Da staunte selbst DTM-Aussteiger Jenson Button nicht schlecht, als er die Rundenzeitentabelle des zweiten Tages der Testfahrten auf dem Hockenheimring bei Instagram aufgelistet las und sechs der sieben eingesetzten Mercedes-AMG GT3 an der Spitze der Liste erblickte.

"Ich würde sagen, dass der Mercedes ein bisschen übermotorisiert ist", kommentierte der frühere Formel-1-Weltmeister den entsprechenden Eintrag und drückte damit aus, was viele Fans nach dem ersten offiziellen Test der neuen DTM-Ära mit GT3-Sportwagen vermuteten: eine wahre Mercedes-Dominanz gegenüber den Wettbewerbern Audi, BMW und Ferrari.

DTM-Rückkehrer Lucas Auer brannte mit dem Fallen der Zielflagge die Testbestzeit von 1:36.153 Minuten auf seinem mit der weicheren der beiden Michelin-Mischungen (S8) bestückten Winward-Mercedes in den Asphalt. Das war nicht nur 1,4 Sekunden schneller als die beste Pole-Runde, die jemals im ADAC GT Masters absolviert wurde (1:37.511; Schnitzer-BMW 2017), sondern auch 0,517 Sekunden schneller als der bestplatzierte Nicht-Mercedes von Audi-Abt-Pilot Mike Rockenfeller (1:36.670 Minuten).

Mercedes-Fabelrunde: Es wäre noch schneller gegangen

Wer bei dieser Fabelzeit in Hockenheim schon ins Schwitzen gerät, dem sei gesagt: Es wäre noch schneller gegangen! Motorsport-Magazin.com hat sämtliche Sektorenzeiten der zweitägigen Testfahrten ausgewertet und herausgefunden: Die theoretische Bestzeit eines Mercedes-AMG GT3 hätte bei einer Rundenzeit von 1:35.746 Minuten gelegen - also sogar noch einmal 0,407 Sekunden schneller als Auers tatsächlich gefahrene Zeit.

Dass Mercedes bei den Tests enorm viel schneller war als die Konkurrenz, mag Außenstehende überrascht haben. Wer jedoch im Vorfeld die speziell für die Hockenheim-Testfahrten ausgearbeiteten Einstufungen kannte, war weitaus weniger verwundert.

Offenbar war nicht jedermann bewusst, dass es sich bei diesen Testfahrten nicht im Ansatz um einen Vergleich der unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte handelte. Stattdessen wollte die DTM-Dachorganisation ITR zusammen mit dem neuen technischen Dienstleister AVL aus Österreich herausfinden, wie sich die Rennwagen bei möglichst großem Leistungs-Output verhalten.

DTM-Test Hockenheim: Kombinierte Bestzeiten (Top-10)

PositionFahrerTeamRundenzeit (Tag)
1Lucas Auer Winward-Mercedes1:36.153 (Do)
2Vincent AbrilHRT-Mercedes1:36.173 (Do)
3Daniel JuncadellaGruppeM-Mercedes1:36.251 (Do)
4Philip EllisWinward-Mercedes1:36.351 (Do)
5Maximilian GötzHRT-Mercedes1:36.375 (Do)
6Arjun MainiGetSpeed-Mercedes1:36.555 (Do)
7Mike RockenfellerAbt-Audi1:36.670 (Do)
8Maximilian BuhkMücke-Mercedes1:36.780 (Do)
9Kelvin van der LindeAbt-Audi1:36.867 (Mi)
10Liam LawsonAF Corse Ferrari1:36.897 (Mi)

DTM-BoP auf maximale Performance ausgelegt

Nur ein Beispiel, wie viel Potenzial die spezielle Test-BoP zugelassen hätte: Bei Mercedes-AMG konnten die Teams das von der ITR vorgegebene Mindestgewicht in Höhe von 1.285 Kilogramm (BMW: 1.290 kg, Audi: 1.235 kg, Ferrari: 1.260 kg) überhaupt nicht erreichen; allein schon, weil zusätzliche Systeme wie Data-Logger das Fahrzeuggewicht anhoben. Intern bei Mercedes lag das Zielgewicht bei 1.310 Kilogramm.

Der auch von der FIA mit einem Mindestgewicht von 1.285 Kilogramm eingestufte Mercedes-AMG GT3 war beim DTM-Test in Hockenheim 5 Kilogramm leichter unterwegs als etwa beim GT-Masters-Rennen 2020 (1.315 kg) an gleicher Stelle, wo die SRO von Stephane Ratel die BoP ausarbeitet.

"So leicht dürfte das Auto noch nie zuvor in einem Rennen gefahren sein", sagte ein Insider, der namentlich nicht genannt werden möchte, zu Motorsport-Magazin.com. Das dürfte auch für die Marken Audi, BMW und Ferrari gegolten haben, denen ebenfalls vergleichsweise niedrige Mindestgewichte seitens der ITR vorgegeben wurden.

Zusätzliche Leistung - und mehr als im Rennbetrieb üblich - lieferte der große Luftdurchfluss des Air Restriktors vor dem 6,3 Liter V8-Saugmotor des Mercedes, der bei Rennen durchschnittlich 550 PS liefert. Während die vorgegebene Restriktorgröße etwa beim letzten GT-Masters-Rennen in Hockenheim 34,5 Millimeter betrug, waren die Luftmengenbegrenzer beim DTM-Test auf 38 Millimeter erweitert. Das soll zusätzliche 20 bis 30 PS Leistung freigegeben haben. In den folgenden DTM-Rennen soll eine Restriktor-Größe von 36 Millimetern angepeilt werden.

Wurde der DTM-Test nicht ausreichend erklärt?

"Wir haben vor dem Test eine BoP-Analyse vorgenommen und es war klar, dass der Mercedes das schnellste Auto sein würde", sagte ROWE-Teamchef Hans-Peter Naundorf zu Motorsport-Magazin.com, der zwei BMW M6 GT3 in der DTM einsetzt. "Das Konzept des Tests war uns vollkommen klar. Es ging darum, die individuelle Leistungsfähigkeit eines jeden Autos herauszufinden. Rundenzeitenvergleiche waren für uns deshalb komplett unwichtig."

Hätten die Verantwortlichen der DTM oder die Teams transparenter erklären müssen, dass es sich um einen reinen BoP-Test handelte? Die Sorge vor einer Mercedes-Übermacht machte sich schnell in der Öffentlichkeit breit und war angesichts der nicht weiter eingeordneten oder erklärten Rundenzeiten nicht verwunderlich.

ROWE Racing setzt zwei BMW M6 GT3 in der DTM 2021 ein, Foto: DTM
ROWE Racing setzt zwei BMW M6 GT3 in der DTM 2021 ein, Foto: DTM

Mapping für Turbo-Autos über Nacht verändert

So sparte man es sich seitens der ITR etwa, zu erwähnen, dass bei den Fahrzeugen mit Turbo-Motor von Mittwoch auf Donnerstag auf Bitten der DTM-Dachorganisation eine Änderung des Mappings vorgenommen wurde, um weitere Daten für spätere Einstufungen zu sammeln. "Für Autos mit einem Turbo-Motor hat es im Sinne der BoP-Validierung eine alternative Motor-Mapping-Information gegeben", bestätigte die ITR erst auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com.

Sandbagging-Vorwürfe von Mercedes-Teamchefs

Unterschiedliche, in der Öffentlichkeit getätigte Aussagen aus dem Mercedes-Lager trugen nicht dazu bei, den eigentlichen Sinn dieser Testfahrten zu erklären. "Offensichtlich haben einige unserer Mitstreiter die Katze noch nicht aus dem Sack gelassen", wurde etwa GetSpeed-Teamchef Adam Osieka in einer Pressemitteilung des Teams zitiert. Und HRT-Teambesitzer Hubert Haupt sagte zu Motorsport-Magazin.com: "Wir sind offen und zeigen alles, während sich andere 'verstecken' und ihre wahre Performance noch nicht zeigen."

Damit machten Gerüchte über angebliches 'Sandbagging' - also absichtlich langsames Fahren, um eine bessere BoP-Einstufung zu ergattern - früher die Runde als von allen Beteiligten erhofft. DTM-Chef Gerhard Berger weist seit Jahren darauf hin, dass er in 'seiner' Serie lieber auf eine Balance of Performance verzichten würde. Die unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte im GT3-Sport lassen das allerdings nicht zu.

Ein höchst politisches Thema, das vor allem in früheren Zeiten oftmals für großen Ärger hinter den Kulissen und Kopfschütteln in der Öffentlichkeit sorgte. "Wir brauchen Rad-an-Rad-Duelle, aber nicht nur zwischen zwei Herstellern, sondern zwischen unterschiedlichen Marken", sagte Berger während der Testfahrten. "Der erste Aufschlag unseres BoP-Systems hat funktioniert, es liegt aber noch viel Arbeit vor uns."

Audi 9,6 km/h schneller als Mercedes - trotzdem langsamer

GetSpeed-Teamchef Osieka wurde in der Pressemitteilung konkret: "Audi war im Topspeed über 10 km/h schneller als der AMG, dennoch im letzten Sektor plötzlich eine halbe Sekunde langsamer. Die Hauptaufgabe der Verantwortlichen wird sein, bis zum Saisonauftakt eine faire BoP zu erstellen."

Tatsächlich lagen in allen sieben Sessions, in die die zweitägigen Testfahrten unterteilt waren, jeweils mindestens zwei Audi an der Spitze der Topspeed-Liste. Die Höchstgeschwindigkeit in einem R8 LMS GT3 erreichte DTM-Vizemeister Nico Müller mit 276,92 km/h am Mittwoch. Den höchsten Topspeed in einem Mercedes erzielte AMG-Fahrer Maximilian Buhk als Ersatz für Gary Paffett (Mücke Motorsport) mit 267,32 km/h - exakt 9,6 km/h weniger.

Damit reichte der Mercedes-AMG GT3 auch nicht an die Höchstgeschwindigkeiten von BMW (271,35 km/h) und Ferrari (272,35 km/h) heran. Der von Osieka angesprochene letzte Sektor auf dem Hockenheimring erstreckt sich von der Einfahrt ins Motodrom bis zur Start/Ziel-Geraden. Seinen konzeptionell bedingten Topspeed kann der Audi hier tatsächlich nur ausgangs der Südkurve bis zum Zielstrich etwa auf der Mitte der Start/Ziel-Geraden ausspielen.

Der Mercedes-AMG GT3 war allerdings noch nie als 'Topspeed-Monster' bekannt. Das zeigen schier unendlich viele Vollgasfahrten auf der langen Döttinger Höhe der Nordschleife des Nürburgrings, wo dem Benz im oberen Bereich regelmäßig die Puste im Vergleich zur GT3-Konkurrenz ausgeht. Die konzeptionellen Stärken des Mercedes liegen eher beim Herausbeschleunigen aus Kurven, frei nach dem Motto: Drehmoment statt Drehzahl.

Aber, und das fiel auf: Die Audi waren im dritten Sektor vergleichsweise langsam unterwegs. Die schnellste S3-Zeit fuhr Kelvin van der Linde am Donnerstag in 30.771 Sekunden - ganze 0,6 Sekunden langsamer als Mercedes-Pilot Auer am selben Tag. Ein Vergleich zwischen dem DTM-Test und dem GT-Masters-Rennen 2020 in Hockenheim zeigt, dass nur Audi - trotz 60 Kilo (!) weniger Fahrzeuggewicht - im DTM-Trim im technischen dritten Sektor (+ 0,02 Sek.) langsamer war, während Mercedes (- 0,65 Sek.) und BMW (- 0,44 Sek.) hier wesentlich schneller fuhren.

DTM-Test Hockenheim: Topspeed-Vergleich aller Marken

PositionAutoTopspeederzielt durch...
1Audi R8 LMS GT3276,92 km/hNico Müller, Mittwoch
2Ferrari 488 GT3272,04 km/hLiam Lawson, Mittwoch
3BMW M6 GT3271,35 km/hMarco Wittmann, Mittwoch
4Mercedes-AMG GT3267,32 km/hMaxi Buhk, Donnerstag

Sandbagging-Vorwürfe gegen Audi unter der Lupe

Lässt sich aus den einzelnen Sektorenzeiten in Hockenheim herauslesen, dass Audi in bestimmten Bereichen absichtlich verlangsamt hat, um die Rundenzeiten in der Hoffnung auf eine bessere BoP zu drücken?

Mike Rockenfeller fuhr am Donnerstag in 1:36.670 Minuten die Audi-interne Bestzeit. Dabei stellte der Abt-Pilot in allen drei Sektoren eine persönliche Bestzeit (21,197 Sek. / 44,647 Sek. / 30,826 Sek.) auf - übrigens die einzige (!) unter den insgesamt 2.324 Runden (10.629,976 km), in der ein Fahrer drei Sektorenbestzeiten zusammenbrachte.

Rockenfeller erzielte dabei in Sektor 1 und 2 Audis absolute Test-Sektorenbestzeiten. Nur im dritten Sektor gelang Abt-Teamkollege Kelvin van der Linde, der sich den Audi R8 mit Rocky teilte, am gleichen Tag eine noch bessere Zeit: 30,771 Sekunden und damit 0,055 Sekunden schneller in Sektor 3. Das südafrikanische GT3-Ass fuhr in jener Runde zusätzlich eine persönliche Bestzeit in Sektor 1 sowie persönliche Gesamt-Bestzeit am Donnerstag.

DTM-Test Hockenheim: Rundenanzahlen pro Marke

MarkeRundenAutos im Einsatz
Mercedes985 (4.505,39 km)7
Audi615 (2.813,01 km)4
BMW428 (1.957,672 km)2
Ferrari296 (1.353,904 km)2

Delta bei Mercedes doppelt so groß wie bei Audi

Einen weiteren Hinweis darauf, dass die Audi-Vertreter (Rockenfeller, Kelvin van der Linde, Nico Müller, Dev Gore, Sophia Flörsch) in Hockenheim kein Sandbagging betrieben haben, zeigt eine tiefgreifende Analyse sämtlicher Sektoren-Bestzeiten im Vergleich zu den tatsächlich gefahrenen Rundenzeiten.

Bei Audi lag das Delta zwischen theoretischer Sektoren-Bestzeit und tatsächlicher Bestzeit bei 0,208 Sekunden. Beim Mercedes-Vergleich ergab sich ein Delta aus 0,407 Sekunden. Den größten Unterschied gab es bei BMW, wo die am Donnerstag durch Marco Wittmann real erzielte Testbestzeit 0,576 Sekunden langsamer war als die Kombination aller BMW-Bestzeiten in den einzelnen Sektoren.

DTM-Test Hockenheim: Vergleich realer und theoretischer Marken-Bestzeiten

PositionAudiBMWFerrariMercedes
Reale Bestzeit1:36.670 1:37.190 1:36.897 1:36.153
Theoretische Bestzeit1:36.4621:36.6141:36.500 1:35.746
Delta0,208 Sek.0,576 Sek.0,397 Sek.0,407 Sek.

So viel Gerede bei so wenigen Teilnehmern

"Wir ziehen unser Programm durch, die Rundenzeiten der anderen Wettbewerber sind uns egal", sagte Abt-Geschäftsführer Thomas Biermaier noch während des Testbetriebes zu Motorsport-Magazin.com auf die Frage nach angeblichem Sandbagging. Und ein anderer Teamchef meinte vielsagend: "Es ist faszinierend und irritierend zugleich, wie viel Gerede es bei so wenigen Teilnehmern gibt."

Fakt ist: Rundenzeiten-Vergleiche zwischen den einzelnen Marken waren im Zuge der speziellen Testfahrten-BoP komplett aussagelos. Spannend war es eher zu sehen, wie schnell ein GT3-Fahrzeug bei maximalem Leistungs-Output fahren kann. "Nur rund 2,5 Sekunden langsamer als die DTM-Autos vor zehn Jahren", stellte der frühere Mercedes-DTM-Ingenieur und heutige ROWE-Teamchef Naundorf bei seiner Rückkehr als Teamchef in die deutsche Traditionsserie fest.

Blick unter die Haube des Ferrari 488 GT3 bei den DTM-Tests in Hockenheim, Foto: DTM
Blick unter die Haube des Ferrari 488 GT3 bei den DTM-Tests in Hockenheim, Foto: DTM

Bessere Vergleichbarkeit bei Lausitz-Test

Wie das Kräfteverhältnis in der DTM-Saison 2021 tatsächlich aussieht, darüber dürfte der nächste Kollektiv-Test auf dem Lausitzring (04.-06. Mai) einen besseren Aufschluss liefern. Nach Auswertung der Hockenheim-Daten und einer Korrelation mit den virtuell durch AVL erstellten Datensammlungen soll hier eine BoP zum Einsatz kommen, die sich mehr nach dem richtet, was die DTM beim zweitspätesten Saisonauftakt ihrer Geschichte in Monza (18.-20. Juni 2021) erwartet.

Insider sind sich bislang einig, dass es der ITR und Partner AVL gelingen wird, eine streckenabhängige Balance of Performance auszuarbeiten, die alle Fahrzeugkonzepte (Front-, Mittel- und Heckmotor sowie Motoren-Varianten - Acht- oder Zehnzylinder, Turbo- oder Saugmotor) auf ein relativ vergleichbares Niveau bringt - und das bei größerem Leistungs-Output als in anderen GT3-Rennserien, die eher auf Langstrecken-Formate mit anderen Anforderungen setzen.

Anlaufschwierigkeiten bei den ersten Sprintrennen der DTM-Saison 2021 haben die Verantwortlichen einkalkuliert und mit der Rückkehr des Erfolgsballasts vorgesorgt, doch eine Mercedes-Übermacht wie bei den unnötig angsteinflößenden Testfahrten-Ergebnissen aus Hockenheim ist nicht zu befürchten.

DTM-Testfahrten Hockenheim 2021: Highlights und Zusammenfassung (01:26 Min.)