füttern." Dabei redet sich Domenicali nicht selbst klein, sondern vergleicht seine Arbeit mit der unglaublichen Last, die es mit sich bringt, Teamchef des traditionsreichsten Teams der Formel 1 zu sein.

Abu Dhabi 2010: Der wohl schlimmste Moment in der Karriere Alonsos und Domenicalis, Foto: Sutton
Abu Dhabi 2010: Der wohl schlimmste Moment in der Karriere Alonsos und Domenicalis, Foto: Sutton

"Diese Bürde ist so heftig, dass man gar nicht darüber nachdenken darf", gibt er zu. "Vom ersten Moment an fühlt man, wie groß die Verantwortung ist. Sie ist enorm." Er hat seine eigene Strategie entwickelt, damit umzugehen: "Die wichtigste Sache ist, dass man mit dem Druck umgehen muss. Ich versuche, alle Negativität um mich herum vom Team wegzuschieben und sie auf meine Schultern zu nehmen. Ich versuche, das Team davor zu beschützen, denn das bringt die Arbeit bei Ferrari nun leider einmal mit sich."

Die italienische Revolution: Aus Niederlagen lernen

Und diese Negativität kann unbarmherzig zuschlagen. Kein anderes Volk hängt dermaßen mit dem Herzen an seinem Team wie die Italiener an Ferrari. Das rote Team wird vergöttert, ist Staatsreligion. Wer mit Ferrari gewinnt, erlangt auf der Apenninenhalbinsel Unsterblichkeit. Wer mit Ferrari verliert, zieht den Zorn des gesamten Landes auf sich. Domenicali hat diesen Prozess bereits durchgemacht: 2010 sah Fernando Alonso wie der sichere Titelträger aus, doch beim Finale in Abu Dhabi beging das Team einen fatalen Strategiefehler, so dass Sebastian Vettel seinen ersten Titel holte. Domenicali überstand zur Überraschung vieler den Sturmlauf, während der Kopf von Chris Dyer rollte.

"Als Italiener sind wir zu emotional und in solchen Situationen heißt es 'tot oder lebendig'. Entweder bist du der Held und ein Nichts. Gottseidank verhalte ich mich oder denke ich nicht so. Von dieser Herangehensweise halte ich mich fern." Diese pragmatische Einstellung steht im starken Kontrast zur emotional geprägten öffentlichen Meinung. "Wir müssen lernen, zu verlieren. Unsere Welt ist nicht reif genug, das zu verstehen. Wenn man am Maximum ist, dann muss man den Fakt respektieren, dass man gewinnen oder verlieren kann. Die Herangehensweise sollte aber immer sein, sich am Tag danach auf die Fehler zu konzentrieren und sich zu verbessern. So macht man es richtig."

"Wenn man aus einer Niederlage nicht lernt, dann läuft man in die Falle, nur das schlechte Gefühl des Verlierers oder Zweiten mit sich herumzuschleppen", predigt er. "Und, glaubt mir, Zweiter zu werden tut mehr weh als Vierter oder Fünfter zu sein. Leider mussten wir das oft erleben." In der Tat schrammte die Scuderia dreimal in den letzten fünf Jahren knapp am Titel vorbei: 2008 mit Felipe Massa, 2010 und 2012 mit Fernando Alonso. "Ich hasse es, die Weltmeisterschaft im letzten Rennen zu verlieren und leider ist es uns bei mehreren Gelegenheiten seit 1999 passiert", erinnert er sich zurück. Doch aus der Niederlage das Positive mitzunehmen, das sei die große Kunst.