Das Porsche-Aufgebot für die DTM-Saison 2022 ist komplett. SSR Performance hat in der vergangenen Woche mit Werksfahrer Laurens Vanthoor und Dennis Olsen sein Fahrer-Lineup präsentiert. Mit dem KÜS Team Bernhard und Porsche-Werkspilot Thomas Preining stößt ein weiterer Porsche 911 GT3 R zum Starterfeld hinzu. Fast schon unglaublich: Zum ersten Mal in der über 30-jährigen Geschichte der DTM bestreitet ein Sportwagen aus Zuffenhausen eine vollständige Saison.
SSR Performance und das Team von Le-Mans-Sieger Timo Bernhard bereiten sich fleißig auf die neue Herausforderung vor - und das gilt auch für die DTM-Dachorganisation ITR samt BoP-Partner AVL aus Österreich. Der Porsche 911 GT3 R mit seinem Boxermotor muss so eingestuft werden, dass er mit der Konkurrenz von Audi, BMW, Mercedes-AMG, Ferrari und Lamborghini auf Augenhöhe in den Wettbewerb treten kann.
Zwar sind GT3-Porsche erfolgreich in so ziemlich allen Rennserien auf der Welt vertreten, doch in der DTM wartet eine nicht zu unterschätzende Besonderheit. Die Balance of Performance war 2021, in der ersten DTM-Saison unter dem GT3-Reglement, deutlich performanter ausgelegt als in anderen GT3-Serien. Oder anders ausgedrückt: möglichst wenig Gewicht und möglichst große Restriktoren, um neben Chancengleichheit auch möglichst viel Leistung aus den Autos herauszukitzeln.
Zwar erhielt BoP-Dienstleister AVL für seinen ersten Aufschlag in der DTM vielerorts Zustimmung, doch nicht immer lief alles nach Wunsch. So war das Auslaufmodell BMW M6 GT3 im Schlussspurt der Saison 2021 mehr oder weniger chancenlos. Insider sprachen von einem Leistungsdefizit von umgerechnet bis zu 40 PS im Vergleich zur Konkurrenz bei den letzten beiden Rennwochenenden auf dem Hockenheimring und auf dem Nürnberger Norisring.
DTM-Herausforderung für Porsche-Boxer
Mit dem Porsche 911 GT3 R kommt nun ein Auto in die DTM, das mit seinem wassergekühlten 4-Liter-4-Ventil-6-Zylinder-Boxermotor nicht gerade als 'PS-Monster' bekannt ist und seine Stärken eher in anderen Bereichen hat. Die Leistung soll bei maximal 550 PS liegen, während GT3-Boliden anderer Hersteller mit ihren V8- oder V10-Motoren ein größeres Leistungsspektrum - vor allem nach oben hin - aufweisen. Beim inzwischen eingemotteten BMW M6 GT3 war die Performance-Grenze am Ende überschritten: Das Auto fuhr mit der maximal möglichen Leistung, war aber nicht konkurrenzfähig.
Den Porsche 911 GT3 R, der 2023 durch ein Nachfolgemodell abgelöst wird, soll ein derartiges Schicksal nicht treffen. Die Aufgabe besteht nun darin, den Zuffenhausener Sportler leistungsmäßig ins DTM-Feld einzugliedern. Die Verantwortlichen bei Porsche Motorsport sind guter Dinge, dass diese Aufgabe gelingt.
Porsche-Leiter: Wenn DTM den 911er haben möchte...
"Auch da ist der Austausch gut mit der ITR", sagte Sebastian Golz, Porsche-Projektleiter für den 911 GT3 R, zu Motorsport-Magazin.com. "Sie haben sich entschieden, die Performance hochzuziehen, aber auf Basis eines FIA GT3-Autos. Unser Fahrzeug erfüllt alle Rahmenbedingungen für ein FIA GT3-Auto. Wenn man dieses Auto seitens der ITR in der DTM sehen möchte, muss man die Autos auch so balancieren, dass es funktioniert. Wir sind uns sicher, dass sie das tun werden."
Laut Golz verfüge der Porsche 911 GT3 R über ausreichend Performance, sodass das gesamte Feld auf ein Niveau gebracht werden kann, "damit es nach außen hin performant ist und trotzdem zusammenpasst". Dabei verwies Golz darauf, dass es falsch sei, von einer möglichen 'Einbremsung' des Feldes zugunsten des Porsche zu sprechen.
Stattdessen: "Man muss den Rest des Feldes auf ein Niveau balancieren, sodass jedes Fahrzeug Kapazitäten hat, schneller oder langsamer gemacht werden zu können, weil die Rennstrecken unterschiedliche Charakteristiken haben."
Porsche-Gaststart: Über 30 Kilo ausgeladen
Eine wichtige Neuerung im Reglement 2022: Die BoP darf ab dieser Saison an allen Rennwochenenden und auch während der Veranstaltungen geändert werden. Anpassungs-Möglichkeiten waren im vergangenen Jahr stärker eingeschränkt und konnten nur durch Ausnahmen bzw. Bulletins umgesetzt werden.
Etwa für den Fall, dass eine neue Marke zum Feld stößt. So wie auf dem Nürburgring beim Gaststart von SSR Performance. Von Samstag auf Sonntag wurde Gewicht des Porsche nach Informationen von Motorsport-Magazin.com um rund 35 Kilogramm verringert (BoP-Listen wurden 2021 nicht veröffentlicht), nachdem SSR-Fahrer und 911er-Spezialist Michael Ammermüller im Qualifying nicht über den 20. Platz hinausgekommen war.
"Das entsprach sicher nicht unserem Anspruch und auch nicht der Performance, zu der unser Porsche bei richtiger Einstufung in der Lage ist", sagte SSR-Geschäftsführer Stefan Schlund zu Motorsport-Magazin.com. "Wir wissen, dass es nur mit Gewichtserleichterungen auf der einen und anderen Rennstrecke nicht reicht. Da wären wir trotz der Reduzierung des Gewichts wohl chancenlos. Das haben wir den Verantwortlichen gegenüber auch klar zum Ausdruck gebracht. Man hat uns einen fairen Wettbewerb und eine faire BoP zugesagt."
BoP-Herausforderung namens BMW M4 GT3
Von den Verfeinerungen des Reglements könnte neben Neueinsteiger Porsche auch BMW profitieren. Der Autobauer aus München startet in dieser Saison mit dem BMW M4 GT3. Dass bei neuen Autos in der Balance of Performance nicht von Beginn an alles rund laufen muss, bekamen die BMW-Teams Ende Januar bei den 24 Stunden von Daytona zu spüren: der noch unbekannte BMW M4 wurde höchst konservativ eingestuft und fuhr auf den langen und damit wichtigen Geraden/Ovalkurven relativ chancenlos hinterher.
In der DTM müssen die BMW-Kundenteams Walkenhorst und Schubert hoffen, dass die Balance of Performance möglichst schnell passt für den BMW M4 GT3 mit seinem 3-Liter-Reihensechszylinder-Twinturbomotor. BMW M Motorsport beziffert die Leistung des neuen Top-Kundensportlers auf bis zu 590 PS. GT3-Fahrzeuge mit einer Turbo-Aufladung gelten im Vergleich zu reinen Saugmotoren als schwieriger einzubalancieren, weil mehr Parameter berücksichtigt werden müssen.
"Es gibt natürlich eine idealistische Erwartungshaltung, die besagt, dass von Anfang an so balanciert wird, dass es passt", sagte Franziskus van Meel, Geschäftsführer der BMW M GmbH und damit verantwortlich für den Motorsport, zu Motorsport-Magazin.com. "Da kann man aber niemandem einen Vorwurf machen. Wir müssen einfach hoffen, dass der Schuss von Anfang an einigermaßen gut sitzt. Auch mit Blick auf alle anderen Autos."
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