Bei unserer letzten Geschichte hieß es: Zeig uns deine Apps! Jetzt machen wir daraus: 'Zeig uns dein Portemonnaie!' Nein natürlich nicht. Wir quatschen ein bisschen über WRX. Wie kam bei dir diese Faszination zustande?
Timo Scheider: Mattias [Ekström] hat mir immer wieder erzählt, was er im Rallycross-Auto alles erlebt hat. Dazu kam, dass mein ehemaliger Renningenieur Laurent Fedacou auch in der Szene aktiv ist. Ich habe dann zu ihm gesagt: Also, wenn das so geil ist, wie du erzählst, muss ich das mal ausprobieren. Er hat es dann eingefädelt, dass ich einen Test bekommen habe und letztes Jahr sogar einen Gaststart in Barcelona bestreiten durfte. Danach habe ich es verstanden. Das Auto macht nicht nur Spaß, es ist auch extrem schnell und fordernd. Du hast einen Puls von 180, weil du nur am Kurbeln bist - Handbremse, Schalten, einfach Action pur. Danach war ich für Tage und Wochen total euphorisch. Ich dachte mir schon: Mann, ist das peinlich. Jetzt bin ich schon wie der Mattias. So geil kann das doch gar nicht sein. Aber das war es.
Mattias meinte mal: Die DTM sei wie ein Filetstück, aber manchmal habe er eben Bock auf eine Bratwurst. Wie kann man sich das in einer Kiste mit 600 PS vorstellen?
Timo Scheider: Es ist schon Wahnsinn, was da passiert. Sie beschleunigen von 0 auf 100 km/h in 1,9 Sekunden. Ich erinnere mich da an meine ersten Starts, wo du dich mehr oder weniger am Lenkrad festhalten musstest, damit du den Schalthebel noch erreichst, um die Gänge durchzureißen - so schnell war es beim Rausbeschleunigen. Es ist hart, gar keine Frage. Es ist keine Sportart für - ich will jetzt nicht sagen Mädchen, da muss ich aufpassen, was ich sage... aber auf jeden Fall nichts für Weicheier! Da wird sich angelehnt, du stehst schon am Start Spiegel an Spiegel, wodurch es in der ersten, zweiten, dritten Ecke unausweichlich Kontakt gibt. Es wird geschoben, es ist dreckig und nach vier Runden glaubst du, dass du ein 24h-Rennen gefahren wärst. Bei meinem ersten Start habe ich Petter Solberg in den Kies gedrückt, weil ich innen nicht nachgegeben habe. Danach dachte ich nur: 'Oh Gott, das gibt voll Ärger.' Dann kam Petter beim Vorstart für den nächsten Heat vorbei und sagte nur: 'Geil war das, richtig geil! 'Hast du Spaß?'
Du hast das jetzt so euphorisch erzählt, das klang wie bei deinen Formel-4-Jungs. Du bist schon so viele Jahre dabei und trotzdem hast du ein Grinsen im Gesicht...
Timo Scheider: Es ist erschreckend, dass es so ist. Es ist so extrem, dass ich es in der Situation selbst gar nicht begreifen konnte, wie die Emotionen mich nach so vielen Jahren im Motorsport einholen und mich wie ein kleines Kind über den Sport reden lassen. Das hat mich eiskalt erwischt. Ich hatte einen Riesenspaß mit diesem Spielzeug, das eigentlich keines ist. Es ist eher eine Kanonenkugel, auf der du unterm Hintern unterwegs bist, die aber extrem Laune macht und super cool ist. Du hast Stadionatmosphäre, eng an der Strecke, du hast Krach, du hast Sprünge, du hast Dreck - ich wüsste nicht, was als Zuschauer besser sein könnte, als ein Rallyecross-Rennen anzusehen. Ich muss gerade echt aufpassen, dass ich nicht zu euphorisch werde.
Was ist für dich fahrerisch die größte Herausforderung?
Timo Scheider: Die Gegebenheiten sind jede Runde ein bisschen anders. Präzises Fahren ist auf der einen Seite total wichtig, auf der anderen Seite ist es extrem schwierig. Auf Asphalt ist es ein bisschen einfacher, aber wenn du Dreck hast, wo es rutscht, wo man springt, wo man vielleicht nicht wieder auf den Zentimeter gleich aufkommt wie die Runde davor, sind die Bedingungen anders und das macht es umso spannender. Es gibt so viele Faktoren, die darauf Einfluss nehmen. Die im Griff zu haben, die Schwankungen pro Runde auf ein Minimum zu beschränken, das ist eine enorme Herausforderung.
Tut es dir als Fahrer gut, mal etwas komplett anderes zu machen?
Timo Scheider: Ja, das gefällt mir da. Da kann man auch fahrerisch das eine oder andere kompensieren, mit ein bisschen mehr Risiko, ein bisschen mehr Feingefühl. Du kannst Setup-Probleme ein wenig überblenden oder mal eine andere Linie wählen. Man sieht in der Rallyecross-Szene, dass die Fahrstile mittlerweile immer sauberer werden, aber es gibt halt auch einen Petter Solberg, der mit dem genauen Gegenteil ganz vorne ist. Er kommt schon 50 Meter vor der Kurve mehr oder weniger rückwärts angeflogen, weil das sein Anstellwinkel für die Kurve ist. So ein Rallycross-Auto verzeiht natürlich auch eine ganze Menge. Wenn die Kurve nicht ganz rund läuft, zieht man die Handbremse, haut den Fuß auf das Pedal und das Gerät schießt dich irgendwie wieder in die richtige Richtung. Das ist schon beeindruckend. Ich habe in den letzten 15 Jahren nichts gefahren, was mehr Spaß gemacht hat als ein Rallycross-Auto.
Ist es echt so, dass du dir als Rennfahrer die Bestätigung in einer anderen Rennserie holen kannst?
Timo Scheider: Ja, natürlich. Das war auch so bei den 24 Stunden am Nürburgring. Rennfahrer stehen im Fokus, Rennfahrer sind diejenigen, die auch öffentlich von Fans und Umfeld kritisiert werden. Das spürt man natürlich. Wir sind auch nur Menschen. Wir sind keine Maschinen und wir machen auch mal Fehler. Ich hoffe eben, dass man die Fehler nur einmal im Leben macht und daraus lernt. Dann kommst du zu so einem 24-Stunden-Wochenende, sitzt zum ersten Mal seit fünf, sechs Jahren wieder in einem GT-Auto auf der Nordschleife, und ich muss sagen: Alter Verwalter, Timo, es geht! Du setzt dich da rein, bist schnell und gehörst mit zum Benchmark auf der Nordschleife. Das ist eine geile Bestätigung. Das gibt dir wieder ein Stück Selbstsicherheit zurück für all die Kritik, die du manchmal spürst.
Gefällt dir dieses lockere Umfeld in der WRX?
Timo Scheider: Das macht mir extrem viel Spaß! Ich kenne es ja aus meinen Formel-4- und Kart-Teams, da ist die Atmosphäre auch ein bisschen einfacher. Dort bedeutet Racing noch, dass man abends gemeinsam am Grill zusammensitzt und philosophiert. In der WRX ist es genauso. Da kannst du in jedes Zelt reinlaufen, abklatschen und keiner sagt: 'Hey, da ist einer vom anderen Team. Du kommst hier nicht rein!' Viel eher heißt es: Komm rein, willst du einen Kaffee oder Tee? Auf der einen Seite ist es super professionell, auf der anderen Seite super entspannt. Das mag ich sehr. Es ist nicht so steril wie im Spitzenmotorsport, etwa der Formel 1 oder der DTM. Es ist back to basic. Es erinnert mich irgendwie an die Bratwurst. Zu meinen Formel-Renault-Zeiten habe ich in einem Zwei-Mann Zelt geschlafen. Das wünsche ich mir heute natürlich nicht mehr. Aber trotzdem tut es gut, wieder etwas mehr den Motorsport zu spüren und ein bisschen Blödsinn zu reden.
Glaubst du, die DTM könnte sich eine Scheibe bei der WRX abschneiden?
Timo Scheider: Ich glaube, dass ich für die Fans spreche, wenn ich sage, dass wir nicht Riesenpaläste aufbauen müssen, um guten Motorsport zu bieten. Dafür brauchen wir keine 46.000 klinisch polierten Trucks. Natürlich muss alles ordentlich sein, wir sind Premiumhersteller, wir wollen dieses Niveau, das wir auf der Straße bieten, auch hier bieten. Aber trotzdem glaube ich, wäre es schön, wenn man als Fan durch das Fahrerlager geht und irgendwie das Gefühl hat, ich bin Teil dieser Szene. Und bei Rallycross ist es so, du hast deinen LKW, du hast dein Zelt mit Hospi und dein Rennauto. Auf der anderen Seite sind vielleicht ein paar Absperrbänder davor, aber du kannst zugucken, wenn die Jungs ein Getriebe auswechseln. In der DTM versucht man, so etwas zu vermeiden. Denn dort ist so viel Geld im System, dass man sich gar nicht erlauben kann, zu sagen: Komm rein, schau mal, wie wir das machen. Damit schiebt man der Konkurrenz den Ball vor die Füße.
Nehmen wir an, du würdest fix in der WRX starten. Würdest du dir da nicht selbst eine Zielscheibe aufsetzen? Stichwort: 'Schieb ihn raus'.
Timo Scheider: Das macht ja nix! Ich kann damit gut umgehen und weiß, was in der Vergangenheit gewesen ist. Ich weiß, was Absicht war und was nicht...
Also kannst du jetzt darüber lachen?
Timo Scheider: Natürlich. Ich meine, hier und da gibt es immer wieder einen Spruch, und auch von Fans, die immer mal was sagen mit: 'Schieb ihn raus'. Aber ich bin da relativ entspannt. Das ist so lange her, das ist Vergangenheit und ich versuche mich ohnehin, mehr mit der Zukunft zu beschäftigen als mit der Vergangenheit. Von daher kann ich da ganz gut drüber lachen.
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