Die Enttäuschung war Nick Heidfeld ins Gesicht geschrieben. Der Mönchengladbacher hatte gerade seinen Heim-GP auf dem Nürburgring auf dem 10. Platz beendet und schien völlig ratlos. Wieso kam er mit seinem F1.06-05 nicht zurecht? Eine letzte Idee wollte er bis zum nächsten Rennen in Barcelona noch ausprobieren. Was diese Änderung war, wollte er aber zunächst nicht verraten. "Wir haben etwas verändert, aber ich möchte nicht näher darauf eingehen", sagte er immer und immer wieder.

Nur eine Woche nach dem Frust vom Nürburgring, blickte er wieder sichtlich glücklich aus seinem weiß-blauen Rennanzug. Nach Platz 8 und einem WM-Punkt war er auch bereit zu sagen, was er bislang nicht preisgeben wollte: "Nach dem Nürburgring habe ich das Chassis getauscht. Ich fahre jetzt das Chassis, das Robert Kubica dort fuhr." Kleine Dinge wie ein Chassistausch können also tatsächlich eine scheinbar große Wirkung haben.

Zumindest sagen dies die Rennfahrer. "Theoretisch sind die Autos alle drei gleich und das Team glaubt, dass es keinen Unterschied gibt", bilanzierte Nick. "Aber ich denke doch, dass man als Fahrer kleinste Unterschiede spüren kann. Jedenfalls liegt mir der BMW Sauber F1.06-02 anscheinend besser."

Mit dem T-Car von Imola und vom Nürburgring erhielt Nick bereits sein drittes Chassis in dieser Saison. "Nick hat in Imola ein neues Chassis bekommen", zählte Motorsportdirektor Mario Theissen mit. "Da er dort und am Nürburgring nicht die gewohnte Leistung gebracht hat, bat er darum, für hier wieder auf ein anderes Chassis zu wechseln."

Unterschiede gebe es zwischen diesen Chassis aber keine. "Wenn man nur die Schilder mit den Chassisnummern austauschen würde, hätte das sicher schon denselben Effekt", glaubt Technikdirektor Willy Rampf an eine mentale Komponente. "Denn die Chassis werden ja alle genau vermessen. Sie unterscheiden sich nicht."

Nick hat den Chassis-Wurm nicht gefunden., Foto: Sutton
Nick hat den Chassis-Wurm nicht gefunden., Foto: Sutton

Mario Theissen gesteht jedoch ein, dass hin und wieder schon kleinere Reparaturen notwendig werden. "Jedes Chassis geht turnusgemäß zur Überarbeitung. Da ist mal ein Gewinde ausgeschlagen oder eine Ecke angehauen. Das wird dann repariert, und das Chassis geht wieder in den normalen Kreislauf zurück."

Spielt die Psychologie also eine wichtigere Rolle als die realen Unterschiede zwischen den Autos? "Nick hat genau das Richtige gemacht und das Chassis gewechselt", ist sich Ex-GP-Pilot Christian Danner sicher. "Ein Rennfahrer darf sich nie auf die Daten verlassen - er muss sich auf sein Gefühl verlassen. Sein Gefühl macht ihn schnell oder langsam. Die Daten taugen nur dazu, um hinterher herauszufinden wie etwas war."

MF1 Racing Testpilot Markus Winkelhock sieht dies ähnlich. "Es ist auch ein bisschen eine Kopfsache", sagte er motorsport-magazin.com. "Einige Fahrer haben einfach etwas mehr Selbstvertrauen, wenn sie ein anderes Chassis bekommen. Ich hatte einmal einen Totalschaden und habe dann ein neues Chassis bekommen, das eigentlich komplett baugleich war - aber es hat sich anders angefühlt und war unterschiedlich zu fahren."

Dies war aber kein Einzelfall. "Auch wenn ich mit meinem Teamkollegen das Auto getauscht habe, hat sich das Auto schon einmal anders angefühlt, obwohl es das gleiche Setup war", berichtete Markus weiter. "Auf der Stoppuhr gab es aber meistens keine Unterschiede: Die Autos haben sich unterschiedlich angefühlt, waren aber immer gleichschnell."

Ex-Jordan-Pilot Timo Glock glaubt hingegen daran, dass es kleine Unterschiede zwischen verschiedenen Chassis der gleichen Baureihe geben kann. "Jedes Chassis ist zwar an sich gleich, aber es gibt trotzdem immer winzige Unterschiede", verriet er uns. "Am besten ist es, wenn man sich als Fahrer reinsetzt und sagen kann: Hier fühle ich mich wohl. Der erste Eindruck muss passen."

Allerdings kann Timo auch die Einwände der Techniker verstehen. "Natürlich sagen die Techniker, dass alle Chassis gleich wären. Aber ich sage auch, dass ich jede Runde gleich fahre und es gibt trotzdem kleine Schwankungen - auch wenn am Ende die Daten etwas anderes sagen; kleine Unterschiede gibt es immer."

Nick ist mit dem neuen Chassis wieder glücklich., Foto: Sutton
Nick ist mit dem neuen Chassis wieder glücklich., Foto: Sutton

"Manchmal kann man es einfach nicht überprüfen, alle sagen es passt, aber irgendwo steckt doch der Wurm drin", schließt sich Sven Heidfeld der Meinung seiner Kollegen an. "Auch wenn die Daten sagen, dass alles richtig ist, kann das Auto auf der Strecke langsamer sein und ein anderes Fahrgefühl vermitteln."

Porsche Carrera Cup Champion Christian Menzel bekam dies zuletzt am eigenen Chassis zu spüren. "Mit meinem jetzigen Auto habe ich ein Grip-Problem", berichtete er in seiner motorsport-magazin.com-Kolumne. "Egal was wir einstellen oder verstellen - das Auto ist zu nervös und speziell über die Distanz nicht konstant."

In den Datenaufzeichnungen konnte Christian genau erkennen, dass sein Teamkollege Richard Lietz viel höhere Kurvengeschwindigkeiten gehen kann. "Seinen Kurven-Speed kann ich mit meinem Auto teilweise überhaupt nicht mitgehen. Mit seinem Auto gelingt es mir!"

Manche Boliden scheinen einfach wie verhext zu sein. So zum Beispiel des Chassis 04 des Benetton Ford B194. "Es liegt an diesem Chassis - 04 ist besessen! Es ist verflucht niemals auch nur einen einzigen WM-Punkt zu holen!", erinnert sich Ex-Benetton-Mechaniker Steve Matchett in seinem Buch 'Life in the fast lane' an das "verfluchte" 04er Chassis.

Die Pechsträhne des B194-04 war aber auch atemberaubend: Startunfall mit einem Lotus in Imola, Motorschaden in Spanien, Handling-Probleme in Kanada, Abflug in Frankreich, Leck in der Wasserpumpe in Silverstone und der berüchtigte Feuerunfall von Jos Verstappen in Hockenheim. Überall kam Chassis 04 zum Einsatz. Am Ende konnte der Fluch aber gebrochen werden: 04 holte gleich zweimal WM-Punkte.

Eine ähnliche Geschichte weiß Ex-F1-Pilot Alex Zanardi aus seiner C.A.R.T.-Zeit zu erzählen. Dort ist es üblich jedes Chassis zu benennen. "Das erste Chassis 1996 hieß Betsy", schreibt Zanardi in seiner Autobiographie 'My sweetest vicotry'. "Das zweite hieß Old Midnight, weil es bei jedem Renneinsatz die Mechaniker mit Problemen bis nach Mitternacht an der Arbeit hielt."

Im letzten Saisonrennen in Laguna Seca durchbrachen Zanardi und Old Midnight den Fluch: In der letzten Rennrunde überholte der spätere zweifache C.A.R.T.-Meister den in Führung liegenden Bryan Herta in der s-förmigen Corkscrew-Kurve. Dieses legendäre Manöver sollte unter dem Beinamen 'The Pass' in die Motorsportgeschichte eingehen. Vielleicht bekommen ja auch Nick Heidfeld und der F1.06-05 noch einmal die Chance auf ein Happy End à la Hollywood...