Die große weite Formel 1-Welt beginnt jetzt mit der großen weiten Suche nach einem Schuldigen. Nach jemanden, den man für die größte Farce der Formel 1-Geschichte verantwortlich machen kann. Doch so einfach ist diese Suche leider nicht...

Einfach ist jedoch die Suche nach dem Auslöser des Skandals - und das ist selbstverständlich der Reifenhersteller Michelin, der sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hat und dessen Reifenmischung den Bedingungen in Indianapolis nicht gerecht wurde. Somit ist auch klar, dass der Auslöser auch zu den Schuldigen zu zählen ist. Doch die ganze Schuld einzig auf Michelin abzuwälzen, wäre allerdings zu einfach. So einfach ist die Formel 1 schon lange nicht mehr...

Michelin brachte schlechte respektive rennuntaugliche Reifen nach Indy. Das war ab einem gewissen Zeitpunkt eine schlichte Tatsache. Sicher könnte man jetzt sagen: Deshalb ist Michelin schuld, basta. Aber es geht auch darum, wie dieser Formel 1-Apparat mit dieser Tatsache umgegangen ist. Und ob es Möglichkeiten gegeben hätte, dieses lächerliche "Rennen" zu verhindern.

Hier beginnt das große Schuldzuschieben. Da gibt es einmal die Rolle der Scuderia Ferrari. Rubens Barrichello sagt zu Recht: "Gebt Ferrari nicht die Schuld!" Tatsächlich musste Ferrari, mussten Michael Schumacher und Rubens Barrichello mit den von erbosten Fans auf die Fahrbahn geschleuderten Plastikflaschen zurechtkommen, obwohl doch gerade die sechs Bridgestone-Fahrer immerhin am Rennen teilgenommen haben. Doch es geht auch um die Verantwortung gegenüber dem Sport, gegenüber den Fans. Ferrari hat in Indy die völlige Passivität gewählt. Nach dem Motto: "Geht uns alles nichts an. Wir haben nichts falsch gemacht."

Briatore: Die Leute wollen ein Rennen sehen..., Foto: Sutton
Briatore: Die Leute wollen ein Rennen sehen..., Foto: Sutton

Und natürlich ist das richtig. Zugleich aber gab es ein Übereinkommen von neun Teams, eine Schikane vor der Steilwandkurve zu errichten. Die Michelin-Teams wären sogar bereit gewesen, dafür einen Tribut zu zahlen. Mit einer Rückversetzung aller Michelin-Fahrer bis hin zu WM-Punkten nur für die Bridgestone-Teams. Man wollte mit der Schikane sicherstellen, dass ein Rennen mit 20 Piloten gefahren wird. Ferrari stimmte dem nicht zu, verwies auf die FIA. Schade - hätte Ferrari unterschrieben, hätte man das 2002 in Amerika entstandene Ego-Image der Scuderia ein wenig verbessern können. Unklar ist trotzdem, ob eine von allen Teams unterzeichnete Absichtserklärung die Sporthoheit FIA mehr beeindruckt hätte...

Teamchefs & Michelin kritisieren die FIA

Das kann man nämlich mit 99 Prozent an Wahrscheinlichkeit ausklammern. Minardi-Boss Paul Stoddart erklärte: "Neun von zehn Teams wollten mit der Schikane den Sport über die Politik stellen. Doch Max Mosley lehnte das kategorisch ab..." Diese Kritik kommt mittlerweile von beinahe allen Formel 1-Teams. Es habe Telefonate gegeben - Teamchefs hätten den in London sitzenden FIA-Präsidenten von der Schikanen-Lösung überzeugen wollen, doch ohne Erfolg. Mosley soll mit Lizenzentzug für die Veranstalter gedroht haben - wegen der Abhaltung eines Rennens auf einer nicht genehmigten Rennstrecke.

Auch Michelin selbst erklärte bei allem Schuldbewusstsein: "Wir haben vernünftige, machbare Alternativen vorgeschlagen, doch die FIA lehnte alles ab." BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen sagte: "Wir hätten sogar auf die WM-Punkte verzichtet. Aber mit der Schikane hätte man den Fans ein Rennen mit 20 Autos präsentieren können."

Hat die FIA also richtig - im Sinne des Sports - gehandelt? Mosley beruft sich auf seine Vorschläge - doch diese wären in der Praxis noch lächerlicher gewesen als der "Mini-GP". Dass 14 Autos jede Runde durch die Boxengasse rollen, wäre einfach nur absurd gewesen. Dass die Michelin-Fahrer mit stark verminderter Geschwindigkeit durch die Steilwandkurve fahren, wäre zudem chaotisch und außerdem gefährlich gewesen. Warum also lehnte Mosley die einzig halbwegs vernünftige Lösung - die Schikane - so kategorisch ab?

Für viele ist die Antwort einfach - es geht wieder einmal um den Konflikt zwischen der FIA und den Herstellern. Sicher gibt es Regeln und Statuten - doch Max Mosley hätte ein Machtwort sprechen und mit der Schikane das Rennen retten können. Flavio Briatore erkannte: "Die Leute wollen ein Rennen sehen. Ob WM-Punkte oder nicht, ist ihnen nicht so wichtig." Tatsächlich wäre ein Rennen mit 20 Autos und keinem WM-Status besser gewesen als die Vergabe der WM-Zähler an die sechs Bridgestone-Fahrer. Wie auch immer diese - bislang so spannende - WM ausgehen wird - man wird Ferrari stets vorwerfen, diese - rein technisch verdienten - 18 Punkte unverdient eingefahren zu haben.

Hat Max Mosley richtig reagiert?, Foto: Sutton
Hat Max Mosley richtig reagiert?, Foto: Sutton

Man könnte also sagen: Max Mosley ist zwar nicht der Schuldige an dieser Farce - er hat es jedoch einmal mehr verabsäumt, sich an die Seite des Sports und der Fans zu stellen. Seit Jahren drangsaliert Mosley die Formel 1 mit seinen Regeländerungen - viele davon erwiesen sich als schlicht und einfach falsch. Sündteure Sparmaßnahmen. Brandgefährliche Sicherheitsregeln. Max Mosley ist nicht schuld an dem US-Debakel, dennoch ist es kein Wunder, dass nicht nur Paul Stoddart seinen Kopf fordert.

Das Fazit der Suche nach dem Schuldigen könnte lauten: Der gesamte Formel 1-Apparat funktioniert nicht, weil er zerfressen ist von den lähmenden Polit-Spielchen. Weil jeder nur an seine eigenen Interessen denkt. Weil es unüberwindbare Klüfte zwischen den verschiedenen Protagonisten gibt. Aber: Neun von zehn Teams haben zumindest versucht, im Interesse des Sports zu handeln. Im Endeffekt aber fehlt eine handlungsfähige und kompetente Sporthoheit, die zuerst an die Fans denkt.