Nach Robert Kubicas schwerem Rallye-Unfall in Italien gehen die Spekulationen um seine Nachfolge weiter. Zwar geht es dem Polen mittlerweile besser, an eine baldige Rückkehr ins Cockpit ist aber wohl nicht zu denken. Nun stellt sich im Millionen-Zirkus der Formel 1 natürlich die Frage, wer seinen Platz bei Lotus Renault einnehmen könnte. Setzt das Team aus Enstone auf den etatmäßigen Ersatzpiloten Bruno Senna, oder doch eher auf einen erfahrenen Fahrer, wie etwa Nick Heidfeld oder Pedro de la Rosa?

Bei einer Tragödie wie dem schlimmen Crash von Kubica bleibt bei den Personalspielen in der Folge selbstverständlich immer ein fader Beigeschmack. Fakt ist aber auch, dass die Formel 1 heute Big Business ist und viele Firmen Unsummen an Geld in den Sport investieren. Die manchmal etwas kalt wirkende Suche nach einem guten Ersatzmann ist daher also nur folgerichtig - auch in der Kürze der Zeit, denn es geht um die Arbeit eines ganzen Teams und hunderter Leute, die am Ende die Früchte ihres Erfolgs ernten wollen. Schlimm genug, dass die Ziele der Gemeinschaft durch das Hobby eines Einzelnen so gefährdet wurden. Lotus Renault muss nun schnell handeln, um den kollektiven Schaden einzudämmen.

Undankbarer Job und schwierige Nachfolge - David Coulthard bekam nach Ayrton Sennas Tod 1994 das zweite Williams-Cockpit, Foto: Sutton
Undankbarer Job und schwierige Nachfolge - David Coulthard bekam nach Ayrton Sennas Tod 1994 das zweite Williams-Cockpit, Foto: Sutton

Für den Fahrer auf den die Wahl am Ende fällt, ist die ganze Situation obendrein nicht einfach. Zum einen, weil Kubica ein exzellenter Pilot ist, dessen Lücke zu füllen äußert schwierig werden dürfte. Und zum anderen, weil man ganz einfach vom Unglücksfall einer anderen Person profitiert, wenngleich auch ungewollt. Schlimmer noch war es sicherlich in der Vergangenheit, als nach den vielen Todesfällen in den gefährlichen Zeiten des Motorsports, nur all zu oft der Platz eines Freundes auf dramatische Weise frei wurde.

Der letzte Fahrer, dem die Last das Cockpit eines tödlich verunglückten Piloten zu übernehmen zu Teil wurde, war 1994 David Coulthard bei Williams. Im Sport wie im Leben liegt es jedoch in der Natur der Sache irgendwann den Platz eines anderen einzunehmen, noch dazu in seinem so hierarchisch aufgebautem Umfeld, wie dem der Formel 1. Die Erfahrung ganz nüchtern die Aufgabe eines Kollegen zu übernehmen - egal ob durch Verletzung oder andere Probleme bedingt - haben von den aktuellen Piloten schon weitaus mehr hinter sich, als man meinen möchte:

Schumacher für Gachot

Wohl eine der kuriosesten Geschichten geht dem Formel-1-Einstieg von Michael Schumacher voraus. Bei Schumachers späterem Team Jordan war eigentlich der unter belgischer Lizenz startende Luxemburger Bertrand Gachot Stammfahrer. Doch dieser wurde im Sommer 1991 in England zwei Monate lang ins Gefängnis gesperrt. Man klagte ihn an, einem Taxifahrer in London Tränengas ins Gesicht gesprüht zu haben. Voraus ging ein heftiger Streit mit seinem Chauffeur im Verkehrsstau der britischen Metropole.

Start einer einzigartigen Karriere - Michael Schumacher 1991 in Spa, Foto: Sutton
Start einer einzigartigen Karriere - Michael Schumacher 1991 in Spa, Foto: Sutton

Da Gachot somit nicht verfügbar war, berief Teamchef Eddie Jordan für das nächste Rennen in Spa den jungen Kerpener Michael Schumacher ins Cockpit. Das Talent zeigte sofort ansprechende Leistungen und qualifizierte sich in dem unterlegenen Boliden auf Anhieb auf Platz sieben - noch vor seinem erfahrenen Teamkollegen Andrea de Cesaris. Auch wenn der spätere Rekordweltmeister schon wenige Meter nach dem Start ausfiel und für das kommende Rennen in Monza zu Benetton wechselte - der Auftritt als Ersatzspieler in Spa war der Beginn einer Weltkarriere.

Glock für Pantano

Aus der Reihe der aktuellen Stammpiloten war Timo Glock der nächste, der zu seinem Formel-1-Debüt vornehmlich durch Probleme eines anderen Fahrers kam. Wieder war der betroffene Rennstall das irische Jordan-Team. 2004 hatte man mit dem Italiener Giorgio Pantano ein großes Talent verpflichtet. Doch zusätzlich musste auch die Sponsorenmitgift stimmen. Als Pantano zu Saisonmitte Probleme hatte das versprochene Geld aufzutreiben, nahm Eddie Jordan ihn aus dem Auto.

Timo Glock war bereits 2004 für Jordan in der Königsklasse im Einsatz, Foto: xpb.cc
Timo Glock war bereits 2004 für Jordan in der Königsklasse im Einsatz, Foto: xpb.cc

Als Ersatz setzte er den jungen Timo Glock ins Cockpit. Beim Rennen in Kanada debütierte der heutige Virgin-Pilot und holte mit Platz sieben sogar erste WM-Punkte. Doch Pantano saß bereits beim Rennen darauf schon wieder im Wagen, da er das fehlende Geld überwiesen hatte. Zwar durfte Glock zu Saisonende noch ein paar Einsätze absolvieren, alles in allem war es aber ein kurzer erster Auftritt in der Formel 1, bevor es ihn in die amerikanische Champ-Car-Serie zog und er sich dank seines Gewinns der GP2-Meisterschaft 2007 im Folgejahr mit Toyota am zweiten Frühling der Königsklasse versuchen durfte.

Kubica für Villeneuve

Ausgerechnet Robert Kubica, der mit seinem Unfall auch dieser Tage für Bewegung im Personalkarussell gesorgt hat, kam seiner Zeit selbst als Ersatzmann in die Formel 1. 2006 fuhr ursprünglich Jacques Villeneuve für das BMW-Sauber-Team. Bei einem heftigen Unfall in der Zielkurve des Rennens am Hockenheimring in Deutschland verletzte sich der Weltmeister von 1997 jedoch leicht. Da das folgende Rennen nur eine Woche darauf in Ungarn stattfand, wurde Villeneuve nicht rechtzeitig fit. Für den Kanadier ließ man daher Freitagsfahrer Kubica starten.

Der Unfall von Hockenheim war bislang Jacques Villeneuves letzter Auftritt in der Formel 1, Foto: Sutton
Der Unfall von Hockenheim war bislang Jacques Villeneuves letzter Auftritt in der Formel 1, Foto: Sutton

Der Pole machte seine Sache beim Debüt ordentlich. Seinen siebten Platz bei wechselhaften Bedingungen verlor er zwar nach dem Rennen wegen eines untergewichtigen Autos, doch das Team wollte ihm nun eine weitere Chance geben sich zu beweisen. Für Villeneuve als gestandenen Piloten eine inakzeptable Situation. Der Kanadier wertete die Versuche des Teams ihn vor ein Shootout mit dem Rookie zu stellen als Despektierlichkeit und trennte sich von BMW. Frisch verheiratet und mit einer schwangeren Frau an seiner Seite zog er es vor, sich ins Privatleben zurück zu ziehen. Kubica hingegen behielt seinen Platz bei BMW und ließ bald gute Leistungen folgen.

Vettel für Kubica

Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass Robert Kubica nur ein Jahr später erneut im Mittelpunkt eines Wechselspiels stand. Die Bilder seines Horror-Crashs beim Großen Preis von Kanada 2007 sind den meisten Zuschauern noch deutlich vor Augen. Nach einer Berührung mit Jarno Trulli kam der Pole bei der Anfahrt zur Haarnadel von der Strecke ab, wurde ausgehebelt und prallte in der Luft frontal gegen eine Betonmauer. Das Fahrzeug wurde komplett zerstört, die Fahrgastzelle blieb zu Kubicas großem Glück jedoch intakt und der Pole überlebte fast unverletzt.

Nervös vor dem ersten Rennen - Sebastian Vettel in der Startaufstellung von Indianapolis 2007, Foto: Sutton
Nervös vor dem ersten Rennen - Sebastian Vettel in der Startaufstellung von Indianapolis 2007, Foto: Sutton

Erneut fand das nächste Rennen jedoch nur eine Woche später statt - für Kubica nach dem schweren Unfall noch zu früh und so setzte man bei BMW erneut auf den Freitagsfahrer. In diesem Fall war das ein gewisser Sebastian Vettel, der bereits mit guten Leistungen in den Trainings auf sich aufmerksam gemacht hatte. Auch beim Debüt konnte der Weltmeister von 2010 überzeugen. Trotz eines kleinen Fehlers am Start sicherte sich Vettel am Ende Platz acht und holte somit als jüngster Pilot der Geschichte einen Formel-1-Punkt. Abermals war es der Start einer großen Karriere.

Alguersuari für Bourdais

Besonders viele Leute erkannten Jaime Alguersuari in der Startaufstellung vor seinem ersten Grand Prix noch nicht, Foto: Sutton
Besonders viele Leute erkannten Jaime Alguersuari in der Startaufstellung vor seinem ersten Grand Prix noch nicht, Foto: Sutton

Der Spanier Jaime Alguersuari war vor seinem Einstieg in die Königsklasse höchstens Insidern bekannt. Als Teil des Red-Bull-Junioren-Kaders nahm er an der Renault World Series teil. 2008 war er Meister der britischen Formel 3 geworden, was ihm ermöglichte die Karriereleiter fortan sehr schnell zu erklimmen. Beim Red-Bull-Tochterteam Toro Rosso war man Mitte der Saison 2009 derweil unzufrieden mit den Leistungen des Stammpiloten Sebastien Bourdais. Der Ex-Formel-3000-Champion und vierfache Champ-Car-Meister aus Frankreich tat sich in seinem unterlegenen Boliden in der Formel 1 schwer.

Zum Rennen in Ungarn gab es dann die große Überraschung. Bourdais wurde unehrenhaft vor die Türe gesetzt und mit Jaime Alguersuari ließ man die Jugend ran. Dies war vor allem wörtlich zu nehmen, da der Spanier mit seinen 19 Jahren und 125 Tagen beim Debüt zum jüngsten Formel-1-Piloten aller Zeiten avancierte. Im Rennen belegte der Spanier dann Rang 15 und konnte sich nach einer durchwachsenen zweiten Saisonhälfte 2009 im letzten Jahr dann doch deutlich steigern.

Kobayashi für Glock

Auch Timo Glock holte das Schicksal nochmals ein. Nach einem Fahrfehler in der Zielkurve von Suzuka schlug der Toyota-Fahrer im Qualifying zum Rennen 2009 heftig in die Reifenstapel ein. Zwar kam Glock mit Schnittverletzungen am Bein noch halbwegs glimpflich davon - an weitere Einsätze zu Saisonende war aber so schnell nicht mehr zu denken. Das japanische Team entschied sich, in Abwesenheit des Deutschen, Ersatzfahrer Kamui Kobayashi eine Chance zu geben. Der Japaner hatte sich in der GP2 einen Namen gemacht und Glock bereits im Training zum Japan-Grand-Prix vertreten, da dieser sich nicht wohl gefühlt hatte.

Das Duell mit Jenson Button auf dessen Weg zum Titel war ein Highlight des Debüts von Kamui Kobayashi, Foto: Sutton
Das Duell mit Jenson Button auf dessen Weg zum Titel war ein Highlight des Debüts von Kamui Kobayashi, Foto: Sutton

Bei den Rennen in Brasilien und Abu Dhabi durfte sich der Jungspund dann im Rennen beweisen und zeigte beachtliche Leistungen. Vor allem sein fehlender Respekt gegenüber den gestandenen Gegnern und seine aggressiven Überholmanöver fielen auf. Für Peter Sauber Grund genug das Talent 2010 in sein Team zu holen, da es für den Japaner nach dem Ausstieg Toyotas bei seinem ursprünglichen Rennstall nicht weiter ging. Kobayashi zahlte es dem Schweizer in der Folge mit guten Resultaten dankend zurück und bewies einmal mehr: Es ist nicht so entscheidend wie man in die Formel 1 kommt - sondern was man daraus macht.