"Ailton auf Fußballplazze immer schnell. Im Auto auch schnell!" Nur zu Fuß geht es nicht ganz so fix. Immer wieder müssen ich, der MSM-Reporter, und die lebende Fußball-Legende anhalten. "Ailton!" Ein Selfie hier, ein Autogramm da, obendrauf noch eine Anekdote aus guten alten Kicker-Zeiten. Wer mit Kugelblitz Ailton durchs Fan- und Fahrerlager bei der DTM am Norisring läuft, braucht Zeit.

Der Bundesliga-Fußballer des Jahres 2004, Torschützenkönig und unnachahmliche Sprüche-Klopfer ist auch heute noch ein riesengroßer Publikums-Liebling, ebenso bei den zahlreich erschienenen Motorsport-Fans, immerhin 70.000 sind es am Wochenende. Kann ich verstehen, bin selbst seit 30 Jahren leidenschaftlicher wie leidender Anhänger des SV Werder Bremen.

Mag man auch bei der DTM: Fußball-Legende Ailton, Foto: Gruppe C GmbH
Mag man auch bei der DTM: Fußball-Legende Ailton, Foto: Gruppe C GmbH

Und so bahnt sich Ailton mit mir im Schlepptau den Weg in Richtung Dutzendteich, wo das Objekt der Begierde soeben angelassen wird. Da wummert er im Zelt von Mücke Motorsport, der 6,2 Liter große V8-Motor mit rund 550 PS, eingepfercht in einen grün-weiß folierten (wie passend!) Mercedes-AMG GT3. Ailton - trotz Shirt mit Audi-Logo vorne drauf - gefällt, was er da sieht. "Wow, iss schöne Auto!"

Hier im Zelt trifft Werder-Legende auf Mercedes-Legende, denn: Ailton und auch ich gehören zu den Auserwählten, die ein paar sehr schnelle Runden über den Norisring mit 'Mister DTM' höchstpersönlich, Bernd Schneider, drehen dürfen!

Es geht los! Der GT3-Mercedes von Schaeffler Paravan, Foto: Gruppe C GmbH
Es geht los! Der GT3-Mercedes von Schaeffler Paravan, Foto: Gruppe C GmbH

Bei über 30 Grad Außen - und gefühlten 50 Grad Zelt-Temperatur bleibt Brasilianer Ailton, der zum ersten und hoffentlich nicht letzten Mal zu Gast bei der DTM ist, cool. Ob er nervös sei vor seinem Run mit dem fünffachen DTM-Champion Schneider, frage ich. "Ailton nie nervös! Aber ich mache Augen zu!" Wäre das auch geklärt.

In geradezu katzenartiger Geschwindigkeit pellt er sich, einst liebevoll als 'kleines dickes Ailton' verehrt, in den Rennoverall. Im Vorfeld angestellte Spekulationen, ob Ailton, der vor allem im Werder-Trikot trotz seiner offensichtlichen Leibesfülle sämtliche Abwehrreihen in Angst und Schrecken versetzte, überhaupt in den eng geschnittenen Anzug passen würde, können wir ausdrücklich zurückweisen.

Nervosität kennt ein Ailton nicht - wir sind beeindruckt, Foto: Gruppe C GmbH
Nervosität kennt ein Ailton nicht - wir sind beeindruckt, Foto: Gruppe C GmbH

Schnelle Straßenautos, die mag Ailton gerne. Fußball-Star halt. Aber in einem waschechten Rennwagen hat er noch nie Platz genommen. Und dieser Mercedes-AMG GT3 hier hat - neben Bernd Schneider - noch ein weiteres Extra an Bord: die von Schaeffler Paravan entwickelte Space-Drive-Lenkung, einem Steer-by-Wire-System, bei dem keine mechanische Verbindung zwischen Lenkgetriebe und Lenkrad vorhanden ist. Die Übertragung der Lenkbefehle erfolgt stattdessen innerhalb von Millisekunden über Kabel - also 'by-Wire' - durch elektrische Impulse.

Dieses System, das Menschen mit einer Behinderung seit rund 20 Jahren erlaubt, am Straßenverkehr teilzunehmen, nutzt in der DTM auch Maximilian Buhk in seinem von Mücke Motorsport eingesetzten AMG-GT3. Beim Saisonfinale 2021 auf dem Norisring erzielte der Mercedes-Spezialist seinen ersten Podestplatz. Space Drive geht demnach also gut auf dem 2,1 Kilometer langen Stadtkurs mit seinen vier Kurven.

DTM-Legende! Der fünffache Meister Bernd Schneider am Space-Drive-Steuer, Foto: Gruppe C GmbH
DTM-Legende! Der fünffache Meister Bernd Schneider am Space-Drive-Steuer, Foto: Gruppe C GmbH

DTM-Held Schneider kennt das System seit längerer Zeit und ist überzeugt: "Die Lenkung ist so präzise, es hat sich so viel getan in der Entwicklung. Ich würde den Teams empfehlen, darüber nachzudenken, diese Lenkung einzubauen. Gerade auf Strecken wie dem Norisring hat man mit Sicherheit einen Vorteil, gerade im Schöller-S. Das macht richtig Spaß!"

Genug der Theorie, jetzt wollen wir auf dem Beifahrersitz von der DTM-Ikone über die Buckelpiste bugsiert werden! Nur: Bei Ailton gibt es ein kleines 'technisches' Problem. Er schafft es nicht so ganz, ins eng dimensionierte Cockpit des GT3-Benz einzusteigen. "Probleme mit Rücken", erklärt der 1,78 große Mann ohne Umschweife. Mit Rückenproblemen ist tatsächlich nicht zu spaßen in so einem kaum gefederten Rennwagen. Und Frotzeleien, dass Ailton wegen seiner Körpermaße nicht ins Rennauto passte, verbitten wir uns an dieser Stelle...

Ailton beim Versuch, ins Rennauto zu steigen, Foto: Gruppe C GmbH
Ailton beim Versuch, ins Rennauto zu steigen, Foto: Gruppe C GmbH

Dann darf ich ins Cockpit klettern. Es ist brütend heiß, die Sonne knallt unerbittlich durch die Frontscheibe. "Die Klimaanlage lasse ich aber aus, kostet Leistung" - Bernd Schneider, 57 Jahre jung, Profi-Rennfahrer.

Und Bernd brachial! Der 43-fache DTM-Rekordsieger, 1995 und 2000 gewann er am Norisring, hat wenig überraschend nichts von seinem unnachahmlichen Speed verloren. Mit Vollgas vorbei an der gut besetzten Steintribüne, dann wird angebremst zur Grundig Kehre. Bernds Fuß und die Kraft der Bremsen sorgen für eine gefühlte Neuanordnung sämtlicher Eingeweide in den vordersten Bereich meines festgegurteten Körpers. Urgs, aber geil!

Erster Gang, voller Lenkeinschlag und rum um die Ecke. Die Lenkung macht präzise, was sie soll. Schon toll, diese Technologie, aber das ist mir in dem Moment ehrlich gesagt ziemlich egal. Denn Bernd drückt schon wieder auf den Pinsel, rechts einlenken, links einlenken, paff, paff, es grüßt das Schöller-S! Auto-Samba auf dem Norisring.

Einmaliges Erlebnis: DTM-Renntaxi mit Bernd Schneider am Norisring, Foto: Gruppe C GmbH
Einmaliges Erlebnis: DTM-Renntaxi mit Bernd Schneider am Norisring, Foto: Gruppe C GmbH

Jetzt Kurvenausgang. Vorsicht, Mauer! Bernd lässt den Lack am rechten Außenspiegel heil mit einer Präzision wie einst Ailton vor dem gegnerischen Tor. Danke, fühlt sich rechts auf dem Beifahrersitz auch mit ein paar Zentimeter Sicherheitsabstand noch unbeschreiblich an. Hui!

Bernd ballert weiter, jetzt die Gegengerade runter. Moment, wie viele Kurven hatten wir schon? Alles geht so wahnsinnig schnell. Ein leichter Rechtsknick, dann wirft Kapitän Schneider wieder den Anker und meine Nackenmuskulatur erinnert mich rüde: Wir sind schon an der Dutzendteich Kehre angelangt! Die Mauer grüßt diesmal bedrohlich nah von der linken Seite, während Bernd den Benz mit dem Lenksäulen-losen Space-Drive-Lenkrad gezielt durch die Kurve zirkelt.

Während ich schon gar nicht mehr weiß, wo rechts und links ist, hat Schneider längst die zweite Runde in Angriff genommen. Noch ein bisschen schneller, noch ein bisschen dichter an den massiven Steinmauern entlang. Auch der zweite Run erfolgt im Schnelldurchlauf mit Schneider-Speed! Bernd hat nix verlernt. Der würde einigen der DTM-Piloten noch heute um die Ohren fahren, denke ich mir.

Du Fanboy! MSM-Reporter Robert Seiwert trifft Ailton, Foto: Gruppe C GmbH
Du Fanboy! MSM-Reporter Robert Seiwert trifft Ailton, Foto: Gruppe C GmbH

Ich steige mit dem breitesten Grinsen unter dem Helm, das man sich nur vorstellen kann, aus dem GT3-Mercedes aus und will mir gar nicht ausmalen, wie unheimlich anstrengend hier ein Rennen mit knapp 60 Runden Distanz sein muss...

Ailton, eh immer bestens gelaunt, wartet am Streckenrand. "War gut?" - "WAR GEIL", brülle ich ihm noch adrenalindurchströmt entgegen wie einst die Werder-Fans in der berüchtigten Ostkurve des Weser-Stadions. Olé, olé, juchhe, was für ein Erlebnis beim DTM-Highlight auf dem Norisring!