Zugegeben, Kimi Räikkönen ist nicht gerade der Traum jedes Formel 1-Boxenreporters. Seine Statements haben den Sprengstoffgehalt lauwarmer Nudelsuppe und außer Formel 1 interessiert das finnische Wunderkind eigentlich so gut wie gar nichts. "Keine Ahnung!", "da müsst Ihr das Team fragen" und so weiter zählt zu seinem Standardrepertoire.

Als ich ihn nach Erscheinen des WM-Kalenders vor zwei Jahren beim Fernsehinterview fragte, ob ihm das Rennen auf dem A1-Ring in Spielberg im kommenden Jahr fehlen würde, war seine lapidare Antwort: "Sorry, ich wusste gar nicht, dass wir da nicht mehr fahren...!". In seiner Gedankenwelt spielt immer nur das unmittelbar nächste Rennen, der nächste Erfolg eine Rolle. Insofern ist Kimi sogar ein Gewinn – ehrlich, berechenbar, fast ein wenig naiv und zu keiner Notlüge fähig.

Es gibt eigentlich keinen vernünftigen Grund, warum gute Formel 1-Fahrer gerade aus Finnland kommen sollten. Doch das Land am Polarkreis, das nicht einmal eine eigene Rennstrecke besitzt hat die Logik der Formel 1 schon öfters Lügen gestraft.

Ende 1981 war ein gewisser Keijo Rosberg ein unbekannter Wilder aus dem Norden, der in einem grässlichen Wagen, der das Prädikat Formel 1-Auto nicht annähernd verdiente heiße 0 WM-Punkte errungen hatte. 12 Monate später war Keke Weltmeister. Er ebnete den Weg für weitere Talente wie Lehto, Salo und nicht zuletzt Mika Häkkinen, der 1994 in Adelaide dem Tod von der Schaufel sprang, um zum Schreckgespenst für Michael Schumacher zu werden. Nach zwei Titeln war auch seine Mission erfüllt, doch mit Kimi Räikkönen stand der nächste schnelle Finne schon parat und übernahm pikanterweise genau sein Cockpit. Über schnelle Finnen staunen wir also schon lange nicht mehr, auch wenn sie im Formelsport kaum bessere Startvorteile haben als Kirgisen und Chilenen.

Eigentlich undenkbar, dass Kimi Räikkönen zu Beginn seiner Karriere quasi nur "auf Bewährung" starten durfte. Die FIA misstraute dem Experiment, einen Formel Renault-Piloten an einem Grand Prix teilnehmen zu lassen. Kimi antwortete auf seine Art: Platz 6 im ersten Rennen, damit waren alle Diskussionen beendet.

Der Junge aus Espoo mit der eintätowierten Sonne am Arm kommt von ganz unten. Um ihm sein erstes gebrauchtes Kart zu besorgen verzichteten seine Eltern Matti und Paula der Legende nach sogar auf den längst fälligen Einbau einer Toilette in ihrer Wohnung – beides war nicht drinnen. Eine lohnende Investition, wie sich gezeigt hat.

Wie jeder Formel 1-Star, der auf sich hält, pflastern Leichen seinen Karriereweg. Nach David Coulthard dürfte nun auch von Juan Pablo Montoya sehr schnell der Glanz des Sieg-Piloten abblättern. Genauso wie Michael Schumacher einst Piquets und Brundles Karriereweg entscheidend verkürzt hatte.

Kimi zeichnet eine außergewöhnliche Härte, ja fast Brutalität aus, wenn es um den Erfolg geht. Alles was ihn interessiert ist gewinnen, am besten täglich.

Sein Abgang im ersten Jahr von Sauber zu McLaren trotz gültigen Vertrags hat das Schweizer Team persönlich tief getroffen. Peter Saubers Rennstall und die Menschen, die für den völlig unbekannten Grünschnabel monatelang durchs Feuer gegangen waren – alles plötzlich unwichtig, für seine Welt zu klein geworden. Kimi wollte sich nicht länger mit 3. oder 4.Plätzen zufrieden geben – da kam Ron Dennis' Millionenablöse wie gerufen.

Kimi schaut nicht auf andere – er schaut ausschließlich auf sich selbst. So bekommt er auch nicht mit, dass das Fahrerlager gelegentlich Witze wegen seiner Einsilbigkeit macht. Sogar Fahrerkollegen machen sich gelegentlich öffentlich lustig über den Eisblock in Silber. Kimi als Fahrersprecher? Öffentliches Engagement für mehr Sicherheit? Fehlanzeige!

Alles, was ihn vom nächsten Rennen ablenken könnte, wird rigoros aus dem Kalender gestrichen. Genauso kompromisslos nimmt er sich aber auch die Freiheit, einmal mit Kumpels einen trinken zu gehen, manchmal auch mehrere. Nur Kimi weiß, was für Kimi gut ist!

Seine Bereitschaft, leicht illuminiert für vermeintliche Schnappschüsse von "Freunden" zu posieren bestätigt seine Geradlinigkeit, ja fast Gutgläubigkeit. Pech, wenn der Freund die Bilder für ein beträchtliches Taschengeld dann an die Boulevardpresse weitergibt.

Mich hat von Beginn seiner Karriere an beeindruckt, wie rasch der Iceman zum Idol der Kids geworden ist. Der Mann, der nicht spricht, sondern handelt und sich von "oben" nichts, aber gar nichts sagen lässt – das bessere Idol für pubertierende Racefans als Alonso, Michael Schumacher oder Montoya?

Schließlich hat ihn der liebe Gott mit schier grenzenlosem Talent bedacht, moderne Formel 1-Autos schnell zu lenken. Sein Interesse, seine Perfektion nimmt fast autistische Züge an.

Zur Verdeutlichung, wie stark der Mann im Moment wirklich ist: Im Samstag-Qualifying von Barcelona musste er auf schmutziger Strecke als einer der ersten raus und machte in der ELF-Kurve einen Riesenschnitzer, der ihn gut und gerne eine halbe Sekunde kostete. Die Runde war gut genug für Platz 3 und eine Sektorbestzeit. Sein Rückstand auf Trulli nicht einmal eine Zehntelsekunde.

Das Duell des Jahres heißt für mich jedoch spätestens seit Barcelona Alonso gegen Räikkönen. Ein Nord-Süd-Konflikt, auf den wir uns alle freuen dürfen, denn da sind zwei gänzlich unterschiedliche Menschen am Werk, die das gleiche Ziel verfolgen: Am 16. Oktober in Shanghai als frischgebackener Weltmeister bei der Pressekonferenz zu Millionen TV-Zusehern zu sprechen. Irgendwie graut mir als Formel 1-Reporter davor, es könnte Kimi sein...