Silverstone ist ein spezielles Pflaster. In der Wiege des Motorsports trennt sich das Spreu vom Weizen. Nachdem es in Österreich und Kanada vor allem um Motorpower ging, verlangt der Silverstone Circuit den Autos alles ab. Die Highspeed-Kurven verlangen viel Downforce, die längeren Geraden allerdings wenig Luftwiderstand. Das harte Fahrwerk für die schnellen Kurven ist in den langsamen Ecken, die vor allem seit dem letzten Umbau dazugekommen sind, hinderlich.

Demnach ist in Silverstone das perfekte Auto gefragt, das alles kann. Doch der erste Trainingstag zum Großen Preis von Großbritannien war atypisch. Für Silverstone rekordverdächtig hohe Temperaturen mischten das Feld durcheinander, zudem sorgten zwei Trainingsunterbrechung zur schlechtesten Zeit für zerstörte Longruns. Motorsport-Magazin.com liefert die Analyse zum Freitag in Silverstone.

Mercedes: Nur eine Sektorbestzeit

Klar, Mercedes setzt auch in Silverstone die Bestzeiten. Allerdings konnten sich am Nachmittag Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton schieben. Der Rückstand von Räikkönen auf Rosberg war verhältnismäßig gering. Auf der zweitlängsten Strecke im Rennkalender fehlten dem Finnen 0,347 Sekunden. Vettel lag lediglich weitere 20 Tausendstelsekunden dahinter.

Ferrari brachte übrigens für beide Piloten neue Power-Unit-Komponenten. Nachdem der dritte Verbrennungsmotor schon in Kanada kam, sind nun auch MGU-H und Turbolader Nummer drei im Einsatz. Token sollen dafür nicht aufgewandt worden sein, allerdings handelt es sich sehr wohl um eine neue Spezifikation. Turbolader und MGU-H sind in Silverstone besonders wichtig, weil der Abgasstrom bei 70 Prozent Vollgasanteil größer als gewöhnlich ist.

Sektorbestzeiten FP2

PlatzSektor 1ZeitSektor 2ZeitSektor 3Zeit
1Räikkönen29,150Rosberg38,766Räikkönen26,153
2Rosberg29,170Kvyat38,998Rosberg26,187
3Hamilton29,232Hamilton39,003Vettel26,202
4Vettel29,278Vettel39,042Hamilton26,271
5Kvyat29,348Räikkönen39,072Ricciardo26,323
6Hülkenberg29,390Ricciardo39,281Massa26,393
7Perez29,448Verstappen39,343Kvyat26,423
8Maldonado29,517Sainz39,358Verstappen26,425
9Verstappen29,5332Hülkenberg39,420Alonso26,553
10Ricciardo29,549Bottas39,652Hülkenberg26,577

Ein Blick auf die Sektorenzeiten ist interessant: Räikkönen hält die Bestwerte im ersten und im letzten Sektor. Nur im Mittelsektor ist Nico Rosberg der Schnellste. Dort dafür deutlich. Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet Cops, Maggots, Becketts und Chapel im zweiten Sektor liegen. Der Mercedes klebt in den Highspeed-Kurven förmlich auf der Strecke.

Das zeigt sich nicht nur an den Sektorzeiten. Am Ende jedes Sektors wird die Geschwindigkeit gemessen. Während die Mercedes bei der Höchstgeschwindigkeitsmessstelle Ende der Hangar-Straight nur auf den Plätzen sieben und neun landen, sind Hamilton und Rosberg am Ende von Sektor zwei deutlich weiter vorne anzutreffen.

Topspeeds FP2 - Gemessen 140 Meter vor Stowe

FahrerTeamMotorTopspeed
Sergio PerezForce IndiaMercedes331,2 km/h
Romain GrosjeanLotusMercedes331,2 km/h
Pastor MaldonadoLotusMercedes329,8 km/h
Kimi RäikkönenFerrariFerrari328,7 km/h
Sebastian VettelFerrariFerrari328,6 km/h
Max VerstappenToro RossoRenault327,3 km/h
Lewis HamiltonMercedesMercedes326,7 km/h
Felipe MassaWilliamsMercedes326,6 km/h
Nico RosbergMercedesMercedes326,2 km/h
Nico HülkenbergForce IndiaMercedes325,4 km/h

Sektor zwei Endet direkt nach der letzten Highspeedkurve Chapel. Lewis Hamilton wurde an dieser Stelle mit 254,3 Stundenkilometer geblitzt. Nur 0,5 km/h langsamer als der schnellste an dieser Stelle - Sebastian Vettel. Williams muss hier einmal mehr extrem federn lassen: Das Downforce-Defizit spiegelt sich an dieser Messstelle mit den Positionen 13 und 15 wider.

Temperaturen

Die ungewöhnlich hohen Temperaturen verfälschten das Bild allerdings. Fahrzeuge mit weniger Downforce haben bei kühleren Temperaturen mehr Probleme, die Reifen in das Betriebsfenster zu bekommen. Erst recht, weil Pirelli die zwei härtesten Compounds mit nach Silverstone gebracht hat. Je kälter es am Wochenende wird, desto mehr wird Mercedes davonziehen.

Allerdings können die Schwankungen auch Mercedes negativ treffen. "Wenn man das Auto jetzt auf Unter- oder Übersteuern abstimmt, wie wird es dann, wenn es viel kälter ist? Die Balance ändert sich stark und damit auch der Reifenverschleiß. Verschleißt dann die Vorderachse mehr oder die Hinterachse? Mit der Temperatur änderst sich alles", gibt Rosberg zu Bedenken.

Longruns

Vor allem bei den Longruns wirken sich extreme Temperaturschwankungen aus. Auch deshalb sind die Longrun-Zeiten vom Freitag mit Vorsicht zu genießen. Erschwerend kommt hinzu, dass die zweite Session in der Schlussphase zweimal unterbrochen werden musste.

Deshalb sollte in die Fabelzeiten von Toro Rosso nicht zu viel hineininterpretiert werden. Max Verstappen fuhr den schnellsten Run. Im Schnitt umrundete Verstappen den Kurs in seinem Sieben-Runden-Run in 1:38,6 Minuten. Da konnte selbst Nico Rosberg nicht mithalten. Mit kleinen Schönheitskorrekturen kommt der Deutsche auf einen Longrun-Schnitt von 1:38,7. "Ich war mit meinem Longrun sehr zufrieden. Ich hatte einen Mercedes vor mir und er konnte nicht stark davonziehen", untertrieb Verstappen sogar noch.

Sainz musste gegenüber Verstappen federn lassen, Foto: Sutton
Sainz musste gegenüber Verstappen federn lassen, Foto: Sutton

Auch der Run von Carlos Sainz auf den Medium-Reifen war bemerkenswert, allerdings eine ganze Schippe langsamer als jener seines Teamkollegen. Sebastian Vettels Longrun auf den Medium-Reifen lag auf Rosberg-Niveau. Allerdings waren Rosbergs Reifen zu Beginn des Stints sechs Runden alt, Vettels bereits zehn. Williams sah nicht nur bei der Pace auf eine Runde schwach aus. Auch die Longruns der Briten waren nicht gerade beängstigend. Stand jetzt sind Red Bull und Toro Rosso vor dem Traditionsrennstall.

Red Bull und Toro Rosso haben im Renntrimm allerdings wieder das Manko des Renault-Antriebs. Nach wie vor braucht die französische Power Unit deutlich mehr Benzin als die Konkurrenz von Mercedes oder Ferrari. Das wirkt sich in Silverstone gravierend aus, weil die Konkurrenz mit weniger als 100 Kilogramm Benzin starten kann. Der Gewichtsvorteil ist in Silverstone enorm.

Welches Programm fuhr Ferrari?

Ferrari ist am Freitag meist näher an Mercedes dran, Foto: Sutton
Ferrari ist am Freitag meist näher an Mercedes dran, Foto: Sutton

Es bleibt allerdings immer eine Frage: Welche Programme wurden gefahren. Ferrari Teamchef Maurizio Arrivabene beschwerte sich unlängst darüber, dass sein Team am Freitag in Relation zu Mercedes immer deutlich besser aussieht als dann am Samstag und Sonntag. Der Italiener forderte eine andere Herangehensweise.

Allerdings dürfte das nicht nur mit der Spritmenge zu tun haben. "Wir wissen dass Mercedes von Freitag auf Samstag den Motor aufdrehen kann. Nicht nur Mercedes, sondern auch Williams. Wenn man Williams am Freitag und Sonntag vergleicht, ist es ein enormer Sprung", weiß Sebastian Vettel. "Wir absolvieren die Longruns nicht mit wenig Sprit, dann wäre die Pace eine andere. Manche Teams können am Samstag und Sonntag im Vergleich zu Freitag einfach viel aggressiver sein."

Heißt: Ferrari kann das Programm nicht einfach ändern. "Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren", gibt Vettel zu Bedenken. Deshalb hat sich Ferrari auch am Freitag in Silverstone nicht zurückgenommen. Der Rückstand auf Mercedes wird wachsen. Ferraris einzige Hoffnung dürfte ein heißer Sonntag werden. Wenn Mercedes die Balance nicht hundertprozentig trifft und zu viel Vorderreifen braucht, könnte Ferrari mit Glück - wie schon in Malaysia - in die Suppe spucken.

Rosberg vs. Hamilton

Am Ende wird es wohl einmal mehr auf ein Duell zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton hinauslaufen. Am Freitag sah es für den Deutschen deutlich besser aus. Trotz technischer Probleme konnte Rosberg in beiden Trainings die Bestzeit setzen. Hamilton drehte und verbremste sich und wirkte erneut nicht ganz bei der Rolle.

Ein Longrun von Hamilton existiert quasi nicht. Der Brite fuhr maximal vier repräsentative Runden am Stück. Und auch diese Zeiten waren nicht gerade ermutigend. Niki Lauda spielt das kleine Formtief des Weltmeisters herunter: "Bei Lewis funktioniert es nur am Freitag nicht, am Samstag holt er etwas aus seiner Talentdose, dann passt das." Die Talentdose könnte allerdings auch die Festplatte der gegnerischen Garagenhälfte sein. "Wenn man verloren ist, dann kann man sich anschauen, was der andere mach", erklärt Lauda. Im Klartext: Hamilton könnte Rosbergs Setup übernehmen.