Geht man davon aus, dass Michael Schumacher ein menschliches Wesen mit einer empfindsamen Seele ist, so muss dieses Monaco-Wochenende unendlich schmerzhaft für den siebenfachen Weltmeister sein. Es sind diese vielen Stimmen, die sich da am Samstag nach dem Qualifying zu Wort gemeldet haben - ein breites Spektrum an in der Formel 1-Welt hoch geschätzten Personen, von den aktiven Piloten bis zu den ehemaligen Weltmeistern, unterstellte dem erfolgreichsten Rennfahrer aller Zeiten, dass er einen billigen, unsportlichen und Ekel erregenden Taschenspielertrick zur Anwendung brachte, dass er seinen Wagen absichtlich in der engen Rascasse-Kurve parkte, nur um seine Pole-Position behalten zu können.

Das ist das eigentliche Drama. So sieht es auch der ehemalige Formel 1-Pilot Martin Brundle - in der Sunday Times schreibt er: "Michael's Reputation stellt sich leider so dar, dass bei ihm niemand die Unschuldsvermutung zur Anwendung bringt." Tatsächlich gab es nahezu ausschließlich Stimmen, die entweder davon überzeugt waren, dass Schumacher vorsätzlich handelte oder dies zumindest nicht ausschließen wollten. Einzig Hans Joachim Stuck erklärte, er glaube nicht an Absicht, weil Schumacher solche Aktionen nicht nötig haben würde.

Schmerzhafte Weltmeister-Stimmen

Brundle schreibt in seinem Essay auch: "Die Presse schießt sich auf Michael ein - doch viel schlimmer ist, dass es auch frühere Weltmeister tun." Keke Rosberg war bekanntlich außer sich, empfahl Schumacher, umgehend aus der Formel 1 zu verschwinden. Und auch Niki Lauda, der eigentlich als ein Verehrer Schumachers gilt, kam zu dem Schluss: "So lange mir Schumacher seine Lenkbewegungen nicht erklären kann, ist es für mich Absicht." Schmerzhaft auch die zynische Bemerkung eines Jackie Stewart, Schumacher hätte doch "wenigstens seinen Frontflügel beschädigen sollen, damit es ein bisschen realistischer aussieht".

Dass auch ein Flavio Briatore davon überzeugt ist, dass Schumacher derart tief in die "Trickkiste" greift, ist zum einen nachvollziehbar, zumal er der Teamchef des härtesten Ferrari-Gegners ist - zum anderen haben Briatore und Schumacher in den Benetton-Tagen gemeinsam die ersten Titel erobert - Zyniker könnten nun sagen: Briatore muss es ja wissen, schließlich entstand damals der Begriff "Schummel-Schumi".

Wurzeln des Übels

Die Aktionen gegen Mika Häkkinen in der Formel 3, gegen Damon Hill in Adelaide 1994 und gegen Jacques Villeneuve 1997 in Jerez - damit habe Schumacher den Grundstein für die gestern zahlreich zum Ausdruck gebrachten Zweifel an seiner Reputation gelegt, davon ist nicht nur Martin Brundle überzeugt. Brundle schreibt auch, dass Schumacher "Konkurrenten bei schlechten Starts gegen die Wand drängen" würde und fügt hinzu: "Diese Liste wird immer länger und länger."

Das Problematische an dieser Causa ist das große Misstrauen, welches hinter all den gestern getätigten Aussagen steckt. Für den Autor dieser Zeilen beispielsweise ist es im Grunde unvorstellbar, dass ein derart erfolgreicher und talentierter Mann auch nur eine Sekunde daran denken könnte, zu solch billigen - und mitunter gefährlichen - Methoden zu greifen. Weil es ja auch von einer gewissen Dummheit zeugen würde, eine solche Aktion wirklich absichtlich durchzuziehen - eben weil dies doch offensichtlich wäre und man umgehend entlarvt werden würde. Bleibt noch die Möglichkeit, dass es sich um eine Aktion im Affekt, im Zustand einer gewissen verkrampften Verbissenheit, handelt. Dann jedoch wäre auch eine gewisse Gefahr zu orten, eine Verantwortungslosigkeit gegenüber den anderen Piloten.

Problematisches Urteil

Problematisch ist auch das Urteil der Stewards, welches Schumacher klipp und klar Absicht attestiert. Es ist einerseits zu hinterfragen, ob ein ungewöhnlich starkes Betätigen der Bremsen oder die Lenkbewegungen alleine dafür ausreichen, eine derart schwerwiegende Unterstellung unsportlichen Verhaltens offiziell zu attestieren. Andererseits wäre es, wenn die Stewards wirklich davon überzeugt sind, dass Schumacher zu solchen Mitteln greift, ein zu mildes Urteil. Weil die Tatsache, dass jemand in einem derart gefährlichen Sport so weit zu gehen bereit ist eigentlich ein großes Sicherheitsrisiko darstellt. So gesehen hätte man Schumacher die Lizenz entziehen müssen, so wie man es bei Yuji Ide getan hat. Allerdings ist auch die Vorstellung, dass künftig FIA-Stewards darüber entscheiden, was sich jemand gedacht hat, Angst erregend.

Was immer man von dem Urteil der Stewards halten möge, es wurde nun einmal ausgesprochen. Summiert man dieses Urteil mit dem großen Misstrauen im Fahrerlager, erhält man eine tragische, zweifelhafte Figur. Der erfolgreichste Pilot aller Zeiten verfügt über die Reputation eines schäbigen Handtaschenräubers. "Ich hoffe, dass das Monaco-Qualifying den Maestro nicht noch mehr befleckt hat", schließt Martin Brundle seinen Essay. Nach dem gestrigen Samstag stellt sich die traurige Frage, ob dies überhaupt noch möglich ist. Und das ist unglaublich schade.