Vier Testtage, zwei Bestzeiten, immer unter den Top-4. Vor einer guten Woche wurde noch darüber spekuliert, ob das Ex-Honda-Team überhaupt überleben würde, jetzt gehört Brawn GP plötzlich zu den großen Überraschungen des Winters. "Nach den Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten, um hierher zu gelangen, ist solch ein ermutigender Beginn genau das, was wir gebraucht haben", setzte Jenson Button auf die Motivationsschiene, die auch bitter nötig ist, da es innerhalb des Teams in der Fabrik weiter rumort - die Mitarbeiter wissen genau, dass viele von ihnen im Laufe der Saison gehen müssen und dann vielleicht weniger Entschädigung erhalten als von Honda.

Brawn GP erstaunt die F1-Welt., Foto: Sutton
Brawn GP erstaunt die F1-Welt., Foto: Sutton

Die Bestzeiten und superschnellen Rundenzeiten hätten sie ihrem Auto wahrscheinlich selbst nicht zugetraut. Zu lange war die Zukunft unklar, zu lange konnte nicht getestet werden. Seit dem Barcelona-Test im November schaute das Team nur noch voller Sehnsucht und Bangen zu. Wer andernorts einen sicheren Job bekommen konnte, hat den Rennstall verlassen. Die Entwicklung soll zwar weitergeführt worden sein, doch eine ungewisse Zukunft treibt nicht unbedingt zu Höchstleistungen bei. Entsprechend rechnete kaum jemand damit, dass Brawn GP ein konkurrenzfähiges Auto auf die Räder stellen würde - obwohl Ross Brawn schon beim Honda-Rückzug von einem "Siegauto" sprach, das man in der Mache gehabt habe.

Überraschung überall

Beim Barcelona-Test im März dann die Überraschung: "Die sind eine Sekunde schneller als wir. Das ist doch gar nicht möglich", konnten einige Ferrari-Ingenieure das Bild der Zeitenliste kaum glauben. "Wenn die in Melbourne genauso stark fahren, dann hat keiner eine Chance", prophezeite Sebastian Vettel, dem Williams-Technikchef Sam Michael zustimmte: "Wenn sie die Rundenzeiten in Melbourne wiederholen können, gewinnen Button und Barrichello den Grand Prix von Australien mit einer Runde Vorsprung."

Aber sind diese Aussagen der Konkurrenz ehrliche Anerkennung der Tatsachen oder doch nur eine willkommene Ablenkung, um nicht über die eigene Performance sprechen zu müssen? Bei Williams gestand Nico Rosberg zum Beispiel, dass das Auto - mal wieder - nicht seinen hohen Erwartungen entsprechen würde. Da ist ein totgesagter Gegner, der plötzlich aus den Honda-Überresten aufersteht und Wunderzeiten fährt doch eine gern gesehene Ablenkung.

Eine Frage des Gewichts

Flavio Briatore trat auf die Euphoriebremse. "Wenn man keine Sponsoren auf dem Auto hat, kommt man hierher und fährt schnelle Rundenzeiten", sagte der Renault-Boss. "Ansonsten konzentriert man sich auf seine Vorbereitung." Sind die Zeiten von Brawn GP also nur heiße Luft mit wenig Sprit und vielleicht sogar Untergewicht? Norbert Haug traut seinem zweiten Motorenkunden einiges zu. "Dieses Auto ist eine Bombe", sagte er. Das habe er schon nach dem ersten Tag gespürt.

Weiß wie die Unschuld oder doch eher wie Untergewicht?, Foto: Sutton
Weiß wie die Unschuld oder doch eher wie Untergewicht?, Foto: Sutton

Also doch ein Wunderauto, das trotz des Honda-Rückzugs, teils stillstehender Entwicklung und kaum Testkilometern aus dem Stand ganz vorne mitfährt? "Das glaube ich erst in Melbourne", sagte uns Christian Danner. Denn ganz so einfach ist die Situation nicht. Ohne KERS, das Brawn GP definitiv noch nicht einsetzte, und die entsprechenden Ausgleichsgewichte, um auf das Mindestgewicht zu kommen, lässt sich schnell eine Bestzeit erzielen - oder auch zwei. In Barcelona können zehn Kilo Gewichtsunterschied knappe drei Zehntel ausmachen, wenn KERS dann 30 oder 40 kg wiegt, ergibt sich schnell ein überdimensionaler Vorsprung. Selbst wenn letztlich nur mit beispielsweise 20 kg Untergewicht gefahren würde.

Der Speed ist da

Aus Teamkreisen ist zwar zu hören, dass man selbst nicht genau wisse, warum man so schnell sei, doch dass man tatsächlich schnell unterwegs sei, war von mehreren Seiten zu hören, hinter vorgehaltener Hand auch von einem Ingenieur des Einheitsreifenherstellers Bridgestone. Zwischen BMW Sauber, Brawn GP, Toyota und Ferrari ginge es nach Reifen- und Benzinwertung ziemlich eng zu, und zwar in dieser Reihenfolge.

"Ich überrasche die Leute gerne, aber ich will sie eigentlich bei den Rennen überraschen", sprach Jenson Button die entscheidenden Worte. Erst in Melbourne wird Klarheit darüber herrschen, wer wirklich wie schnell ist. Rubens Barrichello reibt es den Kritikern der letzten Wochen und Monate aber dennoch gerne ins Gesicht: "Ich denke, wir werden die Überraschung des Jahres sein."