Die überaus spannende und ereignisreiche 74. Auflage des Langstreckenklassikers wurde erst 20 Minuten vor dem Fallen der Zielflagge entschieden, als Mercedes-Pilot Raffaele Marciello, der mit seiner dritten Pole-Position in Folge einen Rekord und zudem die schnellste jemals gefahrene Qualifying-Zeit (2:16,375 Minuten) erzielte, die Führung von Maro Engel übernahm. Der DTM-Fahrer musste noch einmal zu einem kurzen Splash-and-Dash (Tankstopp) an die Box fahren und fiel dadurch mit seinen DTM-Markenkollegen Maximilian Buhk und Mikael Grenier in einem weiteren Mercedes-AMG GT3 sogar noch bis auf Rang vier zurück.
Dagegen feierten Marciello, Jules Gounon und Daniel Juncadella mit dem Mercedes-AMG GT3 des Teams AKKODIS ASP ihren ersten Spa-Sieg und hatten dabei nach 536 Runden (3.754,144 km) einen Vorsprung von 31,040 Sekunden auf ihre Markenkollegen, dem amtierenden DTM-Champion Maximilian Götz, seinem DTM-Markenkollegen Luca Stolz (wurde am Freitag 27 Jahre alt) sowie dem Holländer Steijn Schothorst.
Der Erfolg der drei AMG-Teams war perfekt vorbereitet worden, denn die Entscheidungsträger vertrauten auf unterschiedliche Boxenstopp-Strategien, so dass ab der zweiten Rennhälfte nahezu durchgängig einer der drei Mercedes-AMG GT3 an der Spitze lag, aber lange nicht klar war, wer das packende Finale für sich entscheiden würde.
"Diesmal ist unser Matchplan perfekt aufgegangen. Wir konnten mit allen drei Performance-Fahrzeugen durchfahren und permanent Druck auf die Konkurrenten ausüben", freute sich Stefan Wendl, Leiter Mercedes-AMG Customer Racing über den gelungenen Schachzug, mit dem man "das Risiko eines Ausfalls oder einer für uns unglücklichen Full-Course-Yellow-Phase minimieren konnte". Die Gesamtränge eins, zwei und vier sind zum 55. Geburtstag von Mercedes-AMG das passende Geschenk für die Sternmarke.
Marciello brachte den Erfolg ehrlich auf den Punkt, als er nach dem Rennen feststellte: "Wir hatten sehr viel Glück während des ganzen Rennens mit dem Auto, den Reifen, dem Verkehr und den Streckenbedingungen. Aber das gehört auch dazu!"
Auf Platz drei (46,926 Sekunden zurück) verhinderte das Team der Vorjahressieger Iron Lynx mit Antonio Fuoco, Davide Rigon und Daniel Serra den historischen ersten Dreifach-Triumph der Affalterbacher auf dem Grand-Prix-Kurs in den belgischen Ardennen.
Nur 12,836 Sekunden hinter dem GruppeM-Mercedes-AMG belegte das BMW-Junior-Team Daniel Harper, Max Hesse und Neil Verhagen bei ihrer gemeinsamen Spa-Premiere mit dem BMW M4 GT3 und trotz eines Reifenschadens den bemerkenswerten fünften Gesamtrang. Zum 25. Triumph ihres Arbeitgebers fehlte dem jungen ROWE-Trio weniger als 50 Sekunden.
Reifenpech hatten auch ihre ROWE-Teamkollegen Nick Catsburg, Nicholas Yelloly und Augusto Farfus. Der auf Platz zwei um die Führung kämpfende Brasilianer kostete beim Sekundenkampf an der Spitze 53 Minuten vor Rennschluss ebenfalls ein Reifenschaden den möglichen Gesamtsieg.
"Obwohl das Rennergebnis mit den Plätzen fünf und sechs für die beiden ROWE Racing BMW M4 GT3 gut ist, spiegelt es in meinen Augen nicht unsere eigentliche Leistung wider", bilanzierte Andreas Ross, Leiter BMW M Motorsport die eigene gute Performance. "Wir lagen nach sechs Stunden auf Platz eins, nach zwölf Stunden sogar auf Platz eins und zwei. Die Fahrer haben keine Fehler gemacht und das Team hat perfekt gearbeitet." Ein einziger später Reifenschaden an beiden M4 war letztendlich entscheidend für das Verfehlen der erhofften Podiumsplätze.
Auch der von der letzten Position (66) ins Rennen gestartete KCMG-Porsche von Dennis Olsen, Nick Tandy und Laurens Vanthoor sowie der Jota-McLaren mit Rob Bell, Marvin Kirchhöfer und Oliver Wilkinson lagen noch innerhalb der Führungsrunde. Womit fünf verschiedene Hersteller (Mercedes-AMG, Ferrari, BMW, Porsche und McLaren auch die ersten acht Plätze in der Gesamtwertung belegten, was sowohl für die Ausgeglichenheit als auch die gute Balance of Perfomance (BoP) sprach – Audi ausgenommen!
Die mit Spannung erwartete 24-Stunden-Premiere von Motorrad-Superstar Valentino Rossi, der sich nach seiner Rennkarriere auf zwei Rädern und mit neun WM-Titeln gekürt, ab 2022 nun auf vier Räder konzentriert, endete nach einem unverschuldeten Zwischenfall und großem Pech mit fünf Runden Rückstand auf Rang 17.
"Ich hatte mir ehrlich gesagt mehr ausgerechnet. Wir haben uns aber von unserem Pech in der Nacht nicht beeinflussen lassen und ich bin glücklich, trotz einiger Fehler ins Ziel gekommen zu sein und ein gutes Ergebnis erzielt zu haben", meinte Rossi, für den sein erstes 24h-Rennen "ein fantastisches Erlebnis war. Ich habe jede Minute genossen." In der Tat konnte der italienische Fan-Liebling mit seiner eigenen Leistung in dem Weltklasse-Teilnehmerfeld durchaus zufrieden sein. "Dafür, dass ich das legendäre Rennen erstmals bestreiten durfte, danke ich Audi und meinem WRT-Team. Ich habe hier viel gelernt und werde wiederkommen."
Das Trio mit Audi-Werkspilot Nico Müller und Audi-Sport-Fahrer Frederic Vervisch, das wegen zweier Zeitstrafen von Rossi (Reglementvergehen im Training) nur von Position 35 unter insgesamt 66 Startern losgefahren war, kämpfte sich im Audi R8 LMS kontinuierlich und bravourös nach vorne. Als Rossi und Co. in den frühen Morgenstunden schon sensationell auf Platz vier lagen, kollidierte sein Teamkollege Nico Müller ausgerechnet mit dem favorisierten Schwesterauto des belgischen WRT-Teams, das von Lokalmatador Charles Weerts pilotiert wurde.
Der Belgier musste bei Sonnenaufgang ausgangs der La-Source-Kehre stark abbremsen, um einem dort unverhofft stehenden Auto auszuweichen, weshalb Müller, der ihm im Windschatten dichtauf folgte, keine Chance hatte. Beide Audis wurden bei der Kollision beschädigt, u. a. die Radaufhängung an der #32, und nur das Trio um Rossi konnte seine Hetzjagd nach einer achtminütigen Reparaturpause in der Box fortsetzen.
Apropos Audi: Die mit vier Gesamtsiegen und insgesamt 14 Podiumsplätzen erfolgreichste Marke in der GT3-Ära seit 2009 schaffte erstmals in diesem Zeitraum keinen Top-10-Plat! Nur 2010 (P9) und 2019 (P4) stand kein Audi-Fahrer auf dem Siegerpodium. Diesmal reichte es wegen zahlreicher Zwischenfälle und fehlendem Speed "nur" zum zwölften Platz, den das Attempto-Trio Ricardo Feller, Dennis Marschall und der zweimalige Gesamtsieger Markus Winkelhock als bestes Audi-Team erzielte.
Etwas mehr als drei Stunden vor Rennende wurden auch die Träume von Aston Martin vom zweiten Spa-Triumph nach 1948 jäh beendet. AMR-Werksfahrer Nicki Thiim konnte von Glück sprechen, dass sein spektakulärer Dreher bei fast 250 km/h nicht in einem Mega-Crash geendet ist. Der Däne war zwischen den schnellen Streckenabschnitten Eau Rouge und Raidillion mit seinem flammneuen Vantage GT3 beim Zweikampf um Platz drei mit dem AKKODIS-Mercedes-AMG von Jules Gounon leicht kollidiert. Der spätere Gesamtsieger kam mit viel Glück ungeschoren davon, dagegen musste Thiim den Beechdean-Aston langsam an die Box steuern, um neue Reifen aufziehen zu lassen. Die dabei verlorene Zeit bedeutete letztendlich einen Rückfall auf Rang zehn.
Direkt dahinter platzierte sich der beste Lamborghin mit den Werksfahrern Marco Mapelli, Jordan Pepper und Andrea Caldarelli auf Platz elf. Letzterer hatte mit dem Lambo des Teams Orange 1 KPAX Racing eigentlich die Pole-Position herausgefahren. Nach einer technischen Nachuntersuchung wurden dem Italiener allerdings wegen nicht regelkonformer Details alle Rundenzeiten gestrichen und das Team auf Startplatz 30 zurückversetzt. Was die dagegen angekündigte Berufung des Lambo-Teams letztendlich bedeutet, wird nun von Juristen entschieden.
Für eine große Überraschung sorgten Sarah Bovy, Rahel Frey, Michelle Gatting und Doriane Pin im Ferrari 488 GT3 (#83) des Teams Iron Dames. Das Damen-Quartett gewann nach einer fehlerfreien und tollen Leistung völlig überraschend die Gold-Cup-Wertung mit drei Runden Vorsprung und belegte zudem im Gesamtklassement Rang 18 – nur 0,718 Sekunden hinter Müller/Vervisch/Rossi, aber vor so erfolgreichen und namhaften Teams wie AF Corse, WRT und Walkenhorst. Mit ihrem Coup schrieben sie zudem Geschichte, denn erstmals in 99 Jahren gewann ein reines Damenteam seine Klasse.
"Das fühlt sich historisch wie ein großes Ergebnis an", kommentierte Frey den Husarenstreich. "Es ist ein sehr gutes Zeichen und eine sehr gute Botschaft, die man aussenden kann. Wir wollen mehr Mädchen motivieren, zu kommen und dasselbe zu erreichen und sie ermutigen, sich uns in der Motorsportwelt anzuschließen."
Das bis zum Schluss äußerst spannende, spektakuläre und bestbesetzte GT3-Rennen der Welt wurde von vielen Unfällen, Reifenschäden sowie etlichen Neutralisationen und einer rund 50-minütigen Rennunterbrechung wegen eines Unfalls von Matthew Payne im EBM-Porsche (#16) stark beeinträchtigt. Alle verunfallten Piloten blieben zum Glück unversehrt.
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