1. Warum war Vettel auf einmal schneller als Webber?

Zu Rennbeginn schien Mark Webber abermals schneller zu sein als sein Teamkollege Sebastian Vettel. Das änderte sich vor Runde 40. Vettel schloss zu Webber auf, zog zum Überholmanöver heraus und kollidierte mit dem Australier. Zunächst war Helmut Marko davon überzeugt, dass Webber nicht über den Angriff von Vettel informiert gewesen sei.

"Sein Renningenieur stand auf der Leitung", kritisierte der Red-Bull-Motorsportberater. Vettel hatte sich bei seinem Überholversuch offenbar darauf verlassen - sprich, war dementsprechend informiert worden -, dass Webber über die Gesamtsituation im Bilde wäre und keinen großen Widerstand leisten würde. Was er nicht ahnen konnte: Dass Webbers Renningenieur Clairon Pilbeam seinen Fahrer über die Wünsche der Teamführung nicht instruiert hatte... Ob der Funkspruch im türkischen Luftraum verloren ging, der Ingenieur es einfach verpennte oder Fahrer und Renningenieur vielleicht eigene Wege gehen wollten, ist nicht bekannt.

Nur so viel: Im Debriefing stellte sich heraus, dass Webber seinen Motor in den Benzin-Sparmodus versetzt hatte. Somit hatte Vettel mehr Leistung. Der Deutsche hätte erst eine Runde später auf mager stellen müssen, weil er vorher im Windschatten ein Kilo Benzin sparen konnte. Auch den Angriff auf seinen Teamkollegen rechtfertigte das Team. "Sebastian hat immensen Druck von McLaren bekommen", sagte Marko. "Wenn er nicht reagiert hätte, dann hätte ihn Hamilton überholt."

2. Wer hatte Schuld: Vettel oder Webber?

Sebastian Vettels Sicht der Dinge wurde bereits deutlich, als er sich mit wilden Handgesten im Auto von der Strecke drehte. Auch nachdem er ausgestiegen war, zeigte er mit und ohne Helm einen Vogel. "Seb hatte beim Top-Speed einen Vorteil", begann Webber seine Sicht der Dinge. "Wir waren nebeneinander und es sah so aus, als kam er zu früh nach rechts." Er habe nicht das Gefühl gehabt, riskant gefahren zu sein.

Vettel sah das anders - die TV-Bilder würden eine eindeutige Sprache sprechen: "Ich war innen und hatte damit Vorrang auf die nächste Kurve. Ich habe mich nur auf das Anbremsen für Kurve zwölf fokussiert, dann bekam ich einen Schlag."

Vettel und Webber kosteten Red Bull viele Punkte, Foto: Sutton
Vettel und Webber kosteten Red Bull viele Punkte, Foto: Sutton

Die Experten und Fahrerkollegen waren anderer Meinung. "Das ist ganz klar Sebastians Fehler", analysierte Nico Rosberg. Auch Alexander Wurz ist dieser Meinung: "Webber hat Vettel genug Platz gelassen, Vettel war innen schneller, hat sich eine halbe Autolänge vor Webber gesetzt und dann hat er den Fehler gemacht, kurz und abrupt nach rechts zu ziehen - unmittelbar vor dem Anbremsen."

Das hätte Vettel geschickter lösen können, glaubt auch Christian Danner. "Er hat sich quer gestellt beim Anbremsen und deswegen ist er Webber reingefahren." Aber egal wie - die Teamführung war wenig begeistert. "Es war ein unnötiger Zwischenfall", klagte Marko. "Er wäre vermeidbar gewesen, wenn die Fahrer mehr Verständnis gezeigt hätten."

Christian Horner wurde noch deutlicher: "Es ist inakzeptabel, dass so etwas passiert." Beide Fahrer hätten 43 WM-Punkte an den härtesten Rivalen verschenkt. Und dann gab es im ersten Moment doch eine Schuldzuordnung: "Die McLaren fuhren auch gegeneinander. Die haben sich Platz gelassen, Mark hat Seb keinen Platz gelassen."

3. Wie geht es bei Red Bull weiter?

"So eine Geschichte ist gefährlich für ein Team", glaubt Alex Wurz. Es bestehe die Gefahr, dass sich die Mannschaft in zwei Lager spaltet und uneffizient werde. Horner lässt solche Gedanken gar nicht erst aufkommen. "Wir sind ein Team", sagte er. "Wir müssen beim nächsten Rennen wieder zurückschlagen."

Ganz ohne Aussprache geht das nicht. "Da wird nicht lange diskutiert, sondern klar die Meinung gesagt - dem Renningenieur und dem Fahrer", sagte Marko. So etwas dürfe nicht noch einmal passieren. "Beide Piloten fahren für das Team", bestätigte Horner. "Kein Individuum ist größer als Team." Dass die Beziehung zwischen Webber und Vettel leiden wird, glaubte der Teamchef nicht. "Sie sind beide Profis. Sie hatten in Fuji 2007 schon Kontakt und kamen danach gut miteinander aus. Sie werden auch das hier überstehen."

4. Warum war Button schneller als Hamilton?

Urplötzlich war Jenson Button an seinem Teamkollegen Lewis Hamilton dran und setzte zum Überholmanöver an. Was war passiert? Beide McLaren-Piloten mussten Benzin sparen, aber Button begann damit schon 30 Runden früher und fuhr schneller als Hamilton. "Das Rundenzeitenziel, das mir das Team gab, war vielleicht etwas zu niedrig und plötzlich klebte Jenson an meinem Heck", erklärte Hamilton.

Button und Hamilton kämpften hart, aber fair - oder glücklich, Foto: Sutton
Button und Hamilton kämpften hart, aber fair - oder glücklich, Foto: Sutton

Button war das egal: "Ich weiß nicht, warum Lewis so langsam war, aber ich kam gut durch Kurve 12 und überholte ihn." Danach kämpften beide für drei Kurven Rad an Rad. "Aber ich war in der Schlusskurve falsch positioniert, kam schlecht heraus und er konnte mich auf der Geraden überholen", sagte Button, der danach klein bei gab respektive geben musste. Das Team wiederholte immer wieder einen Funkspruch an beide Fahrer: "Benzin sparen!"

"Wir hatten nicht erwartet, dass das Rennen so schnell sein würde", begründete Button die kleine Benzinnot. Böse Zungen würden behaupten, dass McLaren damit einen netten Code gefunden hat, um zu sagen: "Macht ja keinen Blödsinn und schießt Euch nicht gegenseitig ab - Positionen halten!" Aber das wäre ja Stallregie und damit verboten...

"Wir dürfen gegeneinander kämpfen, aber vernünftig", betonte Hamilton. "Wir sind nicht dumm." Er würde keine gefährliche Aktion gegen Button einleiten und umgekehrt. "Es war ein harter Kampf", bestätigte Button. "Aber wir haben uns nicht berührt und sind trotzdem Erster und Zweiter geworden, so wird das gemacht!" Red Bull hat es gesehen.

5. Warum schwankte der Abstand von Rosberg zu Schumacher?

Erst war Nico Rosberg nah an Michael Schumacher dran, dann zog sich der Abstand weiter auseinander und er schien das Feld dahinter aufzuhalten. Am Ende schloss er wieder zu seinem Teamkollegen auf. Robert Kubica mutmaßte deshalb schon im Renault-Funk, dass Rosbergs Vorderreifen hinüber seien und er alle aufhalte.

"Meine Reifen waren nicht kaputt", wehrte sich Rosberg. "Ich machte langsam, weil der Regen kam und ich wegen des Regens vielleicht an die Box gemusst hätte. In diesem Fall hätte ich fünf Sekunden Abstand zu Michael gebraucht. Deswegen habe ich geschaut, dass der Abstand groß genug ist, damit ich keinen Platz verloren hätte." Aber der Regen kam nicht, deswegen konnte er am Ende wieder aufschließen.

Auch Schumacher nahm im Rennen einmal Speed heraus. "Ich bin bewusst etwas langsamere Zeiten gefahren, um die Reifen zu schonen." Danach habe er wieder schneller fahren können.

6. Warum fiel Petrov zurück?

Vitaly Petrovs Leistung blieb unbelohnt, Foto: Sutton
Vitaly Petrovs Leistung blieb unbelohnt, Foto: Sutton

Vitaly Petrov überzeugt in Istanbul. Erst im Qualifying, dann im Rennen. Einen verdienten Punkteplatz verlor er kurz vor Rennende im Duell mit Fernando Alonso, den er zuvor bravourös hinter sich gehalten hatte. "Alonso versuchte in Kurve 3 außen an mir vorbeizugehen, wir berührten uns und das verursachte den Reifenschaden", erklärte der Russe. Der folgende Boxenstopp kostete ihn eine Punkteplatzierung. Sein Teamchef Eric Boullier meinte zu dem Ausfall: "So nahe am Ende des Rennens einen Plattfuß zu haben, ist brutal. Denn Petrov hatte nach diesem starken Wochenende wirklich ein gutes Resultat verdient."

7. Worauf mussten die Piloten aufpassen?

Nachdem das Rennen sich eingefahren hatte, kamen immer wieder Meldungen der Wetterfrösche: In 15 Minuten Regen, für 15 Minuten Regen, Intensität des Regens 2-3 - aber irgendwie wollte der Regen nicht so richtig und zog an der Strecke vorbei. Bis auf ein paar Tröpfchen kam nichts herunter.

Das reichte Fernando Alonso aber, um auf seinen Ferrari besonders Acht zu geben. "Es hat praktisch die ganze Zeit getröpfelt, man wusste nie, ob die Kurve noch Haftung bietet", erklärte der Spanier. "Da mussten alle fünf Sinne wach sein." Michael Schumacher dachte sogar noch weiter. Nachdem ihm sein Renningenieur Andrew Shovlin ins Cockpit gefunkt hatte, dass es 2-3 mm Regen geben könnte, fragte der Deutsche cool: "Damit kann ich nichts anfangen. Bedeutet es, dass wir Intermediates fahren müssen?" So weit kam es nicht.

8. Warum stimmten die letzten Startplätze?

Ganz wie in der Kindersendung "1, 2 oder 3" ging es nach der Einführungsrunde am Ende der Startaufstellung zu: Jarno Trulli, Bruno Senna und Karun Chandhok wechselten munter die Startpositionen - nur ein Licht fehlte, um ihnen zu zeigen, ob sie richtig standen.

"Trulli stand auf meinen Startplatz", berichtete Bruno Senna. "Er ist erst im letzten Moment auf seinen gefahren. Ich stand auf Karun Chandhoks Platz, habe dann aber nicht mehr vorgezogen, damit das nicht noch als Fehlstart gewertet wird." Sennas Teamkollege Chandhok klemmte sich direkt hinter ihn. "Er hat nicht mal mehr die Startampel gesehen..." Lucas di Grasi bekam von all dem gar nichts mit. Der Virgin-Pilot startete wegen eines Motorproblems aus der Boxengasse.