Frank, du startest beim 24-Stunden-Rennen im Dunlop-bereiften Audi R8 von Phoenix Racing. Mit all deiner Erfahrung auf der Nordschleife: Welche Rolle spielen hier die Reifen?
Frank Stippler: Früher war es so, dass die Reifen am Anfang einen Peak hatten. Heißt: Für ein, zwei Runden hatten sie einen Hauch mehr Grip und sind dann über den Verlauf hinweg abgestürzt. Das hat sich in den vergangenen Jahren enorm verändert. Man hat heute einen Reifen, der vielleicht in den ersten ein, zwei Runden besser funktioniert, weil er brandneu ist und noch nicht diesen Heizzyklus hatte. Dann hält er sich auf einem sehr gleichen Niveau. Über den Stint wird das fast auf null kompensiert, weil du nach und nach Benzin verbrennst. Die rund 100 Kilo, die du dabei runterfährst, kompensieren den Verschleiß der Reifen. Somit bleiben die Rundenzeiten auf einem ähnlichen Niveau.

Wie kannst du als Fahrer Einfluss auf den Reifenverschleiß nehmen?
Frank Stippler: Man kann mittels der elektronischen Hilfsmittel dagegen arbeiten. Man dreht zum Beispiel das ABS eine Stufe höher oder passt die Traktionskontrolle an. Wenn man bei extrem heißen Temperaturen bemerkt, dass der Reifen über Gebühr beansprucht wird und anfängt zu schmieren, kann man minimal Gas rausnehmen, um einen Slide zu vermeiden. Es ist einfach eine Sache der Konzentration, ob du in diese Rutschphase hineinfährst, oder ganz knapp darunter bleibst. So kann man einen Reifen zurückholen, der vielleicht acht Grad zu heiß läuft.

Stippler startet beim 24h-Rennen für Phoenix Racing, Foto: Jan Brucke/VLN
Stippler startet beim 24h-Rennen für Phoenix Racing, Foto: Jan Brucke/VLN

Also könnte man auf einem Satz theoretisch einen Doppelstint fahren?
Frank Stippler: Eher nicht, höchstens in der Nacht wegen der Temperaturen. In Le Mans geht es auch. Das ist symptomatisch für die Nordschleife und zeigt, wie hart die Strecke für Reifen und Autos ist - eben die härteste Prüfstrecke der Welt. In Le Mans kann man Zweifach- und Dreifach-Stints fahren, aber da geht es viel geradeaus mit Kurven, die für keine allzu hohe Belastung sorgen. Man hat die Porsche-Kurven, die vergleichbar sind mit einigen Ecken auf der Nordschleife. Der Rest der Strecke bedeutet relativ wenig Belastung für die Reifen.

Welcher Reifen wird auf der Nordschleife am stärksten belastet?
Frank Stippler: Generell hast du hinten links mehr Verschleiß, weil du einfach mehr Rechts- als Linkskurven hast. Das eine ist der reine Verschleiß, das andere sind die Belastungsspitzen. Der reine Gummiabrieb ist pauschal hinten links stärker, während die Reifen mit Blick auf die Belastungsspitzen, die für die Konstruktion entscheidend sind, hinten rechts ärmer dran sind. In Kurven wie Fuchsröhre, Tiergarten und Breitscheider Brücke werden die Reifen hinten rechts stärker belastet. Und vor allem den zwei Karussells, weil da der volle Druck in dem Banking über die Betonplatten anliegt. So verteilen sich die Anforderungen an die Reifen ein bisschen.

Stippler ist ein absoluter Nordschleifen-Veteran, Foto: Dunlop
Stippler ist ein absoluter Nordschleifen-Veteran, Foto: Dunlop

Wie war es früher mit Blick auf die Reifen?
Frank Stippler: Ich bin im historischen Motorsport groß geworden, und habe mit 15 Jahren mein eigenes Auto restauriert. Das bin ich mit 18 dann gefahren. Deshalb fahre ich seit 20 Jahren immer mal wieder gern mit historischen Rennautos aus den 60er und 70er Jahren. Das ist ein komplett anderes Rennfahren, was den Umgang mit den Reifen angeht. Wenn du da nicht aufpasst, ist der Reifen nach ein, zwei Runden völlig überfahren und zehn Sekunden langsamer pro Runde. Heute hat sich das wegen der Qualitätssicherung so stark minimiert, dass man als Fahrer quasi keine Rücksicht mehr nehmen muss.

Wäre das 24-Stunden-Rennen spannender, wenn der Abbau eine große Rolle spielte?
Frank Stippler: Das wäre eine andere strategische Komponente und würde das Feld vielleicht umsortieren. Ich glaube aber nicht, dass das am Ende spannender wäre. Ich bin schon ein Fan davon, dass man von Anfang bis Ende volle Kanne fährt. Vielleicht würde es mir persönlich zugutekommen, wenn man mehr mit dem Material haushalten würde. Aber für das Gesamtbild ist es einfach das Schönste, wenn du komplett Vollgas fährst und das gar nicht so sehr von strategischen Spielen überschattet wird. Für Le Mans ist das vielleicht ein Thema. Aber bei GT3-Autos oder in der DTM finde ich es schöner, wenn es einfach gehalten wird und richtig zur Sache geht.

In der Formel 1 läuft es ganz anders...
Frank Stippler: Ich schaue seit zehn Jahren kaum noch Formel-1-Rennen, weil das mit unterschiedlichen Reifen, Klappflügeln und Boxenstopps künstlich spannend gehalten wird. Das reine Racing wird so ein bisschen vernachlässigt in meinen Augen.