Showdown im Motodrom! Am kommenden Wochenende entscheidet sich die DTM-Meisterschaft 2022 beim großen Saisonfinale auf dem Hockenheimring (07.-09. Oktober). Das gab es nie zuvor in der deutschen Traditionsrennserie: Vor den letzten beiden Rennen des Jahres haben zehn Fahrer theoretische Titelchancen. Die Top-5 der Gesamtwertung, angeführt von Sheldon van der Linde (Schubert-BMW), trennen nur 16 Punkte. 58 Zähler werden in den beiden Qualifyings und Rennen noch vergeben.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf Rene Rast (Abt-Audi), der als Gesamt-Dritter und mit zwölf Punkten Rückstand zu Kumpel van der Linde kräftig um den Titel mitmischt. Gelingt dem scheidenden Audi-Werksfahrer das Kunststück, wäre es sein vierter DTM-Titel in nur fünf Jahren. 2017, 2019 und 2020 war der 35-Jährige bereits siegreich. Zweimal machte Rast dabei den Titel-Triumph beim Finale in Hockenheim perfekt...

Rast ist der einzige Fahrer aus dem engen Kreis der Titelanwärter, der bereits den großen DTM-Meisterpokal gewonnen hat. Ein psychologischer Vorteil vor dem sicherlich eisenhart umkämpften Finale, in dem sich der Druck definitiv noch einmal steigern wird?

"Ich fahre jetzt zum fünften Mal in der DTM um den Titel", sagte Rast zuletzt in Spielberg zu Motorsport-Magazin.com und feixte: "Ich kenne das Gefühl, wenn du am Samstag da stehst und die Hosen voll hast. Das kennen die anderen nicht in der DTM. Ich kann mir schon vorstellen, dass die die Haupttage auf dem Klo verbringen, nicht gut schlafen oder Fehler passieren. Der erste Titel ist immer etwas ganz Besonderes, ich weiß das."

Psycho-Spielchen sind auch im Rennsport ein probates Mittel - und Rast hat mehrfach bewiesen, dass er im Ernstfall Nerven aus Drahtseil hat. Man denke nur an 2018, als er in Folge eines Horror-Starts mit Audi die letzten sechs Saisonrennen am Stück gewann und den Titel nur um wenige Punkte an Mercedes-Pilot Gary Paffett verlor. Rast hat in der DTM mehrfach bewiesen, dass er absolut Außergewöhnliches leisten kann.

Das weiß auch Thomas Biermaier, Rasts Teamchef bei Abt Sportsline. 2019 mit Mattias Ekström und 2020 mit Nico Müller mussten die Äbte beim Finale Titel-Pleiten gegen Rast - damals noch bei Rosberg-Audi - einstecken. Jetzt hat Biermaier das Titel-Monster in der eigenen Garage... Biermaier zu Motorsport-Magazin.com: "Vielleicht haben wir einen Vorteil, weil wir einen erfahrenen Piloten haben, der weiß, wie man Titel gewinnt. Wir sind oft genug Zweiter oder Dritter geworden - es reicht jetzt!"

Der Meisterschaftsführende Sheldon van der Linde zeigte sich angesichts der Titel-Parade seines Agentur-Kumpanen Rast unbeeindruckt. "Es geht um den Titel und der Einsatz ist hoch", sagte der BMW-Werksfahrer in Diensten von DTM-Debütant Schubert Motorsport an diesem Mittwoch. "Ich denke aber nicht, dass es für Rene einfacher ist."

Van der Linde hat mit seinen erst 23 Jahren in der DTM-Saison 2022 größtenteils überzeugt - mit starker Pace und einer absoluten Abgeklärtheit. Der Südafrikaner und jüngere Bruder von Abt-Pilot Kelvin wirkt deutlich gereift in seiner bereits vierten DTM-Saison mit BMW. Sheldon: "Es ist verrückt, dass ich in Europa noch nie einen Titel gewonnen habe. Das wäre für mich bei Weitem die größte Leistung."

Seine Nervenstärke hat van der Linde mehrfach in anderen Kategorien bewiesen, unter anderem stand er bei den 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring, in Spa-Francorchamps und Daytona auf dem Podium. Für eine Meisterschaft reichte es allerdings noch nicht, 2018 scheiterte er mit Kelvin als Teamkollege bei Land-Audi haarscharf im ADAC GT Masters.

Deutlich mehr Erfahrung haben die Titelanwärter Lucas Auer (Winward-Mercedes) mit 28 Jahren und der 32-jährige Lamborghini-Werksfahrer Mirko Bortolotti (GRT-Lamborghini). Von einem Psycho-Vorteil seitens Rast wollte Auer vor dem Abschluss seiner bereits siebten Saison in der DTM nichts wissen: "Die meisten von uns waren seit dem Kartsport schon in Titelkämpfen. Es stimmt, Rene war sehr erfolgreich in der DTM. Aber die meisten von uns wissen, wie es läuft im Titelkampf. Ich denke nicht, dass er da einen Vorteil hat."

Auer reist als Gesamt-Zweiter mit 119 Punkten nach Hockenheim - elf Zähler weniger als van der Linde, einer mehr als Rast. Der Österreicher blickt bei seinen bisherigen 121 Rennstarts auf die starke Bilanz von acht Siegen, 19 Podestplätzen und elf Pole Positions zurück - mit dem Titelkampf hatte er bei einem Saisonfinale allerdings noch nie etwas zu tun. Platz fünf im Jahr 2021 war Auers bestes Gesamtresultat. Auer war sicher: "In den letzten Rennen musst du gewinnen, fünfte Plätze reichen nicht."

Als absolut abgezockt gilt auch DTM-Debütant Bortolotti, dem als Gesamt-Fünften 16 Punkte auf van der Linde fehlen. Der in Wien lebende Italiener, der die Meisterschaft zur Saisonhalbzeit sogar angeführt hatte, sagte mit Blick auf Rast: "Renes einziger Vorteil ist, dass er trotzdem drei Trophäen zuhause hat, wenn das Wochenende nicht so läuft wie geplant. Ich kenne ihn ein bisschen und glaube, dass er Gas geben wird, als wäre es sein erster Titel."

Bortolotti selbst verfügt ebenfalls über eine höchst ansehnliche Pokalsammlung, unter anderem mit Klassensiegen bei 24 Stunden von Daytona, einem Blancpain-Titel und zwei Meisterschaftsgewinnen in der Italienischen Formel 3 sowie Formel 2. "Ich habe schon Titel und wichtige Rennen gewonnen, ich kann mich nicht beschweren", sagte Bortolotti. "Den DTM-Titel zu holen, wäre eine riesige Sache. Jeder Titel ist speziell für mich, egal ob in der DTM oder in einer Serie mit geringerem Prestige."

Während van der Linde, Auer, Rast und Bortolotti über weite Strecken der DTM-Saison an der Spitze mitmischten, schaltete sich Porsche-Werksfahrer Preining erst spät ins Geschehen ein. Mit seinem zweiten DTM-Sieg zuletzt beim Spielberg-Heimspiel katapultierte er sich und seinen Porsche 911 GT3 R von Timo Bernhards Truppe weit nach vorne in den Kreis der größten Titelanwärter.

Preining zeigte sich vor dem Hockenheim-Finale absolut gelassen, frei nach dem Motto: volle Attacke, Erwartungen bereits übertroffen, nichts zu verlieren! "Es ist gut, wenn du so eine Situation kennst, aber es ist ein Titelkampf wie in jeder anderen Serie auch", meinte der DTM-Debütant cool. "Das ändert nichts am Ziel, wobei die Plattform größer ist als bei vielen anderen Serien. Wenn du in der DTM den Titel gewinnst, ist das ein Beleg dafür, wie gut du gearbeitet hast."