Der Ferrari 499P sah in Le Mans am Sonntag kurz nach 16 Uhr als erstes Auto die karierte Flagge. Die Scuderia hatte soeben sensationell im ersten Jahr ihres Langstrecken-Comebacks in der Topklasse der WEC das 24-Stunden-Rennen gewonnen. Alessandro Pier Guidi, James Calado und Antonio Giovinazzi krönten sich 58 Jahre nach dem letzten Ferrari-Triumph zu Le-Mans-Siegern.

Dabei schienen die Siegchancen beim turbulenten 100-Jahr-Jubiläum des Langstrecken-Klassikers für den Ferrari mit der Nummer 51 kurz nach Mitternacht bereits erlischt zu sein. Pier Guidi musste in Führung liegend in der Daytona-Schikane einer Kollision vor ihm ausweichen, kam dabei von der Ideallinie ab und geriet auf eine etwas nassere Spur. Ein Dreher war die Folge, Pier Guidi strandete im Kiesbett.

Ferrari: Schnelle Marshalls ermöglichen Le-Mans-Triumph

"In diesen Minuten im Kiesbett fühlte ich mich überhaupt nicht gut. Es fühlte sich an, als sei alles verloren und das, obwohl wir gerade noch in Führung lagen", erklärte der Italiener. Doch Pier Guidi und sein Team hatten Glück im Unglück. Denn der Ferrari war für die Bergungsarbeiten an einer guten Stelle im Kies gelandet. "Die Marshalls haben einen unglaublichen Job gemacht, denn wir haben es geschafft keine Runde zu verlieren", freute sich Pier Guidi.

Dadurch waren die Chancen auf eine Top-Platzierung auch nach diesem Ausrutscher noch intakt. Dank eines Safety Cars, das kurze Zeit später aufgrund eines weiteren Zwischenfalls auf die Strecke gerufen wurde, kam der Ferrari wieder in Schlagdistanz zur Spitze. Das liegt an den neuen Safety-Car-Regeln in Le Mans, bei denen die einzelnen Klassen vor einem Restart wieder sortiert werden und das Rennen nicht in drei unterschiedlichen Safety-Car-Gruppen wieder aufnehmen, so wie es früher üblich war.

Toyota-Fehler entscheidet Sieg-Duell

Noch in der Nacht kristallisierte sich nach Ausfällen der Konkurrenz ein direktes Duell um den Gesamtsieg zwischen dem Toyota #8 und dem Ferrari #51 heraus. In den frühen Morgenstunden übernahm der Ferrari wieder die Führung. Doch damit war das Duell noch nicht gewonnen, das Spitzenduo duellierte sich bis zum Nachmittag. 90 Minuten vor dem Ende des Rennens war der Toyota etwa 15 Sekunden hinten, als ein Unfall von Ryo Hirakawa das 24-Stunden-Rennen zu Gunsten des Ferraris für die Vorentscheidung sorgte.

Doch einen Schreckmoment gab es noch. Beim allerletzten Boxenstopp des Tages konnte der 499P nicht losfahren und blieb etwa eine Minute bewegungslos an der Box stehen. "Ich hatte fast einen Herzinfarkt", beschrieb Giovinazzi seine Gefühlslage in diesem Moment. Doch Pier Guidi, der zu diesem Zeitpunkt wieder am Steuer saß, bekam den Prototypen nach einem Neustart der Systeme wieder in Gang und konnte das Rennen unangefochten auf Platz 1 zu Ende fahren. Dann war der Bann gebrochen und Ferrari konnte jubeln.

Freudentränen bei Giovinazzi: Immer davon geträumt

Vor allem Giovinazzi ließ seinen Emotionen freien Lauf. Der ehemalige Formel-1-Fahrer hatte einige schwierige Jahre hinter sich. Nachdem er 2021 bei Alfa Romeo aus der Königsklasse flog, blieb er in seiner Debütsaison in der Formel E ohne einen einzigen Punkt. Mit Tränen in den Augen sagte er nach dem Rennen: "Es ist unglaublich, ich bin einfach so glücklich für Ferrari".

"Als Kind hatte ich den Traum, die 24-Stunden von Le Mans zu gewinnen, Indianapolis und Formel 1 in Monza. Es war einer meiner größten Träume hier zu gewinnen und heute wurde dieser Traum wahr", erklärte der Italiener seinen Emotionsausbruch. Giovinazzi hatte überhaupt erst zum zweiten Mal am 24-Stunden-Rennen in Le Mans teilgenommen, genauso wie für seine beiden Teamkollegen war es sein erster Start in der Top-Kategorie.

Für Ferrari ist es bereits der zehnte Sieg in Le Mans. Die Sieg-Premiere feierte der italienische Sportwagen-Hersteller 1949. Nach zwei weiteren Erfolgen in den 50er-Jahren legte Ferrari ab 1960 einen Lauf von sechs Le-Mans-Siegen in Serie hin. Kein geringerer als Formel-1-Legende Jochen Rindt konnte sich beim letzten Sieg 1965 gemeinsam mit dem US-Amerikaner Masten Gregory in der Siegerliste verewigen.