"Die F1-Saison 2005 ist großartig!", jubilierte Flavio Briatore in Kanada. "Die F1 ist tot", kondolierten die Medien eine Woche später nach dem Debakel von Indianapolis. Wir sagen Ihnen, was uns die längste Formel 1-Saison aller Zeiten tatsächlich gelehrt hat.

Die Lehre des 1. WM-Laufs

Die Lehre von den Bullen: Was braucht es um einen dahinsiechenden F1-Rennstall mit neuem Leben zu erfüllen? Den Rückzug des federführenden Automobilherstellers? Wochenlange Ungewissheit? Ein schwächelndes Vorjahresmodell? Den Austausch der Führungsspitze? Einen bei seinem letzten Team in Ungnade gefallenen, strauchelnden Altstar? Eine durchwachsene Vorbereitung? Den Wechsel von einer grünen Raubkatze zu einem roten Bullen als Wappentier?

Normalweise sind all diese Dinge keine guten Voraussetzungen, um beim Saisonstart mit zwei Punkteplatzierungen und Platz vier zu glänzen. Für die dunkelblaue Dosentruppe von Red Bull wurde dieses (Marketing-)Märchen dennoch wahr. Das Getränk scheint also tatsächlich Flügel zu verleihen.

Die Lehre des 2. WM-Laufs

Die Lehre vom Sportgeist: Nebelschwaden standen über dem Sepang International Circuit. Allerdings nicht wegen dutzender Motorschäden an den Zwei-Wochenend-Motoren, sondern wegen der schwelenden Waldbrände ringsherum. Dennoch verrauchten schon zu Rennbeginn zwei Motoren. Eigentlich keine Überraschung, wenn man die erhöhten Anforderungen an die Triebwerke bedenkt.

Doch die besagten Aggregate waren an jenem Rennwochenende neu eingebaut worden, da British American Racing durch seinen 'taktischen Doppelausfall' in Melbourne ein danach behelfsmäßig geschlossene Regelschlupfloch ausgenutzt hatte. Diesmal bestand jedoch keine Gefahr eines taktischen Hintergedankens. Man könnte aber fast meinen, dass es in der Formel 1 doch noch eine Gerechtigkeit gibt: Wer beim vorangegangenen Rennen freiwillig ausfiel, fiel diesmal richtig aus. In Anlehnung an ein Filmzitat könnte man sagen: Der Sportsgeist findet immer einen Weg...

Die Lehre des 3. WM-Laufs

Die Lehre vom Blah: Manchmal darf man seinen Augen nicht trauen. Beispielsweise wenn man am 1. April ein Renault-Press Release in Händen hält und einem die Franzosen einen "Becherhalter" als Innovation verkaufen möchten. Noch ungläubiger starrten wir in Bahrain auf ein McLaren Mercedes Press Release.

Aber nicht weil die beiden Piloten erstmals in dieser Saison ihren Ansprüchen etwas näher rückten und die Ränge drei und fünf belegten, sondern weil unter den obligatorischen Stimmen zum Rennen folgende höchst interessante, informative und doch zugleich verwirrende Passage zu finden war:

"Blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, blah, etc..."

Was wollten uns die Silbernen damit sagen? Dass Mercedes-Sportchef Norbert Haug, dessen Aussage darüber zu finden war, noch sehr viel mehr zu sagen hatte? Oder vielleicht doch, dass es eigentlich vollkommen egal ist, was in einem solchen Presseschreiben wirklich drin steht? Das übliche "Die Pace ist da, aber wir müssen sie noch umsetzen" ersparten sich die Mannen von Ron Dennis jedenfalls. Vielleicht war ja auch das der Grund für die leichte Verwirrung in der Presseabteilung. Oder war dies gar der erste Schritt hin zur von Ron Dennis angekündigten "Geimwaffe Humor"?

Die Lehre des 4. WM-Laufs

Die Lehre von der Prozession: An Tagen an denen stundenlange Übertragungen aus dem Vatikan und Sondersendungen über den Papst zum Alltag gehörten, hätte es nicht überrascht, wenn selbst die übliche Imola-Prozession Unmengen an Zuschauern gefunden hätte. Doch es kam noch viel besser: Die erwartete Prozession ohne viele Überholmanöver - schließlich gab es gerade einmal vier bis fünf - traf ein. Aber auch Prozessionen können zum packenden Thriller werden, wenn Michael Schumacher Jagd auf Jenson Button und Fernando Alonso macht!

Die Lehre des 5. WM-Laufs

Die Leere im Tank: Viel wurde in den Tagen rund um den Spanien GP über die Tankaffäre und den gewichtigen Unterschied zwischen richtigem und nicht ganz vollständigem Abtanken geschrieben. Rückblickend wollen wir uns also auf die Kernaussage von Geoff Willis über den gefüllten Kollektor konzentrieren: "Ohne funktioniert das Auto nicht und wäre es noch nicht einmal um den Kurs gekommen." Manch einer mag sich dabei zurecht fragen: Welches Auto funktioniert eigentlich ohne Sprit?

Die Lehre des 6. WM-Laufs

Die Lehre von der Miete: In Monaco gibt es zwei große Weisheiten. Die erste lautet: "Die Pole Position ist die halbe Miete für das Rennen." Die zweite Weisheit lautet: "Der Start ist die halbe Miete für das Rennen." Und da Kimi Räikkönen und McLaren Mercedes immer schön ihre Miete bezahlen zu scheinen, erwiesen sich diese beiden Weisheiten als unumstößliche Voraussetzung für Kimis niemals gefährdeten und absolut überlegenen zweiten Saisonsieg.

Die Lehre des 7. WM-Laufs

Die Lehre vom Poller: Er ist rot, besteht aus Plastik und kommt in seiner leicht abgerundeten Form vorzugsweise in Schikanen vor. Der Poller. Manchmal auch Pylon genannt. Im Gegensatz zu den sehr agilen Wald- und Wiesenbewohnern, die dem Nürburgring im Laufe des Wochenendes hoppelnder Weise einen Besuch abstatteten, versucht der gemeine Poller besonders standfest zu sein.

Allerdings gelingt ihm dies aufgrund der schieren Überlegenheit seiner natürlichen Feinde, der Rennautos und deren Gummireifen, noch nicht einmal ansatzweise. Dennoch ist das Überleben der Spezies aufgrund der reichhaltigen Vorkommen in den Lagern der Nürburgring GmbH alles andere als gefährdet.

Die Lehre des 8. WM-Laufs

Die Lehre vom Ventilator: Seit Red Bull ein Lichtschwert anstelle des normalen Lollipops einsetzte, rücken die bislang eher ein Schattendasein fristenden Gerätschaften in den Mittelpunkt der Marketingstrategen. So bekommen die Sauber-Piloten eine Certina-Uhr vor die Nase gehalten und dürfen die Ferrari-Stars sich in einer Art Rückspiegel begutachten. Im Freien Training hätten die Ferrari-Mechaniker den verspiegelten Lollipop am besten auch noch einmal vor die Airbox halten müssen. In dieser hing noch ein roter Ventilator als Rubens Barrichello sich auf die Strecke begab...

Die Lehre des 9. WM-Laufs

Die Lehre vom Spiegel: Dabei hatte alles so gut begonnen. Gleich zu Beginn des Rennwochenendes entdeckten unsere Fernsehkollegen von n-tv hektische Arbeit in der Ferrari-Box: An Michael Schumachers Spiegel wurde noch geschraubt. "Es scheint Probleme zu geben", hieß es. Die Angst der Ferrari-Techniker bei einem Spiegelwechsel zehn Plätze zurückversetzt zu werden, hielt sich allerdings aus verständlichen Gründen arg in Grenzen...

Die Lehre des 10. WM-Laufs

Die Lehre vom Niemandsland: Am Montag vor dem Rennwochenende wurde Red Bull Racing seinem Ruf als Fun-Team mit einer etwas anders gearteten GP-Vorschau gerecht, in welcher man den ungeliebten Frankreich GP als langweilig und uninteressant darstellte. Dabei wurden die "pittoresken" Hotels als "mit maroden Wasserleitungen und gefährlichen elektrischen Leitungen" verseucht dargestellt. Wie wahr diese Aussagen der roten Bullen sind, zeigte sich am Freitag, als das Jordan Team wegen der Entdeckung gefährlicher Bakterien sein Hotel wechseln musste...

Die Lehre des 11. WM-Laufs

Die Lehre vom Präsidentenamt: Max Mosley. Dieser Name elektrisiert momentan die Formel 1 Welt. Max gegen die Teams. Max gegen die Hersteller. Max gegen die Regeln. Max gegen die GPWC. Max gegen die Fahrer. Max gegen Michelin. Max gegen die GPDA. Max gegen Paul Stoddart. Max gegen Bernie. Man könnte fast überspitzt formuliert fragen: Gibt es derzeit überhaupt irgendjemanden, mit dem der FIA-Präsident nicht im Clinch liegt?

Für David Richards ist das Amt des FIA-Präsidenten deshalb "der am wenigsten zu anstrebenden Jobs im Motorsport. Ich kann mir niemanden vorstellen, der das machen möchte." Braucht er auch nicht, weil Max trotz aller Kritik unbedingt weiter im Amt bleiben möchte. Paul Stoddart dreht die Angelegenheit hingegen um: "Es spielt keine Rolle wer ihn ersetzen wird. Er ist momentan so schlecht, dass es jeder machen könnte."

Die Lehre des 12. WM-Laufs

Die Lehre von der Kunst: Jill Bradley ist Künstlerin und portraitierte für einen guten Zweck Formel 1 Fahrer und Verantwortliche. Vor zwei Wochen in Silverstone musste Jill aber auch den schottischen F1-Journalisten Bob McKenzie mit einem McLaren-Bodypainting versehen, bevor dieser sich für seine Wetteinlösung beinahe nackt auf eine Runde in Silverstone machte. Unser Fotograf Mark Sutton, der in Jills "The New Masters of F1" Projekt involviert ist, kommentierte dies nur mit: "Die arme Frau..."

Nur unwesentlich besser dürfte sie sich gefühlt haben, als sie sah wie Michael Schumacher am Donnerstag im Rahmen einer Sponsorenveranstaltung seine künstlerischen Fähigkeiten zur Entfaltung brachte und abschließend zur Verschönerung des 'Weltmeisterwerks' mit einem Quad über die zuvor willkürlich aufgebrachten Farbkleckse fuhr. Was lernen wir daraus? Der Champion ist mit dem Lenkrad in der Hand begabter als mit dem Pinsel in der Hand...

Die Lehre des 13. WM-Laufs

Die Lehre von der Zuverlässigkeit: 19 Rennen fordern dem Formel 1-Tross in diesem Jahr alles ab. Aber nicht nur auf der Strecke lässt die Standfestigkeit manchmal zu wünschen übrig, wovon die McLaren Mercedes Piloten in diesem Jahr ein Liedchen singen können. Auch rund um den F1-Zirkus wird hart am Materiallimit gearbeitet. So versagten in unserer Redaktion allein am Ungarn-Rennsonntag eine Maus und eine Tastatur ihren Dienst. Gerüchte wonach diese eine silberne Lackierung getragen haben, weisen wir jedoch weit von uns. Glücklicherweise ist bei uns der Einsatz von Ersatzgeräten ohne Strafversetzung erlaubt...

Die Lehre des 14. WM-Laufs

Die Lehre von baren Begebenheiten: Zeigten sich unsere britischen Kollegen der schreibenden Zunft schon in der Vergangenheit mit diversen Gate-Affären von Tyregate über Buttongate bis hin zu Indygate 'höchstkreativ', wurden angesichts des Wechsels von Rubens Barrichello zu B·A·R Honda wieder die guten alten Klassiker aus der Versenkung geholt: BARichello war da in den Schlagzeilen zu lesen. Uns graut es deshalb schon jetzt vor einem möglichen ersten GP-Erfolg der Weißen beim nächstjährigen Spanien GP. Dann würden die Schlagzeilen wohl so durch den Blätterwald rascheln: WunderBARer BARichello siegt in BARcelona!

Die Lehre des 15. WM-Laufs

Die Lehre von den Naturforschern: Trotz des Rundengeizes boten die Freien Trainings in Monza eine sportliche Höchstleistung: Knapp 20 Minuten vor dem Ende der ersten Trainingsstunde kam es am Freitag zu einem spektakulären Zwischenfall. Ein Eichhörnchen stürmte auf die Strecke, sprang aus dem Stand auf die Leitplanke, überflog förmlich die Distanz bis zum Fangzaun dahinter und verschwand dann im Dickicht des königlichen Parks von Monza. Gefahr überfahren zu werden lief das possierliche Tierchen nicht: Es war ja niemand auf der Strecke...

Die Lehre des 16. WM-Laufs

Die Lehre vom Humor: Seit Red Bull in der Königsklasse mitmischt, ist die Formel 1 nicht mehr nur der klinisch reine und vollkommen langweilige PR-Paddock. Auch Renault lässt hin und wieder etwas Humor in seinen Pressemitteilungen aufblitzen. Beispielsweise am verregneten Freitag, als man in seinem Presseschreiben 10 Dinge angab, die man macht, wenn es in Spa regnet.

Die Wichtigsten waren: Regenjacken suchen, Regenschirme zählen, über das Wetter diskutieren und daran denken, was man jetzt sonst noch so alles machen könnte. "Ich wäre wahrscheinlich daheim auf dem Sofa, würde mich entspannen und mit den Kids spielen", schwelgte Giancarlo Fisichella in interessanten Zeiten. Fernando Alonso hätte hingegen lieber mit seinen Freunden Sport getrieben: "Wahrscheinlich Tennis oder Fußball - allerdings in einer Halle!"

Die Lehre des 17. WM-Laufs

Die Lehre von den Fortsetzungen: Alles hat ein Ende; auch die erfolgreiche Hollywood-Serie Buttongate. Nach dem selbst vom CRB gewürdigten, riesigen Boxoffice-Erfolg von "Buttongate - Der Wechsel stirbt nie" im Jahre 2004, folgte in diesem Jahr das unvermeidliche Sequel "Buttongate II - Man wechselt nur zweimal".

Der Dauerbrenner dieses Jahres soll aber laut dem Hauptdarsteller Jenson Button und dessen Management keinen dritten Teil erhalten. Aber das sagen die Stars ja immer. Deshalb schließt der völlig unbeteiligte Juan Pablo Montoya eine neuerliche Fortsetzung nicht aus: "Alle werden jetzt bei Verträgen mit Jenson vorsichtig sein." Eddie Jordan ließ sogar schon einen ersten Spoiler auf eine möglich Handlung durchblicken: "Jenson ist jetzt eine beschädigt Ware..."

Die Lehre des 18. WM-Laufs

Die Lehre vom Verblasen: Vor dem Wochenende hatte Juan Pablo Montoya angekündigt, dass McLaren die Konkurrenz von Renault auf dieser Strecke "wegblasen" müsste. Kimi Räikkönen konnte diese Theorie mit seiner grandiosen Aufholjagd eindrucksvoll untermauern. Montoya wurde hingegen schon in der letzten Kurve der ersten Runde selbst in die Reifenstapel und damit aus dem Rennen geblasen.

Die Lehre des 19. WM-Laufs

Die Lehre vom Sound: Zum letzten Mal heulten in Japan die Zehnzylinder-Motoren der F1-Teams auf. Ab den anstehenden Wintertests werden nur noch die neuen V8-Triebwerke zum Einsatz kommen. Aus diesem Grund ist es verständlich, dass Honda-Mann Shuhei Nakamoto fast schon etwas nostalgisch wurde, als er den Zuschauermangel am Freitag einmal etwas anders auslegte: "Die Motoren klingen einfach großartig, wenn der Sound von den riesigen Tribünen zurückgeworfen wird."

Die Lehre der Saison 2005

Die Haltbarkeitsdauer von Formel 1 Qualifying-Formaten scheint immer kürzer zu werden. Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass dieses einst als Vorlage für Douglas Adams' diente:

"Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau rausfindet, wozu das Qualifying da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt."