Toyota und Williams überredeten Michelin Anfang des neuen Jahrtausends dazu in die Formel 1 zurückzukehren. Nachdem man bereits zwischen 1977 und 1984 Reifen für die Königsklasse hergestellt hatte, kehrten die Franzosen im Jahr 2001 in die F1-Welt zurück.

Nach einigen Eingewöhnungsjahren und einer schier erdrückenden roten Dominanz, schafften sie es in der Saison 2005 die besten Reifen zu backen, beide WM-Titel abzuräumen und insgesamt 18 von 19 Rennen zu gewinnen. Leider sorgte ausgerechnet jener eine nicht gewonnene Grand Prix für den größten Eklat der jüngeren F1-Geschichte.

Die Philosophie des Bibendum

Das schwarze Gold kommt nicht mehr aus Clermont-Ferrand., Foto: Sutton
Das schwarze Gold kommt nicht mehr aus Clermont-Ferrand., Foto: Sutton

Seit 117 Jahren betreibt Michelin Motorsport. Darauf ist Firmenchef Edouard Michelin stolz. Aus diesem Grund werden die Franzosen auch in Zukunft weiter im Motorsport aktiv sein. Nur eben in der selbst ernannten Königsklasse des Motorsports bestreiten die Michelin-Männchen 2006 ihre Abschiedssaison.

Dabei haben sie ihr Selbstverständnis von Motorsport und ihre Rennphilosophie nie verheimlicht: "Ich weiß nur, dass ein Einheitsreifen nicht mit der Vorstellung der Michelin-Direktoren übereinstimmt", deutete Motorsportdirektor Pierre Dupasquier bereits zur Jahresmitte 2005 einen möglichen Rückzug aus der Königsklasse an. "So lange man keinen Holzreifen entwickelt, was unserer Vorstellung eines Reifens grundsätzlich widerspricht, entspricht es dem Geist des Motorsports mindestens zwei Reifenhersteller oder sogar mehr zu besitzen."

"Wenn ein Einheitsreifen vorgeschrieben wird, würde Michelin einen Rückzug aus der F1 ernsthaft überdenken", betonte Konzernchef Edouard Michelin mehrmals die Grundfesten der Michelin-Sportpolitik: Und diese basieren auf dem Wettbewerb.

Die Drohung: Rückzug auf Raten

Au revoir Bibendum!, Foto: Sutton
Au revoir Bibendum!, Foto: Sutton

Da die Pläne der FIA einen Einheitsreifen einzuführen alles andere als geheim waren, bekam Michelin in diesem Jahr ausreichend Gelegenheiten eine klare Stellung für den Fall der Fälle zu beziehen: "Wir könnten uns 2008 zurückziehen", sagte Edouard Michelin. "Wie es mit 2007 aussieht? Wir werden uns sehr genau damit befassen und die Situation mit unseren Partnern besprechen."

Wenig später wurde Michelin sogar noch deutlicher: "Sollte die FIA ihre Politik in den nächsten Wochen nicht ändern und der Einheitsreifen vom FIA World Council bestätigt werden, müssen wir unser F1-Engagement ab 2008 in Frage stellen", wiederholte der Reifenhersteller die Drohung eines F1-Rückzuges. Dies würde dann "die Konsequenzen der FIA-Poitik widerspiegeln."

Die Vorgeschichte: Tyregate

Der erste Feindkontakt zwischen den beiden Parteien Michelin und FIA fand im Jahre 2003 statt. Damals kochten nach dem Ungarn GP nicht nur bei der überrundeten Scuderia Ferrari die Emotionen über.

Die Laufflächen der Michelin-Pneus sollen beim Hitzerennen von Ungarn angeblich nicht regelkonform gewesen sein, was in aller F1-Welt zum Wälzen von Regeltexten und Nachmessen von Reifenlaufflächen führte.

Obwohl den Franzosen niemals nachgewiesen werden konnte, dass sie illegale Reifen verwendet haben, mussten sie den folgenden Monza-Test damit verbringen neue Pneus zu testen und kamen danach acht Rennen lang zu keinem Erfolg mehr.

Entwickelt im Wettbewerb: Michelin hält Wort., Foto: Sutton
Entwickelt im Wettbewerb: Michelin hält Wort., Foto: Sutton

Auch heute beteuert Pierre Dupasquier rückblickend noch immer, dass man an den Reifen zwischen Ungarn und Monza nichts verändert habe und die FIA die Pneus immer noch nicht anders messen würde. Das erste Blut war geflossen...

Der Auslöser: Indygate

Bis zum Großen Preis der USA in Indianapolis lief für Michelin alles genau nach Plan: Bei allen Rennen stand mindestens auf dem obersten Podestplatz ein Fahrer mit Pneus aus Clermont-Ferrand. Das sollte sich im amerikanischen Motorsportmekka schlagartig ändern.

"Das Problem war, dass wir die extremen Kräfte denen die Reifen 2005 in Turn 13 ausgesetzt werden unterschätzt haben", fasste Pierre Dupasquier das Schlamassel rückblickend zusammen. "Wir bedauern, dass die Zuschauer kein spannendes Rennen zu sehen bekamen. Aber in Übereinstimmung mit unseren Prinzipien haben wir die Sicherheit nicht über die Performance gestellt."

Das bedeutete: Die Michelin-Teams fuhren nach endlos langen, zähen Verhandlungen nach der Einführungsrunde in die Boxengasse und ein Millionenpublikum vor den Fernsehern bekam eine Startaufstellung mit nur sechs Bridgestone-Autos zu geboten.

Diese Reifen versagten in Turn 13., Foto: Sutton
Diese Reifen versagten in Turn 13., Foto: Sutton

Während die F1-Welt in Scham versank und die amerikanischen Fans mit Dosen warfen, machte FIA-Präsident Max Mosley die Franzosen zum Sündenbock. Da die FIA Michelin mangels eines Vertrages nicht belangen konnte, zitierte man die sieben Michelin-Rennställe vor den FIA World Motor Sport Council, wo die Teams in zwei von fünf Anklagepunkten für schuldig befunden wurden. Das Strafmaß sollte aber erst Wochen danach verkündet werden.

Nachdem Michelin 20.000 Freikarten für den US-GP 2006 versprochen und die Entschädigung aller Besucher des 2005er 'Rennens' übernommen hatte, wurden die Teams jedoch vier Wochen nach der Verurteilung freigesprochen. Ein dunkles Kapitel der F1-Geschichte bekam damit ein chaotisches und unnötig aufgeblähtes Ende.

Die Zuspitzung: Yokohama statt Pearl Harbour

Der Streit zwischen der FIA und Michelin war damit aber noch lange nicht beendet. Im Gegenteil: Er eskalierte sogar, nachdem die FIA Yokohama zum Reifenlieferanten der Tourenwagenweltmeisterschaft WTCC ernannte.

"Der WTCC-Vertrag für 2006 wurde an Yokohama vergeben und das ist und bleibt für uns ein Rätsel", erklärte ein verbitterter Edouard Michelin. "Es wurde einige Tage nach Indianapolis gemacht. Aus technischen Gründen? Aus finanziellen Gründen? Wir würden gerne wissen wie diese Ausschreibung ablief. Welche Auswahlkriterien angewendet wurden. Ob die FIA dies aber aufdecken wird? Für uns wird das entscheidend sein."

Vielleicht kehren sie irgendwann zurück., Foto: Sutton
Vielleicht kehren sie irgendwann zurück., Foto: Sutton

Die FIA antwortete mit einem kurzen, aber aggressiven Presseschreiben, in welchem man die Sichtweise von Edouard Michelin als "fehlgeleitet" bezeichnete und dementierte, dass "der Fehler von Michelin unbrauchbare Reifen nach Indianapolis mitzubringen" etwas mit den Entscheidungen der FIA zu tun gehabt hätte.

"Mr. Michelin sollte versuchen zu verstehen, dass keine Sporthoheit, kein Teilnehmer und kein zahlender Zuschauer mit einem Zulieferer zufrieden sein könne, der mit dem falschen Equipment anreise und damit ein wichtiges WM-Event zerstöre", hieß es.

"Im Hinblick auf einen Einheitsreifenhersteller sollte Mr. Michelin erkennen, dass dieser Vorschlag nicht von der FIA, sondern von den teilnehmenden Teams gekommen ist. Dazu zählten auch alle Michelin-Rennställe. Es gibt starke Argumente für einen Einheitsreifen in der F1. Wenn Mr. Michelin diese einfachen Tatsachen nicht kennt, dann zeigt er damit nur sein beinahe schon komisches Nichtwissen über die moderne F1."

Die Verwirrung: Comeback der Reifenwechsel

Als ob dieser Tobak nicht schon stark genug gewesen wäre, zeigte sich Michelin nach der Rückkehr von Reifenwechseln in der Saison 2006 geradezu perplex. Das entspricht laut Michelin "nicht dem Geiste der Kostenreduktion, welche der FIA-Präsident als Ziel definiert hat".

Nach Indy galt es das Image zu polieren., Foto: Sutton
Nach Indy galt es das Image zu polieren., Foto: Sutton

Für Michelin bedeutet die Wiedereinführung der Reifenwechsel eine sofortige Kostenerhöhung "um rund 15 Prozent". Die für 2005 entwickelten Reifen könnten "nicht an das Reglement für 2006 angepasst werden". "Die Entscheidung offenbart einen Mangel an technischem Verständnis für unser Produkt und dafür, was ein Reifen eigentlich ist."

Michelin konnte daher "nur den Sinn hinter dieser Entscheidung hinterfragen". Diese würde "all unsere durch unsere Entwicklungsarbeit im Jahr 2005 erarbeiteten Vorteile zunichte machen, die es unseren Partnern ermöglicht haben, 18 Rennen zu gewinnen". Aus diesem Grund hinterfragte Michelin "die versteckten Absichten, die hinter dem Reglement für 2006" liegen. "Einmal mehr wird hier das Problem der Formel 1 illustriert - dass nämlich zusammenhangslose Entscheidungen getroffen werden und ein Mangel an Transparenz herrscht."

Der Ausstieg

Zusammengefasst brachte das Jahr 2005 den Franzosen also einen riesigen Imageverlust, 'Reparationskosten' in Millionenhöhe, einen Schuldspruch durch die FIA, den verlorenen WTCC-Deal, die von ihnen strikt abgelehnte Einführung von Einheitsreifen ab 2008 sowie ein Comeback der von ihnen abgelehnten Reifenwechsel, welches zugleich den erarbeiteten Vorsprung dieses Jahres negiert und ihnen weitere Kosten aufbrummt.

Ende 2006 ist Schluss., Foto: Sutton
Ende 2006 ist Schluss., Foto: Sutton

Angesichts dieses Verlaufs im FIA-Michelin-Streit ist der am Mittwoch verkündete F1-Ausstieg alles andere als eine Überraschung. "Diese Entscheidung ist das Ergebnis tiefgreifender Differenzen zwischen der auf Wettbewerb ausgerichteten Sportphilosophie von Michelin und dem Weg, wie die Formel 1 von der Sporthoheit reguliert wird", bestätigte Edouard Michelin diese Sichtweise. "Ein klares und transparentes Umfeld, das ein langfristiges Engagement rechtfertigen würde, ist nicht länger gegeben."

Die Trauer beim Weltverband hielt sich demzufolge in Grenzen: "Die FIA hat die Ankündigung von Michelin sich Ende 2006 aus der Formel 1 zurückzuziehen zur Kenntnis genommen", hieß es in einem unscheinbaren Press Release.

Nicht ganz so nüchtern setzte die FIA ihren Text fort: "Ein Einheitsreifenhersteller wird die F1 zweifelsohne fairer, sicherer und billiger machen", endet das FIA-Statement, "aber allen voran wird er eine Wiederholung des Problems beim US Grand Prix 2005 verhindern."

Damit setzt der Weltverband am Ende seines Presseschreibens noch einmal einen weiteren Stich in das wunde Michelin-Herz der Indygate-Affäre. Zugleich macht man damit klar, dass Michelin auch weiterhin als alleiniger Sündenbock angesehen wird und erweckt erneut den Eindruck, dass Michelin in der F1 unerwünscht ist.

Die Franzosen können es ihrerseits kaum erwarten den Weltverband damit auf die Nase fallen zu sehen. Dies jedenfalls legt der Michelin-Pressetext nahe: "Der Rückzug von Michelin nach Ende der Saison 2006 macht den Weg für die Einführung eines Reifenmonopols in der Formel 1 frei", schrieben die Franzosen. "Damit kann ab 2007 der Beweis geführt werden, ob sich die von der Sporthoheit FIA aufgeführten Vorteile eines Einheitsreifen-Reglements einstellen und ob die ebenbürtige Behandlung aller Teams tatsächlich gewährleistet werden kann." Pierre Dupasquier hegt daran schon lange erhebliche Zweifel.

Dennoch ist in der Formel 1 nichts unmöglich, weshalb sich auch das Bibendum ein kleines Hintertürchen für die Zukunft offen lässt: "Sollte sich die Art und Weise, wie die Formel 1 geleitet wird, signifikant ändern, wird Michelin nicht zögern, den Grand Prix-Teams erneut eine Partnerschaft anzubieten." Darauf müssen die Teams aber wohl eine ganze Weile warten...