Am Norisring mit den Millionenschäden ging es los, auf dem Nürburgring eskalierte es durch scharfe Fahrer-Kritik und im Vorfeld des Rennwochenendes in Spa-Francorchamps (09.-11. September) ist es das große Gesprächsthema: die Fahrer-Standards in der DTM-Saison 2022. Zahlreiche Piloten wünschen sich einen Austausch mit der Rennleitung um den neuen Renndirektor Scot Elkins, um das Ärgernis im Schlussspurt der Saison in den Griff zu bekommen.

Allgemeiner Tenor im Fahrerlager: Die Bestrafungen - meist 5-Sekunden-Zeitstrafen für Kollisionen mit teilweise nachfolgenden Grid-Strafen - sind deutlich zu milde und fördern die oft überharte Fahrweise in den Rennen. Viele Involvierte wünschen sich zudem ein konstanteres Strafmaß bei Vorfällen. Rennleiter Elkins ist mit seiner Vergangenheit im US-Motorsport ein Verfechter davon, Rennen eher 'laufen' zu lassen - das nutzen die knapp 30 Piloten wenig überraschend bis an und über die Grenzen hinaus aus.

Van der Linde: "Katastrophe programmiert"

"Dieses Jahr ist der Renndirektor generell ein bisschen milde mit allen Fahrern", sagte der Meisterschaftsführende Sheldon van der Linde (Schubert-BMW) in einer DTM-Pressekonferenz am Mittwoch. "Wir haben viele Autos in der Startaufstellung. Damit ist zu einem Punkt in der Saison eine Katastrophe programmiert. Wenn du 30 Profi-Fahrern die Chance gibst, so hart zu racen wie sie können, dann loten sie die Grauzonen aus und pushen sich gegenseitig, wo sie können. Das ist nicht schön zu sehen."

Das Fahrer-Briefing am Freitagnachmittag im F1-Boxengebäude in Spa dürfte eine unterhaltsame Angelegenheit werden. Klar ist: Das Thema kommt bei noch sechs ausstehenden Rennen auf den Tisch. So war es schon beim Norisring-Event, als die Fahrer nach dem desaströsen Crash-Festival im Samstagsrennen außerplanmäßig am Sonntagmorgen bei der Rennleitung antanzen mussten. Im zweiten Rennen auf dem Nürnberger Stadtkurs ging es offensichtlich handzahm zur Sache.

Rene Rast: Das will niemand sehen

Rene Rast (Abt-Audi), der am Nürburgring mit harter Kritik nach seinem Ausfall vorgeprescht war, blieb auch an diesem Mittwoch bei seiner Sicht, dass es in der DTM 2022 zu viele Kollisionen und Schäden gibt. "Das wollen Teams, Hersteller, Fahrer und vielleicht auch die Fans nicht sehen", sagte der dreifache DTM-Champion, der sich Chancen auf den vierten Titel nach 2017, 2019 und 2020 ausrechnet.

Rast weiter: "In früheren Jahren hatten wir 18 oder weniger Autos. Die waren einfacher zu überwachen als 30 Autos. Das ist das erste Problem für die Rennleitung. Zweitens verfügen die DTM-Autos heute (GT3-Autos; d. Red.) über eine härtere Struktur. Du kannst dich anlehnen. Das war früher nicht möglich. Deshalb gab es früher wahrscheinlich weniger Kontakt."

In der DTM kracht es an allen Ecken und Enden, Foto: DTM
In der DTM kracht es an allen Ecken und Enden, Foto: DTM

Rast über DTM 2022: "Praktisch freies Fahren"

Die DTM-Prototypen aus vergangenen Zeiten war aerodynamisch deutlich sensibler, schon ein leichter Kontakt konnte das Rennen vorzeitig beenden. Gleichzeitig standen den Fahrern unterschiedliche Überholhilfen wie eine DRS-Flügelklappe oder Push-to-Pass zur Verfügung. In noch älteren DTM-Jahren halfen auch unterschiedliche Reifenmischungen dabei, Überholmanöver zu fördern. All das gibt es unter dem gleichmachenden GT3-Reglement nicht mehr.

"Und wir hatten striktere Regeln", fuhr Rast fort. "Früher waren wir angehalten, Seite bei Seite zu fahren. Früher sagte der Renndirektor: 'Ich will nicht sehen, dass jemand den anderen auf der Außenseite von der Strecke schiebt und keinen Platz lässt'. Diese Regeln haben wir nicht mehr. Es ist praktisch freies Fahren. Wenn jemand außen ist, macht man die Lenkung auf und schiebt ihn von der Strecke. Oder man bremst etwas später und schiebt den anderen raus."

Rast weiter: "So etwas ist heute möglich, weil die Autos solche Kontakte abkönnen, es keine Regeln gibt, die so etwas verbieten und weil es so viele Autos im Feld sind. Diese Faktoren machen das Racing für mich schwierig zu kontrollieren. Wir sollten mit dem Renndirektor sprechen, um hartes, aber faires Racing zu haben. Der Teil mit dem fairen Racing fehlt mir. Entweder besprechen wir das zwischen den Fahrern im Briefing oder kommen mit einer Regel daher, die es erlaubt, Seite an Seite zu fahren."

Rückkehr zu alten DTM-Regeln die Lösung?

Früher war die Regelung recht eindeutig in der DTM, was Zweikämpfe auf der Strecke betrifft: Fahrer mussten sich eine Wagenbreite Platz lassen. Taten sie das nicht, setzte es eine Durchfahrtstrafe. DTM-Boss Gerhard Berger zeigte sich in der Vergangenheit eher als Freund der 5-Sekunden-Zeitstrafen anstelle der Rennen zerstörenden Drive-Through-Penalties. Das erhöht die Action ebenso wie die engen Starts und Re-Starts, die spektakulär aussehen, aber oftmals zu Kollisionen führen.

Könnte eine Rückkehr zu den strikten Regeln aus früheren DTM-Zeiten unter der Fuchtel der Hersteller eine Lösung darstellen? "So hat das Racing Spaß gemacht", meinte Rast. "Du konntest dich auf den anderen Fahrer verlassen, egal, ob er innen oder außen war. Das war cooles Racing und ich würde mir wünschen, dass wir dazu zurückkehren. Ich versuche noch, dem anderen Platz zu lassen. Aber wenn ich dann immer wieder der Gelackmeierte bin, mache ich das irgendwann auch nicht mehr. Soweit will ich es aber nicht kommen lassen."

Am Norisring kam es zu vielen Ausfällen und Schäden in Millionenhöhe, Foto: DTM
Am Norisring kam es zu vielen Ausfällen und Schäden in Millionenhöhe, Foto: DTM

Vanthoor: "Schwierig, eine gesunde Mischung zu finden"

Einige Fahrer, allen voran die im Rennsport erfahrenen, haben sich bereits untereinander ausgetauscht. Das kann letztendlich aber nur funktionieren, wenn alle Piloten in der DTM inklusive der Rennleitung auf einer Linie sind. Danach sah es an den vergangenen Rennwochenenden überhaupt nicht aus...

"Die Fahrer gehen mehr ans Limit, auch, weil die Autos nach einem Schaden nicht so viel Performance verlieren", erklärte Titelanwärter Sheldon van der Linde. "Das kann man nie komplett vermeiden. Und die DTM ist auch Kontaktsport mit Tür-an-Tür-Duellen Es muss aber immer Respekt herrschen und mehr Platz am Kurvenausgang gelassen werden. Sonst macht es keinen Spaß mehr und man sieht nicht, wer verdientermaßen vorne ist. Das Konzept von früher war gut und wir sollten es zurückbringen."

Eine Lösung für dieses schwelende Problem zu finden, dürfte keine einfache Aufgabe sein - viele Interessen stehen hier in einem Konflikt. So meinte Porsche-Werksfahrer Laurens Vanthoor (SSR-Porsche): "Es ist immer schwierig, eine gesunde Mischung zu finden. Das erste Norisring-Rennen war eine Katastrophe, das zweite komplett langweilig. Jeder sollte sich beruhigen und sich an die Basis-Regeln der Rennleitung halten. Wir sollten gegeneinander Rennen fahren dürfen. Es liegt gleichzeitig auch in unserer Verantwortung, respektvoll miteinander umzugehen. Das sagt sich leicht, ist aber schwer in der Realität umzusetzen."