Den Vertretern der Automobilkonzerne wurde an diesem Rennwochenende kurzfristig heiß. Bernie Ecclestone verkündete lauthals: "Die Formel 1 braucht Amerika nicht!" Der Zeitpunkt war klug gewählt. Der Vertrag mit dem Heiligen Gral des US-Motorsports läuft aus. Die Verkaufsabteilungen waren not amused angesichts des Pokerspiels. Für Mercedes sind die USA der zweitwichtigste Absatzmarkt nach Deutschland, für BMW und Ferrari sogar der wichtigste. Niki Lauda brachte es auf den Punkt: "Es wäre ein Riesenfehler von Bernie. Man muss in diesem Riesenmarkt einfach fahren. Aber nach den Fehlern der Vergangenheit kämpft die Formel 1 natürlich um ihr Überleben in den USA."

In der Tat hat die Formel 1 beim achten Antritt in Indy immer noch den Stellenwert eines Derbys in der Regionalliga. Wer zum Grand Prix kommt, der will zunächst mal den Nudeltopf sehen. Die Strecke ist der Star. Viele kommen, weil sie für das legendäre Indy 500 keine Karten bekommen konnten. Sie geraten in Aufruhr, wenn sie Honda-Boxengast Dario Franchitti erspähen. Einen Button oder gar Klien erkennen sie gar nicht. Auf dem Flug nach Indianapolis erzählte mir mein amerikanischer Sitznachbar, wie es wirklich läuft. Er hat seit Jahren ein Kombiticket für alle großen Rennen in Indy. Da ist die Formel 1 halt auch dabei. Nach dem Reifendesaster von 2005 bekam er zusätzlich Gratiskarten als Wiedergutmachung. Er hat niemanden gefunden, der kostenlos hingehen wollte.

Nichts für Amerikaner: So kommt keiner in den F1-Paddock Club., Foto: Sutton
Nichts für Amerikaner: So kommt keiner in den F1-Paddock Club., Foto: Sutton

Der peinliche 6-Auto-Auftritt vor zwei Jahren ist nur ein Faktor. Ralf Schumacher sieht ein generelles Philosophieproblem: "Die Amerikaner wollen zuerst einmal ein Ereignis und ein paar Crashes im Oval. Wir bauen die perfektesten Rennautos. Wir haben die unglaublichsten Motoren, die extrem hoch drehen. Und keiner erklärt es ihnen richtig." Mit einem langweiligen Rennen wie am Sonntag lockt man keinen Fan hinter dem Ofen hervor. Rang 1 bis 4 war vom Start bis ins Ziel vergeben. Kein einziges Überholmanöver hat auf diesen Platzierungen stattgefunden (die Boxenstopps natürlich ausgeschlossen). Bei NASCAR oder der IRL gewinnst Du auch von Platz 20 aus. Frauen fahren da auch mit. Alle paar Runden scheppert's irgendwo. Und bis zur letzten Runde weißt Du nicht, wie es ausgeht.

Und das Beste daran: Wenn Dein Chevy am Sonntag gewonnen hat, macht die Heimreise noch mehr Spaß. Wenn nicht, tauschst Du ihn halt am Montag gegen einen Ford oder Dodge ein. Amerikaner sind markenaffin. Einen McLaren oder Williams kann sich keiner kaufen. Dafür erlebte ich, wie eine Gruppe Rennfans beim Fahrerlagerausgang in Entzückung geriet: "Wow! Look at that Jägerrrrmeisterrrrrr-Porrrrrrsch!"

So verirren sich ein paar Enthusiasten ins Oval, die man bei Laune halten muss: mit Gratis-Gesichtsbemalung oder kostenlosem Cholesterin-Check. Und auf der Videowall laufen in den Pausen natürlich Rennszenen der Indy ProSeries. Eddie Cheever, selbst Indy-Legende und Ex-Formel 1-Pilot bringt das jahrzehntelange Problem der Formel 1 auf den Punkt: "Macht Euch nichts vor. Mario Andretti wurde zu dem Mario Andretti, weil er die Indy 500 gewonnen hat. Und sicher nicht, weil er 1978 Formel 1-Weltmeister wurde. Das kratzt hier wirklich niemanden."

Und die nationalen Schlagzeilen gehörten an diesem Wochenende tagelang Dale Earnhart jr., der seinen Teamwechsel für 2008 endlich bekannt gegeben hat. Selbst Jungstar Lewis Hamilton konnte noch für keine Begeisterung in den USA sorgen. Zur David Letterman-Show wurde jahrelang am Wochenbeginn ein prominenter Formel 1-Fahrer eingeladen: Schumacher, Montoya, Villeneuve usw. Heuer wurde dankend darauf verzichtet. Begründung: Dario Franchitti war eh grad in der Sendung. Und zwei Fahrer hintereinander seien zu viel.

Die US-Fans wollen Unterhaltung, Gesichtsfarbe und Action., Foto: Sutton
Die US-Fans wollen Unterhaltung, Gesichtsfarbe und Action., Foto: Sutton

Der Formel 1 fehlen die großen Namen. Bei NASCAR oder IRL hat alles jahrzehntelange Familientradition. AJ Foyt IV hält die Fahnen hoch wie Marco Andretti, Legendenfamilien-Mitglied in 3.Generation. Ein Name wie Andretti täte der Formel 1 in der Tat gut. Denn ein Scott Speed mit Wohnsitz Fuschl am See alleine reicht auch noch nicht für die große Formel 1-Euphorie. Marco Andretti, den Enkel von Mario hat Honda im Winter extra einfliegen lassen, um den Formel 1 zu testen. Ein gewisser PR-Gedanke darf unterstellt werden. Denn Christian Klien hat seinen Job noch immer. Und Großvater Mario will zwar höflich und professionell "nicht ausschließen", dass der Junge auch mal in Europa fährt. In Wahrheit wäre das aber das mediale Ende seiner Laufbahn in den USA.

All dies wird jedoch die Liebe der Amerikaner zur Formel 1 auch nicht so schnell entfachen. Niki Lauda: "Formel 1 ist in den USA immer schlecht promoted worden. Keine Konstanz. Rennen in Dallas, Watkins Glen, Phoenix, Long Beach, Detroit. Da kennt sich keiner aus." Ich glaube jedoch: Die Formel 1 hat ein generelles Problem. Und weil ihr stärkstes Trumpf-Ass, nämlich die Tradition in den USA völlig unwichtig ist, bricht das Imageproblem der Formel 1 hier jedes Jahr auf.

Ich habe Frank Williams gefragt, und er hat für die Zukunft zwei wesentliche Dinge gefordert: "Erstens muss es wieder Rennsport geben. Echte Rennen, bei denen überholt wird. Da sind die Regelmacher gefragt. Und zweitens darf das Regelbrechen nicht mehr belohnt werden." Das schamlose Biegen des Regulativs ist nämlich auch irgendwie ein Sittenbild der Formel 1. Zum Glück sind wir im 21. Jahrhundert. Denn vor einiger Zeit soll so was in Amerika noch mit Teer und Federn bestraft worden sein...