Ralf, wo siehst du die größten Unterschiede zwischen deiner Karriere als Rennfahrer in der DTM (2008-2012) und der heutigen Zeit unter dem GT3-Reglement?
Ralf Schumacher: Die DTM war damals eine Hersteller-getriebene Rennserie und deshalb im Kern etwas professioneller organisiert, weil drei Hersteller das Regelwerk geschaffen haben. Diese Koordination ist heute schwieriger, weil durch BoP, viele unterschiedliche Hersteller und die Teams alles etwas 'bunter' geworden ist. Außerdem sind heute Fahrer im Starterfeld vertreten, die früher wohl nicht in der DTM gefahren wären. Damals in den Werkskadern galten noch andere Kriterien.

Hat die DTM heute noch die gleiche Aufmerksamkeit wie zu früheren Zeiten?
Ralf Schumacher: Die Berichterstattung in Deutschland von früher ist mit der heutigen Zeit nicht vergleichbar, da nehme ich auch die DTM dazu. Was Michael damals geschafft hat, ist selbst Sebastian Vettel nicht gelungen, obwohl er vierfacher Weltmeister ist. Damals in der DTM haben die ehemaligen F1-Fahrer sicherlich geholfen. Vor allem haben die Hersteller aber viel Geld investiert, um der DTM eine öffentliche Präsenz zu verleihen. Heute kämpfen Gerhard Berger und sein DTM-Team an allen Fronten, um die Serie finanziert zu bekommen. Dieses Jahr wird das bekanntermaßen noch aus dem Topf der alten DTM getragen. Aber für große Werbemaßnahmen wie zu früheren Zeiten fehlt das Geld.

Foto: DTM
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Früher hatte die DTM stets den vielzitierten Premium-Anspruch. Wie siehst du die Situation aktuell?
Ralf Schumacher: Die DTM ist sicherlich eine ordentliche Plattform, aber faktisch ein verlängerter Arm des GT3-Reglements. Weil diese Autos überall auf der Welt eingesetzt werden, fehlt der DTM das frühere Alleinstellungsmerkmal ein wenig. Man darf aber nicht vergessen, dass Gerhard gar keine andere Wahl hatte. Mit welchen anderen Autos hätte die DTM sonst fahren sollen und welche Teams wären heute noch in der Lage, die teuren Prototypen zu finanzieren?

Zuletzt in Spa hast du als einer von wenigen Vertretern im DTM-Fahrerlager Klartext gesprochen und einige Regel-Entscheidungen kritisiert...
Ralf Schumacher: Meines Erachtens sind die Regeln nicht eindeutig. Man sollte für die Zukunft darüber nachdenken, Dinge aus der Formel 1 zu übernehmen, die funktionieren. Es kommen viele Faktoren zusammen. Ich weiß nicht, ob der Rennleiter immer ein glückliches Händchen hat. Vielleicht auch, weil er nicht unbedingt im europäischen Motorsport zuhause ist. Ich mag den AvD (Sportlicher Ausrichter der DTM), kann mich aber nicht daran erinnern, dass er früher schon mal für solche Veranstaltungen verantwortlich war. Das muss wachsen, da fehlt es vielleicht noch etwas an Erfahrung und Leuten. Gleichzeitig habe ich Respekt vor der Arbeit der AvD-Leute an den Rennwochenenden. Und Gerhard hat natürlich auch alle Hände voll zu tun, weil in Motorsport-Deutschland links und rechts alles wegbricht. Ich glaube, diese Kombination ist manchmal nicht ganz glücklich.

In vielen Medien wurde die regelrechte Flut an Strafen während des Spa-Wochenendes kritisiert. Für dich nachvollziehbar?
Ralf Schumacher: Einige Entscheidungen kapiert niemand und es ist für alle lästig. Die Sportkommissare beraten bis spät abends und die Teams müssen warten. Es fehlt an Konstanz. David hat mal eine 5-Platz-Gridstrafe bekommen, weil ein Reifen vertauscht wurde. Jetzt in Spa ist einem anderen Team etwas Ähnliches passiert und es gab nur eine 500-Euro-Geldstrafe. Das muss mir mal einer nachvollziehbar erklären...

Foto: Gruppe C Photography
Foto: Gruppe C Photography

In Spa wurden zahlreiche Geldstrafen verteilt, weil Teams im nassen Qualifying ihre Boxenplätze mit einem Laubgebläse getrocknet haben statt wie im Reglement vorgesehen mit einem Besen und Gummiabzieher. Wie betrachtest du das rückblickend?
Ralf Schumacher: Am Abend hieß es erst, dass derartige Vergehen mit einer 3-Platz-Gridstrafe geahndet werden. Und am nächsten Morgen gibt es die Rolle rückwärts und nur Geldstrafen, weil zu viele Fahrer betroffen waren. Da sage ich: Wenn so viele nicht die Regeln lesen können, dann müssen sie was anderes tun, aber nicht DTM fahren. Auch Davids Team Winward hat sich an die Regeln gehalten und hatte dadurch effektiv einen Nachteil, weil es mit Slick-Reifen natürlich besser ist, auf einem trockenen Boxenplatz zu stoppen. So etwas darf in der DTM eigentlich nicht passieren. Ich vermute, dass da im Hintergrund einige Drohungen ausgesprochen wurden. Ansonsten kann ich die Änderung dieser Entscheidung nicht nachvollziehen.

Mangelnde Konstanz bei den Regel-Entscheidungen waren zuletzt ein großes Thema in der DTM. Muss sich hier etwas ändern?
Ralf Schumacher: Das ist ein Problem. Das muss Gerhard im Sinne der für Deutschland wichtigen DTM einfach klären. Da macht er es sich zu leicht, wenn er sagt, das sei nicht sein Zuständigkeitsbereich. Das sehe ich anders. Im Sinne der Kunden und des Sports muss dieses Thema geklärt werden. Gerhard und auch Martin Tomczyk haben große Erfahrung und ich weiß, dass sie das können. Vielleicht denkt Gerhard ein wenig zu viel an alte F1-Zeiten, in denen sich Bernie (Ecclestone) um das Geschäft und auf der anderen Seite Max (Mosley) um die Regeln gekümmert hat. Nur: In der DTM gibt es keinen wie Max Mosley. Aber...

Ja, bitte?
Ralf Schumacher: Ich bin gleichzeitig froh, dass Gerhard sich um die DTM kümmert. Alle wissen ja, wie es um Motorsport-Deutschland bestellt ist, auch, wenn wir mit dem ADAC GT Masters eine weitere starke Plattform und mit den 24h Nürburgring ein weltberühmtes Rennen haben. Aber der Verlust der Formel 3 war ein herber Rückschlag. Das war unsere Brücke zum internationalen Motorsport. Das hat Jean Todt zu verantworten, von dem ich ansonsten viel gehalten habe. Wenn dann noch die DTM als Plattform wegfallen würde, hätten wir ein großes Problem in Deutschland.

Foto: DTM
Foto: DTM

In Spa sagtest du, dass solche Themen die DTM in Gefahr bringen können. Was meinst du damit?
Ralf Schumacher: Es gab in dieser Saison einige Vorfälle auf der Rennstrecke, auch mit David, die ich nicht nachvollziehen kann. Und wenn ich da mit Sponsoren sitze, die viel Geld investieren, muss man sich unweigerlich die Frage stellen, ob man sich das antun muss. Und da bin ich ja nicht der Einzige. Deshalb ist die DTM definitiv in Gefahr. Man darf nicht vergessen: Teams müssen viel Budget aufbringen und sind davon abhängig, dass die DTM einen Unterschied macht, die Zuschauer begeistert und Sponsoren kommen. Da sind Theorie und Praxis noch nicht ganz beieinander. Wenn dann noch solche Strafen-Exzesse vorkommen, über die mehr als über den Sport diskutiert wird, dann ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem Partner und Teams ihr Geld in andere GT3-Serien tragen.

Was kannst du zu Davids Zukunft in der DTM sagen?
Ralf Schumacher: Zu Davids Zukunft kann ich aktuell nichts sagen. Ich möchte die letzten beiden Rennwochenenden sowie den Rennkalender für 2023 abwarten und sehen, wie es mit der DTM weitergeht. Es gibt ein paar Themen, die mich beschäftigen. Wie den rollenden Rennstart, bei dem praktisch nur die Top-4 der Startaufstellung die Startampel sehen können. Die Fahrer erhalten beim Start ein Funksignal von ihren Ingenieuren, es ist aber bekannt, dass es da eine zeitliche Verzögerung gibt. Das ist ein Witz: Wir fahren in der DTM und zwei Drittel des Feldes sehen die Ampel nicht! Das hätte schon in dieser Saison geändert werden sollen. Man lässt die Fahrer damit im Stich und obendrein kosten die daraus resultierenden Schäden eine ganze Menge Geld!

Foto: DTM, WWR, Russart & Lösch
Foto: DTM, WWR, Russart & Lösch

Beim denkwürdigen Crash-Rennen auf dem Norisring haben wir von Millionenschäden berichtet...
Ralf Schumacher: Da ist auch die Disziplin der Fahrer entscheidend. Auf dem Norisring haben sich einige komplett daneben benommen. Auch Davids Auto war rundherum kaputt und dann fährt ihm auch noch so ein Übermotivierter voll ins Heck. Wir hatten allein durch dieses Rennen einen Schaden in Höhe von rund 100.000 Euro. Da muss man die Fahrer in die Pflicht nehmen, da kann die DTM nichts für.

Zuletzt wurde David in der Öffentlichkeit von Rene Rast und Clemens Schmid kritisiert. Wie hast du darauf reagiert?
Ralf Schumacher: David fährt seine erste Saison im GT3-Sport und muss lernen. Auf dem Nürburgring hat er einen Fehler gemacht, das ist ganz klar. Er ist aber alles andere als ein Randalierer. Übrigens hat sich Rene Rast, der ihn auch kritisiert hat, in Spa selbst eine 'Glanztat' geleistet. Vielleicht sollte er erst mal vor seiner eigenen Türe kehren, aber sei's drum. Und was diese Aussagen von Clemens Schmid betrifft: Ich hatte den Eindruck, dass man den Fokus von seinem Teamkollegen Mirko Bortolotti weglenken und ihm Druck nehmen will. Für einen Fahrer, der um die Meisterschaft kämpft, hat Bortolotti ein paar Entscheidungen getroffen, die - milde gesagt - nicht ganz nachvollziehbar waren. Der wirkte auf mich auch vom öffentlichen Druck etwas niedergeschlagen.

Wie ist David mit der Situation umgegangen?
Ralf Schumacher: David ist mit der Angelegenheit sehr galant umgegangen, wie ich finde. Für einen so jungen Kerl ist eine solche Situation aber natürlich nicht leicht. Wenn insgesamt einiges schiefläuft und dann noch so ein Blödsinn von außen kommt, ist das nicht immer fair. Aber so läuft es im Leben. Zum Glück lief es in Spa ganz gut für ihn (Platz 11 im Qualifying und Rennen am Samstag; d. Red.).

Foto: DTM, WWR, Russart & Lösch
Foto: DTM, WWR, Russart & Lösch

Für die DTM wäre es sicherlich gut, wenn der Name 'Schumacher' auch in Zukunft in der Startaufstellung erscheint...
Ralf Schumacher: Die DTM würde ohne den Namen Schumacher auskommen und umgekehrt genauso. Wichtig ist, dass beide Seiten zufrieden sind in dieser Partnerschaft. Vieles ist sehr positiv. Es gibt aber auch einige Dinge, die aus meiner Sicht nicht gut geregelt sind. Es geht um die Zukunft eines jungen Menschen, der die Möglichkeit bekommen soll, sich zu zeigen. Und es geht um sehr viel Geld und Partner, die zufriedengestellt werden wollen. Den Umgang mit Sponsoren finde ich in der DTM übrigens sehr gut. Das ist einfacher und teilweise besser geregelt als in der Formel 1.

Wie bewertest du Davids bisherige DTM-Saison mit dem Mercedes-AMG-Team Winward?
Ralf Schumacher: Ich habe die GT3-Umgebung vielleicht zu Beginn ein wenig unterschätzt. David kam neu dazu und fährt in keiner anderen GT3-Serie. Viele andere Fahrer haben schon einige Rennen bestritten, bevor die DTM-Saison überhaupt angefangen hat. Erschwerend kam hinzu, dass wir eine ganze Weile nicht testen konnten, weil es keine Reifen gab. Dazu kommen natürlich Fehler, die ein junger Mann macht. Er musste lernen, mit diesen schweren Autos zu fahren. Da hat es in den letzten Veranstaltungen 'klick' gemacht. Teilweise lief es unglücklich, teilweise hat er auch nicht so schnell Fortschritte gemacht, wie es sein müsste. Und wenn du im Qualifying nicht diese eine Runde zusammenbekommst, stehst du hinten und kommst einfach nicht nach vorne. Nicht zuletzt spielte auch die BoP eine Rolle. Es gab Phasen, in denen sich Mercedes wirklich schwergetan hat.

Steht David jetzt am Scheideweg zwischen GT- und Formelsport?
Ralf Schumacher: Der Weg in die Formel 1 ist aus meiner Sicht unbezahlbar geworden. Wenn du keinen Hersteller hast, der dich begleitet und dir die Chance zusichert, eine Möglichkeit zu erhalten, brauchst du es eigentlich nicht mehr anzufangen. Wir sehen ja, wie schwer sich viele Teams tun, Fahrer auszutauschen. Sie halten an älteren Fahrern fest, weil sie sich einfach nicht trauen, auf junge Fahrer zu setzen, da es nur wenige Testmöglichkeiten gibt und es eine Weile dauert, sich an alles zu gewöhnen. Deshalb haben wir uns für einen anderen Weg entschieden. Ob der in der Formel 1 endet? Schwierig. Auf der anderen Seite gibt es noch anderen Hersteller-basierten Motorsport, in dem ein Fahrer die Möglichkeit hat, weltweit Rennen zu fahren und Geld zu verdienen.