Der erste Titel der Saison ist greifbar nahe. Red Bull hat die Chance, sich beim Großen Preis von Abu Dhabi zum dritten Mal in Folge den Titel in der Konstrukteurs-WM zu sichern. Dass das Team von Sebastian Vettel (407 Zähler) sich den Erfolg bei 91 beziehungsweise 101 Punkten Vorsprung auf die verbliebenen Titelanwärter, Ferrari (316) und McLaren (306), noch aus den Händen nehmen lässt, ist äußerst unwahrscheinlich. Aus den verbleibenden drei Rennen braucht Red Bull noch 38 Zähler, um den Titel endgültig sicher zu haben. Zur besseren Einordnung: Bei den sechs Grands Prix seit der Sommerpause holte Red Bull im Schnitt 27 Punkte pro Rennen. Bei mindestens 87 Punkten Vorsprung nach dem Abu Dhabi Grand Prix ist das Team aus Milton Keynes ebenfalls durch.

Mindestens genauso wichtig wie die finanziell lukrative Team-WM ist für die Titelhamster von Red Bull allerdings der Erfolg in der prestigeträchtigeren Fahrerwertung. Dort hat Titelverteidiger Sebastian Vettel zwar eine gute Ausgangsposition, bei gerade einmal 13 Punkten Vorsprung auf Ferrari-Star Fernando Alonso ist der Titel aber noch lange nicht in trockenen Tüchern. Großartige Sorgen dürfte sich das Weltmeister-Team nach vier Siegen aus den letzten vier Rennen allerdings nicht machen. Dass Teamchef Christian Horner nach dem Erfolg in Indien unkte, Abu Dhabi sei für Red Bull die schlechteste der verbleibenden Strecken, ist eher als taktisches Understatement zu werten, als dass es der Realität entsprechen würde.

Realist, kein Tiefstapler

Lange Zeit galt auch Fernando Alonso als ein Meister der Tiefstapelei, doch seine lange belächelte Befürchtung, dass sich seine ehrgeizigen Ziele im F2012 nur schwer verwirklichen lassen, ist zuletzt bittere Wahrheit geworden. Geschlagen gibt sich der Ferrari-Star aber noch lange nicht. Dass es ein fataler Fehler wäre, ihn im Titelrennen vorzeitig abzuschreiben, bewies der Spanier mit seinem fulminant herausgefahrenen zweiten Platz auf dem Buddh International Circuit. Und es hat fast den Anschein, als wolle Alonso den fehlenden Speed seines Autos mit überbordendem Kampfgeist wettmachen. "Ich gebe niemals auf", stellte er klar. "Es kommen sicher noch bessere Rennen. Wir möchten am Ende in Brasilien feiern."

Gibt es für Vettel in Abu Dhabi die nächste Champagnerdusche?, Foto: Sutton
Gibt es für Vettel in Abu Dhabi die nächste Champagnerdusche?, Foto: Sutton

Will sich Alonso in Interlagos tatsächlich zum dritten Mal die WM-Krone aufsetzen, muss sich Ferrari im Qualifying steigern. Im Rennen ist der Ferrari-Bolide durchaus in der Lage, dem RB8 die Stirn zu bieten, über eine schnelle Runde mussten die Ferrari-Piloten die besten Startplätze zuletzt allerdings regelmäßig an Vettel und Mark Webber abtreten; in Greater Noida fehlten Alonso knapp fünf Zehntel auf die Toprunde seines großen WM-Konkurrenten. Gibt es in Abu Dhabi nun das lange geplante Upgrade? Hoffnung machte den vielen Ferraristi, dass Teamchef Stefano Domenicali nach dem Indien Grand Prix eigens ins Werk nach Maranello zurückreiste, um so viele Upgrades wie möglich für das Gipfeltreffen im arabischen Emirat zu garantieren.

Aber nicht nur Ferrari, auch McLaren geriet in den vergangenen Wochen im gnadenlosen Entwicklungswettkampf unter den Teams ins Hintertreffen. Nach drei Siegen in Folge zur Saisonmitte schwammen der Truppe aus Woking die Felle in Fahrer- und Teamwertung zusehends davon. Sportchef Sam Michael ist dennoch zuversichtlich, dass das britische Traditionsteam die Saison auf einem Hoch beenden kann - die Überlegenheit Red Bulls sei vor allem streckenspezifisch gewesen und keinesfalls in Stein gemeißelt. "Unabhängig von den Updates gibt es von Strecke zu Strecke Schwankungen", erklärte Michael. "In der Vergangenheit wusste man, dass einen diese Trends nicht betreffen, wenn man einen Vorsprung von einer Sekunde hat. Heute weiß man erst an der Strecke, ob man konkurrenzfähig ist."

Diese Meinung teilt jedoch nicht jeder bei McLaren, allen voran der dreifache Saisonsieger Lewis Hamilton. "Ich habe ihren Speed gesehen - ich hatte keine Chance, da mitzuhalten. Selbst wenn ich 200 Prozent gebe und dann einen Unfall baue, kann ich nicht ebenbürtig sein", beurteilte er die Leistung der Red Bulls beim 17. Saisonrennen. Den Verantwortlichen hat der Brite bereits ausgemacht. "Adrian Newey ist einfach ein Genie. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, was er macht. Er ist phänomenal." Große Zuversicht, dass ihm die eigene Technik-Crew in Abu Dhabi ein Auto hinstellt, mit dem er um den Sieg kämpfen kann, klingt aus den Worten des scheidenden McLaren-Stars nicht gerade heraus.

Mercedes im freien Fall

Zugegeben, die Situation von McLaren ist vielleicht nicht ideal, Mercedes würde die Probleme, mit denen sich der britische Konkurrent herumschlägt, aber wahrscheinlich als Jammern auf hohem Niveau bezeichnen. Der mit großen Ambitionen in die Saison gestartete deutsche Vorzeige-Rennstall blieb an den letzten drei Rennwochenenden ohne Punkte. So schlecht lief es für das Team von Michael Schumacher und Nico Rosberg seit der Rückkehr in die Königsklasse noch nie. Und zumindest mit einem Auge scheint Mercedes schon auf das kommende Jahr zu schauen, dass klingt zumindest in den Aussagen von Teamchef Ross Brawn durch. "Bei den Überseerennen hatten wir bislang eine schwierige Zeit, aber wir arbeiten weiter hart, um unsere Performance zu steigern", sagte der Brite. "Gleichzeitig nutzen wir die Gelegenheit, um uns Weiterentwicklungen für die nächste Saison anzusehen."

Sorgt Michael Schumacher auf seiner Abschiedstour noch für einen Knalleffekt?, Foto: Sutton
Sorgt Michael Schumacher auf seiner Abschiedstour noch für einen Knalleffekt?, Foto: Sutton

Rosberg hieb in die gleiche Kerbe wie sein Vorgesetzter. "Wir wollen in Abu Dhabi einige Punkte holen und mehr für das nächste Jahr lernen", gab er als Zielsetzung für das Rennen auf dem Yas Marina Circuit vor. Für Schumacher, der seine lange Karriere nach dem Großen Preis von Brasilien endgültig beendet, wird es aber keine weitere Saison geben. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Rekordweltmeister mit aller Macht versuchen wird, sich mit einem guten Ergebnis aus der Formel 1 zu verabschieden. Fraglich ist nur, ob das in seinem Dienstwagen möglich ist. Kampfansagen oder öffentliche Forderungen ans Team sind von dem 43-Jährigen dennoch nicht zu hören. "Ich hoffe, dass wir das, was wir in Indien gelernt haben, in Abu Dhabi positiv umsetzen können", hielt sich Schumacher vor dem Wüstenrennen bedeckt.