Wäre ich Filmregisseur, ich hätte mir am Tag nach dem World Motor Sports Council längst die Rechte für diese Story gesichert. Es sind schon schwächere Drehbücher als dieses mit Oscars bedacht worden: Ein Weltmeister, der in ein neues Team flüchtet, dort geheime Informationen von Ferrari serviert bekommt, sich in Emails und SMS mit seinem Testfahrer darüber austauscht und am Ende zum Kronzeugen gegen sein eigenes Team wird, von dem er sich nicht ausreichend geliebt fühlt. Ein eiskalter Teamchef, der vor Millionen Menschen in Tränen ausbricht. Und das dicke Ende, bei dem das eitle Imperium durch allerlei dunkle Machenschaften zerschlagen wird. Keine schlechte Story, oder?

Egal, wie die Geschichte in der Realität weitergeht: Spätestens seit dem 13. September gibt es nur noch "Ja, aber..."-Weltmeister. Gewinnt Ferrari die Team-WM, dann natürlich nur weil McLaren die Punkte weggenommen wurden. Gewinnen Hamilton oder Alonso die WM, dann natürlich nur, weil am Auto irgendwann mal etwas Geklautes dran war. Sollte doch noch ein Ferrari das Unmögliche möglich machen, dann wahrscheinlich deswegen, weil McLaren durch das Urteil von Paris in eine Krise gestürzt worden ist. Im gegebenen Fall würde McLaren übrigens im kommenden Jahr mit den Nummern 22 und 23 antreten müssen. Die schlechten Boxen neben Spyker und Toro Rosso sind ihnen ohnedies schon sicher. Egal, wie man das Ding auch dreht. Spätestens jetzt liegt ein langer Schatten über der Meisterschaft.

McLaren und Ferrari werden so schnell keine Freunde mehr., Foto: Sutton
McLaren und Ferrari werden so schnell keine Freunde mehr., Foto: Sutton

Und genau diesen Punkt muss die FIA endlich einmal in den Griff bekommen. Die Geschichte der Bestrafungen von Übeltätern hat im historischen Überblick ja mittlerweile fast komödiantische Züge angenommen. Von "Punkte weg und Geldstrafe" über "Punkte behalten und Geldstrafe" bis zu "Fahrerpunkte behalten, aber Teampunkte weg" ist alles schon passiert. Logik steckt da keine dahinter. Im Fußball ist es relativ einfach: Verstößt ein Klub gegen die Regeln - zum Beispiel Einsatz illegaler Spieler, Dopingvergehen oder Schiebereien - geht das Spiel zwingend verloren. Die Punkte sind weg. Umgelegt auf andere Sportarten hieße das Urteil von Paris: der Fußballklub darf die Punkte behalten, aber die Tordifferenz wird auf ein 0:3 nach unten bereinigt. So etwas verstünde natürlich kein Fan.

Tut mir leid. Ich habe seit den späten Siebzigerjahren kein Formel 1-Rennen verpasst. Aber ich kapiere immer noch nicht, wo das Problem liegt. Wenn jemand betrügt, dann gibt es eine Strafe. Und sonst eben nicht. Hat McLaren jetzt etwas Illegales gemacht? Scheinbar. Und warum nimmt man den Fahrern, die ja offensichtlich in einem Plagiats-Auto sitzen, die Punkte nicht weg? Warum dürfen die mit dem geklauten Wissen von Ferrari weiterfahren? Ich verstehe es einfach nicht, aber vielleicht ist das ganze auch nur noch eine Meisterschaft der Staranwälte.

Sehr gut hat mir die Rechtfertigung von Ron Dennis gefallen: "...es ist erwiesen, dass McLaren nie das geistige Eigentum von Ferrari verwendet hat, um sich einen Vorteil zu verschaffen..." Die Übersetzung aus Ron-speak kann genau so gut heißen: Wir haben das alles versucht. Möglicherweise im Windkanal getestet. Aber es hat nichts gebracht. Das ist aber lediglich meine bescheidene Interpretation.

Unmittelbar nach dem Urteil wurde die Formel 1-Presse mit Emails bombardiert. Jeder hatte etwas zum Urteil zu sagen. Einzig Norbert Haug von Mercedes hatte den Anstand, unter seinen Kommentar auch seinen Namen zu setzen. Das McLaren-Pamphlet enthielt keinen Absender, und das hämische Kommunique von Ferrari ebenso. Ein Spiegelbild der Formel 1-Mächtigen: Aus ihren Elfenbeintürmen senden sie heckenschützenartig ihre elektronische Giftpfeile. Die Presse wird dabei willfährig zum Instrument gemacht. Aber wehe, Du brauchst mal als Journalist etwas von den Mächtigen. Eine winzige Info nur. Dann kennt dich keiner mehr. Dann bist du ihnen völlig wurscht. Irgendwie ist es fast schon tragisch, dass die ganze Affäre wegen ein paar Emails oder SMS so richtig ins Rollen gekommen ist.

Übrigens: auf einer sehr aufregenden Strecke fahren ab heute ein paar sehr aufregende Autos. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das im Moment wirklich viele interessiert.