Testfahrten sind üblicherweise auch dazu gedacht, die Grenzbereiche auszuloten. Was sich aber bei den DTM-Tests diese Woche in Hockenheim abspielte, sprengte sämtliche Grenzen. Am Dienstag, dem ersten von zwei Tagen auf der badischen Rennstrecke, kam es zu sage und schreibe mehr als 580 (in Worten: fünfhundertachtzig) Verstößen gegen die Track-Limits! Ein starkes Stück der 28 Fahrer bei sieben Stunden Fahrzeit inklusive Regen über den Tag verteilt.

Diese Rekordzahl erfuhr Motorsport-Magazin.com aus unterschiedlichen Quellen und wurde auch von einer DTM-Sprecherin auf Nachfrage bestätigt. Das Track-Limit-Chaos war ein größeres Thema im Teamchef-Meeting am Dienstagabend, der neue Rennleiter Scot Elkins zeigte sich verwundert. "Willkommen in Europa, Scot", sagte ein Teamchef, der namentlich nicht genannt werden wollte, mit einem Grinsen im Gesicht zu Motorsport-Magazin.com.

Als beliebteste Stelle für das Überschreiten der Strecken-Grenzen präsentierte sich wenig überraschend die erste Kurve nach der Start/Ziel-Geraden. Ein Klassiker in Hockenheim, wie auch die schier unzählbaren Track-Limit-Verstöße auf dem Monitor der Race Control am ersten von zwei Testtagen auf der badischen Traditionsstrecke eindrucksvoll belegten.

Nur auf den ersten Blick höchst verwunderlich: Am Mittwoch zeigte die Rennleitung kein einziges Mal einen Verstoß von Track-Limits an. Eine wundersame Läuterung der Fahrer über Nacht? Keinesfalls! Motorsport-Magazin.com weiß: Am Mittwoch wurden Missachtungen der Strecken-Begrenzungen nach dem Drama vom Vortag erst gar nicht mehr öffentlich angezeigt.

Rennleiter Elkins entschied stattdessen, Rundenzeiten im Falle eines Vergehens zu streichen, ohne in der Race-Control-Anzeige auf Track-Limits hinzuweisen. Dass einige Fahrer am Mittwoch weiterhin die Limits missachteten, war etwa beim speziellen BoP-Test am Nachmittag zu sehen.

Um weitere Daten für die Erstellung der Balance of Performance zu gewinnen, wurden 19 Fahrer aus allen Teams angewiesen, mit frischen, kalten Reifen und 30 Kilo Sprit an Bord maximal sechs Runden und davon mindestens zwei schnelle Push-Runden zu fahren. Die Klimaanlage musste bei diesem Einzelzeitfahren ausgeschaltet bleiben, um die Leistungswerte nicht zu verfälschen.

Zahlreiche Push-Runden wurden wegen Track-Limits gestrichen und flossen nicht ins offizielle Live-Timing ein. Schnellster Fahrer beim BoP-Test war Nico Müller im Rosberg-Audi mit einer 1:38.496, die allerdings gestrichen wurde. Die zweitschnellste Runde des Schweizers (1:38.532) reichte trotzdem für die Tagesbestzeit aus. Auch bei den Push-Runden im 1:38er-Bereich von Marco Wittmann (1:38.958 /Walkenhorst-BMW) und Ricardo Feller (1:38.571 / Abt-Audi) kamen es zu Streichungen.

DTM: So funktioniert die neue Rennleitung (01:27 Min.)

Bei der Rekord-Flut in Hockenheim kamen unweigerlich Erinnerungen an das Rennwochenende in Assen 2021 hoch. Ganze 180 Mal wurden allein im 1. Freien Training die Track-Limits missachtet, im 2. Training folgten 107 weitere Verstöße. Am Ende reiste die DTM mit mehr als 300 Track-Limit-Missachtungen vom niederländischen Motorrad-Kurs mit seinen flachen und zu Grenzüberschreitungen förmlich einladenden Kerbs ab.

Üblicherweise werden Track-Limits in den Fahrer-Briefings an einem Rennwochenende besprochen. Die Handhabung bezüglich der Strecken-Begrenzungen kann sich an jedem Rennwochenende verändern, das hängt von der jeweiligen Strecke ab. 2021 in Assen oder auch in Spielberg, wo Track-Limits stets ein großes Thema sind, gab es ab der sechsten Missachtung und nach vorherigen Hinweisen eine 5-Sekunden-Zeitstrafe im Rennen. In den Qualifyings wurden Rundenzeiten gestrichen, in den Trainings blieben Vergehen straffrei.

Von der DTM wurde der US-Amerikaner Elkins, der den zur Formel 1 abgewanderten Niels Wittich als Renndirektor ersetzt, unterdessen mit folgenden Worten zitiert: "Ich bin wirklich happy, wie der gesamte Test gelaufen ist. Wir haben alle Abläufe getestet, die neue Zeitnahme, die Überwachung der Track-Limits, die geänderten Abläufe bei Starts und Boxenstopps - das hat gut geklappt. Für mich war natürlich auch prima, alle persönlich kennenzulernen. Jetzt bin ich noch mehr begeistert und freue mich auf die Saison."

Mit den Eindrücken aus Hockenheim reiste Elkins direkt weiter nach Rom, wo er als Renndirektor der Formel E weiterhin das Geschehen auf der Strecke lenkt. Sorgen um Track-Limit-Diskussionen muss sich Elkins beim dritten Rennwochenende (09./10. April 2022) der Elektro-Rennserie zumindest nicht machen: Auf den temporären Stadtkursen endet eine Missachtung der Strecken-Grenzen üblicherweise direkt und unsanft in der Bande...