Die Regelmacher der DTM haben ihre Lehren aus der Saison 2021, der ersten unter dem GT3-Reglement, gezogen und im Regelbuch an etlichen Stellen nachgeschärft. Konfliktreiche Themen wie der Ablauf beim Pflicht-Boxenstopp oder kurzfristige Änderungen an der Balance of Performance konnten im Sportlichen Reglement für die DTM-Saison 2022 aussortiert werden.

Was die Mehrheit der Fans vermutlich am meisten interessiert: die Rückkehr des Team-Order-Verbots ins Reglement. Nach den Vorkommnissen rund um das vergangene Norisring-Saisonfinale wollen die DTM-Dachorganisation ITR und Boss Gerhard Berger unter allen Umständen verhindern, dass die Traditionsserie noch einmal von der bei Fans verhassten Stallregie überschattet wird.

Regel-Frage: Was sind "100 % der Fähigkeiten"?

Der das Team-Order-Verbot betreffende Artikel 14.2 im Sportlichen Reglement kurz zusammengefasst: Bewerber/Sponsoren/Hersteller/Lieferanten/Importeure/juristische Personen dürfen Bewerbern und/oder Fahrern keinerlei mündliche oder vertragliche Anweisungen erteilen, eine Team Order zu befolgen. Ebenso ist es Bewerbern und/oder Fahrern verboten, Team-Order-Aufforderungen zu folgen. Andernfalls drohen Strafen bis hin zu einem Ausschluss aus der Meisterschaft.

Neu im Artikel 14.2 ist unterdessen ein Satz, der in einer Vorab-Version des Reglements aus dem Januar nicht enthalten war und der nach Aufnahme durch die ITR jetzt für rege Diskussionen unter DTM-Experten sorgt. So heißt es: "Bewerber und/oder Fahrer müssen mit 100 % ihrer Fähigkeiten fahren, mit dem Ziel, ihre bestmögliche Position in der Veranstaltung zu erreichen."

Ein Satz, der so noch nie in einem Motorsport-Reglement zu finden gewesen sein dürfte und der effektiv mehr Fragen als Antworten aufwirft. Etwa, wie 'Fahren mit 100 % Fähigkeiten' definiert wird, oder wer bestimmt, was genau die "bestmögliche Position in der Veranstaltung" ist.

Regel-Änderung wirft viele Fragen auf

Dieser Absatz liest sich, als ob es nicht nur Außenstehenden verboten wäre, Team Order anzuweisen, sondern auch Teamkollegen und dem Team selbst. Strikt laut Reglement müsste demnach ein Fahrer bestraft werden, der seinen Teamkollegen passieren lässt - absolut Gang und Gäbe im Motorsport - weil er ja dann nicht "mit 100 % seiner Fähigkeiten fährt" und nicht das Ziel verfolgt, "die bestmögliche Position zu erreichen".

Ebenso müsste demnach ein Rennfahrer bestraft werden, der auf ein möglicherweise riskantes Überholmanöver verzichtet und stattdessen lieber die sicheren Punkte für die Meisterschaft kassiert - schließlich hat er absichtlich darauf verzichtet, die "bestmögliche Position in der Veranstaltung zu erreichen". Es gibt unzählige weitere Beispiele, die diesen Passus innerhalb des Team-Order-Paragraphen ad absurdum führen könnten.

DTM-Plan: Teamkollegen dürfen sich unterstützen

Wie Motorsport-Magazin.com erfahren hat, stellt sich die ITR die Umsetzung dieses Artikels anders vor. Demnach soll es Teamkollegen durchaus erlaubt sein, sich gegenseitig zu unterstützen. Verboten werden soll neben äußeren Einwirkungen tatsächlich eine teamübergreifende Stallregie, wie am Norisring zwischen den Mercedes-Kundenteams HWA (Meister Maximilian Götz) und Winward (Lucas Auer, der den sicheren Sieg herschenkte).

Das würde auch zu Gerhard Bergers Einstellung bezüglich der Team Order passen. Am Rande des Formel-1-Rennens in Bahrain sagte der Österreicher zu Motorsport-Magazin.com: "Wenn ein Fahrer seinen Teamkollegen unterstützt, dann ist das eine Sache. Wenn es aber teamübergreifend ist, dann ist das nicht ideal. Das haben wir jetzt im Reglement erledigt. Wenn jetzt etwas ist, dann ignoriert man das Reglement. Alles ist nur so gut, wie man es überprüfen kann. Aber ich glaube schon, dass man es überprüfen kann."

Gut gemeint - verwirrend formuliert

Diese Herangehensweise klingt für Betrachter des Reglements deutlich sinnvoller - faktisch ist sie so aber nicht im Regelbuch niedergeschrieben. Und dass gerade in der politisch heiklen DTM bei jedem möglichen Schlupfloch ganz genau hingeschaut und bei Bedarf protestiert wird, dürfte kein Geheimnis sein. Die Verantwortlichen würden sich eine schier unendliche Protest-Orgie wie 2021 rund um Sprit-Affäre am HRT-Mercedes von Vincent Abril sicherlich nur zu gerne sparen. Wie das Reglement allerdings aktuell bezüglich der Team Order formuliert ist, ist die Türe für mögliche Proteste sperrangelweit offen.

Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com hat der Deutsche Motor Sport Bund, der als nationaler ASN die Reglements zusammen mit der FIA absegnet, die ITR auf mögliche Schlupflöcher beim oben erwähnten Absatz hingewiesen. Zuvor hatte der DMSB beim Team-Order-Paragraphen aus sportrechtlichen Gründen eine Präzisierung gefordert. Der ITR wäre es möglich, das inzwischen von DMSB und FIA abgesegnete Reglement per Bulletin noch einmal anzupassen.

Teamkollegen dürfen sich helfen - aber nicht alle

Das könnte auch nötig werden, denn der Team-Order-Artikel sorgt für weitere Fragezeichen. Was faktisch nicht im Reglement steht, von den DTM-Regelmachern aber vorgesehen ist: Teamkollegen eines Bewerbers dürfen sich gegenseitig in den Rennen unterstützen, wobei ein Bewerber ein Team mit maximal zwei Fahrern beschreibt. Sollte ein Team aber mehr als zwei Fahrer an den Start bringen, wie bei Abt Sportsline, Winward und GRT der Fall, dürfen nur die unmittelbaren Teamkollegen zusammenarbeiten.

Klingt verwirrend? Ist es auch. Ein konkretes Beispiel: Abt Sportsline startet 2022 mit Rene Rast, Kelvin van der Linde und Ricardo Feller in der DTM. Da ein Team (Bewerber) nur aus maximal zwei Fahrern bestehen darf, muss Abt Sportsline ein 'Team A' mit zwei Fahrern und ein 'Team B' mit einem Piloten nennen. Die Piloten aus 'Team A' dürfen sich unterstützen, der Fahrer aus 'Team B' darf es allerdings nicht.

Vor Kurzem sagte der dreifache DTM-Champion Rast: "Sollte ich hoffentlich in der Situation sein, wieder um den Titel zu fahren, kann das Team vor dem Wochenende sagen: 'Kelvin, halte den Rene nicht auf'. Man kann sich immer noch absprechen, das ist nicht verboten. Aber es liegt in der Gewalt des Fahrers, ob er sich daran hält oder nicht." Rast hielt das Team-Order-Verbot für eine gute Sache: "Der Fan will richtiges Racing sehen und keine künstlichen Rennen, bei denen der Sieger schon vorher feststeht."

Hält man sich an das aktuell geltende Reglement, dürften sich Rast und van der Linde aber nur absprechen, wenn sie tatsächlich als Teamkollegen für das Abt-'Team A' starten. Bilden stattdessen Rast oder van der Linde ein Team mit Feller, dürften sich die beiden langjährigen Freunde - zumindest laut Regelbuch - nicht absprechen oder in irgendeiner Weise auf der Strecke unterstützen.

Der Absatz mit den schwammigen Formulierungen '100 Prozent der Fähigkeiten' und 'bestmögliche Position' ist nicht nur bei DTM-Insidern ein großes Thema und dürfte auch unter den Teams rege diskutiert werden. Auch erfahrene Ingenieure und Strategen schütteln ob der neuen Regel den Kopf und sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Verschlimmbesserung". Allgemeiner Tenor: Das macht die Problematik nicht besser, sondern eher schlechter.

Die Angelegenheit ist schon vor den offiziellen Testfahrten kommende Woche in Hockenheim (05./06. April 2022) ein Gesprächsthema. Die Idee, Entscheidungen nach Ermessen zu fällen, mag gut klingen. Wenn Teams sich aber unfair behandelt fühlen - das kennt man in der DTM - kann der Weg ganz schnell vors DMSB-Sportgericht führen...

DTM-Ikone Ekström: "Teamorder kann niemand verhindern"

Die Wiederaufnahme des Team-Order-Verbots ins Sportliche Reglement kann als Abschreckung gesehen werden und als Zeichen an die Fans, dass die DTM-Zeiten der Stallregie endlich vorbei sein sollen. Ob man dieses Vorgehen mit einer Regel - noch dazu unklar formuliert - vollständig in den Griff bekommen kann, daran bestehen berechtigte Zweifel. Der Versuch war in der DTM-Geschichte sogar nur mit involvierten Herstellern statt Kundenteam schon mehrfach grandios gescheitert und in zahlreichen anderen Rennserien wie der Formel 1 wird komplett darauf verzichtet.

"Teamorder kann niemand, der Ahnung von den vielfältigen Möglichkeiten hat, verhindern", sagt der zweifache DTM-Champion Mattias Ekström zu Motorsport-Magazin.com. "Allenfalls kann man mit dieser Entscheidung die Fans etwas beruhigen. Es gibt einfach zu viele Grauzonen, die von Ingenieuren und Strategen perfekt genutzt werden, um sie in die Tat umzusetzen."

Team-Order-Verbot: Artikel 14.2 im DTM-Reglement

Der Begriff Team Order beschreibt eine Anweisung eines Bewerbers, Sponsors, Lieferanten, einer juristischen Person oder einer verbundenen juristischen Person, einschließlich eines Herstellers (einer Marke), eines Importeurs oder ihres Vertreters, an einen Bewerber und/oder Fahrer - ungeachtet ihrer Fähigkeiten und möglicherweise gegen ihren Wunsch zu gewinnen - eine bestimmte Aktion auszuführen, die das Qualifying- oder Rennergebnis beeinträchtigen kann.

Bewerbern und/oder Fahrern ist es nicht gestattet, einer mündlichen, vertraglichen oder anderweitig auferlegten Team Order Folge zu leisten. Vertragliche Vereinbarungen mit Bewerbern oder mit Fahrern oder zwischen Bewerbern und Fahrern dürfen die Verpflichtung von Bewerbern und/oder Fahrern nicht vorsehen, Team Order zu befolgen.

Bewerber und/oder Fahrer müssen mit 100 % ihrer Fähigkeiten fahren, mit dem Ziel, ihre bestmögliche Position in der Veranstaltung zu erreichen.

Jeder Verstoß wird den Sportkommissaren gemeldet und Strafen bis hin zum Ausschluss von der Meisterschaft können für alle Beteiligten verhängt werden.