In der umstrukturierten DTM 2021 sollen die Teams anstelle der Hersteller mehr in den Mittelpunkt rücken. Beim Saisonauftakt in Monza hätte man ein Drehbuch wohl nicht besser schreiben können, tatsächlich stand vor allem eine Mannschaft direkt im Fokus des Interesses. AF Corse verblüffte beim Heimrennen in Italien nicht zuletzt die erfahrene Konkurrenz mit Boxenstopps 'von einem anderen Stern'!

Beim Samstagssieg von Liam Lawson wuchs das von Red Bull unterstützte Team in der Boxengasse über sich hinaus. Für den Pflicht-Boxenstopp am Auto von Teamkollege Alex Albon benötigte AF Corse nur 6,961 Sekunden. Das entsprach einem Zeitvorteil von enormen 1,862 Sekunden gegenüber dem Mercedes-Team HRT, das beim Drittplatzierten Maximilian Götz (8,832 Sekunden) den Reifenwechsel als schnellstes Nicht-Ferrari-Team absolvierte.

Ein Beleg für die Arbeit von AF Corse: An Lawsons Ferrari 488 GT3 gelang der Mannschaft um Teamchef Amato Ferrari nach Albon auch der zweitschnellste Boxenstopp am Samstag - und das mit immer noch rund einer Sekunden Vorsprung auf alle anderen Teams. Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com hat die Konkurrenz sogar Videoaufnahmen von den Ferrari-Stopps angefertigt, um die ungewöhnlichen Abläufe genau nachvollziehen zu können.

DTM Monza: Sonntags-Rennen als Zusammenfassung: (02:54 Min.)

DTM: Konkurrenz fürchtet Ferrari-Potenzial

Auch im Sonntagsrennen waren die Italiener beim Reifenwechsel nicht zu schlagen (Albon vier Zehntel schneller als der Rest), wenngleich der Ehrgeiz die Konkurrenz offenbar über Nacht gepackt hatte und die meisten Teams ihre Zeiten verbessern konnten. "Und die haben noch nicht mal ihr volles Potenzial ausgeschöpft", fürchtete ein Teamchef im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

"Wir haben sehr viel Zeit bei den Boxenstopps gewonnen", lobte Lawson, der mit 19 Jahren als jüngster Sieger in die Geschichtsbücher der DTM einging, seine Mannschaft. "Die Jungs arbeiten so hart, auch gestern Nacht haben sie noch Reifenwechsel geübt. Über die Abläufe kann ich nicht zu viel verraten, aber solange ich auf meiner Position anhalte, machen sie den besten Job."

DTM Monza: Schnellste Boxenstopps pro Marke

Boxenstopps Rennen 1

TeamBoxenstopp-ZeitFahrerVorsprung
AF Corse6.961 Sek. Alex Albon-
HRT-Mercedes8.823 Sek.Max Götz+ 1,862 Sek.
Abt-Audi8.881 Sek.Mike Rockenfeller+ 1,920 Sek.
Walkenhorst-BMW9.361 Sek.Marco Wittmann+ 2,400 Sek.
T3-Lamborghini11.378 Sek.Esmee Hawkey+ 4,417 Sek.

Boxenstopps Rennen 2

TeamBoxenstopp-ZeitFahrerVorsprung
AF Corse7.620 Sek.Alex Albon-
Walkenhorst-BMW8.040 Sek.Marco Wittmann+ 0,420 Sek.
HRT-Mercedes8.701 SekVincent Abril+ 1,081 Sek.
Abt-Audi9.000 Sek.Mike Rockenfeller+ 1,380 Sek.
T3-Lamborghini11.392 Sek.Esmee Hawkey+ 3,772 Sek.

Keine exakten Daten von T3-Lamborghini verfügbar. Zeiten aus Mittelwerten gebildet

So gelangen AF Corse die Super-Stopps

Zwei Faktoren spielten bei den überragenden Boxenstopps von DTM-Einsteiger AF Corse eine Rolle: die Choreographie der Boxencrew sowie das Material. Nur beim Ferrari 488 GT3 und dem Mercedes-AMG GT3 sitzt die Radmutter direkt an der Felge, wie Sat.1 berichtet. Beim Ferrari-System soll die Radmutter allerdings weniger Gewindegänge haben, wodurch sich das Rad etwas schneller befestigen lässt.

Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com lässt sich im Falle von Ferrari zudem der Schlagschrauber (unterschiedliche pneumatische und eine elektrische Variante von Paoli, die nicht verändert werden dürfen und vom Promoter vorgegeben sind) aus unterschiedlichen Winkeln ansetzen, was den Schraubvorgang erleichtert. Ein Nachteil dieses Systems sollen die Kosten sein, weil Teile in einem höheren Intervall erneuert werden müssen.

Nahezu perfekte Boxenstopps bei Ferrari-Team AF Corse, Foto: DTM
Nahezu perfekte Boxenstopps bei Ferrari-Team AF Corse, Foto: DTM

DTM: Performance-Boxenstopps als zusätzlicher Anreiz

Bisher spielten die Radwechsel bei Boxenstopps im GT3-Kundensport keine allzu entscheidende Rolle. In den meisten Rennserien wie dem GT Masters (70 Sekunden) gibt es vorgeschriebene Mindeststoppzeiten, vor allem wegen des üblichen Fahrerwechsels. Da die DTM ihre 'DNA' jedoch erhalten wollte, sollten auch die Boxenstopps (ohne Fahrerwechsel) einen Einfluss auf die Performance haben.

Aus Kostengründen sind 2021 per Reglement insgesamt nur sechs Mechaniker und je ein Schlagschrauber pro Seite beim Boxenstopp zugelassen. Ein Lollipop-Mann am Boxenplatz vor dem Auto sorgt für die nötige Sicherheit, er darf beim Räderwechsel allerdings nicht eingreifen.

AF Corse hat sich beim Ablauf einen Trick einfallen lassen und konnte zudem seine Boxenstopps in Monza größtenteils abseits wachsamer Augen üben, weil das Team in der ersten Box untergebracht war - und es ist kein Geheimnis, dass die Konkurrenz die Boxenstopp-Übungen einiger Teams ganz genau verfolgte. Ein genauer Blick an der Ferrari-Box hätte gezeigt: Das Team, das für Ferrari in anderen Rennserien Werkseinsätze bestreitet und als hochprofessionell gilt, hat es geschafft, die Arbeitsschritte während der Wechsel von Vorder- und Hinterrad zu optimieren und das Personal perfekt einzubinden.

Die AF-Corse-Choreographie im Detail

Kommen Lawson oder Albon an die Box gefahren, löst der Schlagschrauber-Mann zuerst die Radmutter des Vorderrades, läuft dann zum Heck das Autos und hilft dem Mechaniker hinten beim Radwechsel. In dieser Zeit nimmt ein weiterer Mechaniker das Rad an der Vorderachse ab und setzt ein neues auf. Direkt im Anschluss läuft der Schlagschrauber-Mann wieder von hinten nach vorne und zieht die Radmutter fest.

Dadurch entsteht für den wichtigen Mann mit dem Schlagschrauber zu keinem Zeitpunkt eine Verzögerung. Andere Teams haben zumindest im ersten Rennen eine andere Herangehensweise gewählt, bei der ein Rad nach dem anderen gewechselt wurde.

Was AF Corse bei dieser Choreographie entgegenkommt: Beim Ferrari 488 GT3 sitzt die Aufnahme für die Luftlanze, um das Auto anzuheben, am Heck auf Höhe der rechten Rückleuchte. So braucht der für das Hinterrad eingeteilte Mechaniker nach dem Radwechsel nur mit einem Ruck die Lanze aus der Aufnahme zu ziehen, was effektiv kaum Zeit kostet. Beim Mercedes-AMG GT3 sitzt die Aufnahme für die Luftlanze hingegen oben im rechten Kotflügel, weshalb ein Mechaniker quasi nichts anderes macht als sich um das Aufsetzen und Abnehmen der Lanze zu kümmern.

Liam Lawson gewann das Samstagsrennen in Monza für AF Corse, Foto: Red Bull Content Pool
Liam Lawson gewann das Samstagsrennen in Monza für AF Corse, Foto: Red Bull Content Pool

Berger: Hersteller dürfen Teams nicht entmachten

Im Samstagsrennen war AF Corse eine absolute Macht beim Boxenstopp: Die Zeitunterschiede zum schnellsten Mercedes (Götz, HRT, +1,862 Sekunden) und dem schnellsten Audi (Rockenfeller, Abt, +1,920 Sekunden) waren immens. Beim Reifenwechsel am BMW M6 GT3 von Marco Wittmann brauchten die Walkenhorst-Mechaniker sogar 2,4 Sekunden länger.

Dem BMW-Kundenteam aus Melle gelang allerdings der größte Fortschritt über Nacht: Am Sonntag gelang der Truppe hinter dem Ferrari von Albon der zweitschnellste Boxenstopp des Rennens mit einem Rückstand von nur 0,420 Sekunden. Dabei konnte AF Corse nicht ganz an die Glanzleistungen vom Vortag anknüpfen. Der Abstand zum 'Rekord-Stopp' am Samstag betrug immerhin rund sieben Zehntelsekunden.

"Wir waren sehr gut auf das Wochenende vorbereitet, das Team hat sehr gute Arbeit geleistet", lautete Teamchef Amato Ferraris Monza-Fazit. "Dasselbe gilt für die Fahrer. Natürlich müssen wir uns noch verbessern, es war schließlich das erste Wochenende - aber wir hatten definitiv einen sehr positiven Auftakt. Insgesamt nehmen wir viele Punkte mit, wir sind zufrieden und für die Zukunft zuversichtlich."

DTM-Chef Berger dürfte gefallen haben, dass die Teams - in der Vergangenheit oftmals in Nebenrollen gedrängt - gleich beim Auftakt eine gewichtige Rolle spielten. "Ich glaube, dass die Hersteller verstanden haben, dass es der falsche Weg ist, selbst die Teams zu organisieren und dann dort alle technischen, sportlichen und finanziellen Entscheidungen zu treffen", sagte der Österreicher kurz vor dem Saisonauftakt zu Motorsport-Magazin.com. "Dadurch entmachtet man die Fähigkeiten der Teams, die ja gerade deshalb ausgewählt werden, weil sie so große Erfahrung mitbringen."