Kanada sorgt alle Jahre wieder für Hochspannung - so viel ist bekannt. Doch im Normalfall liegt das an der Streckencharakteristik oder ist, wie im letzten Jahr, den Reifen geschuldet, die auf dem anspruchsvollen Kurs im Sankt-Lorenz-Strom besonders viel mitmachen müssen. 2013 so scheint es, kommt noch eine ganz andere spannungsfördernde Zutat hinzu: Das Wetter. Der Regen, der den Teams das Leben bereits im ersten Freien Training am Freitag schwer machte, soll den Circuit Gilles Villeneuve auch am Samstag heimsuchen. Passiert das, gehen die Piloten mit einer Menge Ungewissheit in die Qualifikation, ist dann doch ein Set-Up vonnöten, das sich als guter Kompromiss für die nasse Fahrbahn am Samstag und das wohl trockene Rennen am Sonntag erweist. Die Herangehensweise an dieses Gestocher im Nebel war zumindest am Freitag bei Mercedes, Red Bull, Ferrari und Lotus schon einmal unterschiedlich. Motorsport-Magazin.com hat das Geschehen bei den vier Top-Teams etwas genauer unter die Lupe genommen.

Mercedes

Die unumstrittenen Qualifying-Könige: In Kanada könnten sie fällig sein, hieß es im Vorfeld nicht nur von vielen Experten sondern auch von der hoffenden Konkurrenz. Doch auch wenn man sich am Freitag zeitenmäßig nicht mit Ruhm bekleckerte, zeigte sich, dass man Silber für den Samstag keinesfalls abschreiben darf. Der Kurs in Montreal erfordert eine gute Höchstgeschwindigkeit und viel Power für die langen Geraden: Die hat Mercedes und bewies das in Kanada auch schon in den Vorjahren, etwa bei Michael Schumachers Beinahe-Podiumsfahrt 2011. Damals herrschten in Montreal ähnliche Mischbedingungen wie dieser Tage. Einmal mehr musste man auch bei den Stuttgartern selbst feststellen: "Die kühleren Temperaturen sind uns wahrscheinlich entgegengekommen." Diese Worte aus dem Munde Toto Wolffs dürfen die Anhänger der Silberpfeile also hoffen lassen - in Kanada ist einmal mehr alles drin. Nico Rosberg schaffte es am Freitag zwar in beiden Sessions nicht ganz nach vorne, mit lediglich vier Zehnteln Rückstand im Trockenen war er aber in Reichweite zur Spitze.

Bei Mercedes bleibt man gelassen: Holt Rosberg die nächste Pole?, Foto: Mercedes AMG
Bei Mercedes bleibt man gelassen: Holt Rosberg die nächste Pole?, Foto: Mercedes AMG

Noch besser erwischte es am Nachmittag Montreal-Spezialist Lewis Hamilton, der bei fünf Rennen auf der Strecke dreimal gewann. Der Brite fuhr auf P2 hinter Fernando Alonso - sein Rückstand auf den Ferrari-Star betrug dabei nur läppische zwölf Tausendstel. Beide Silberpfeil-Piloten zeigten sich im Anschluss an die Auftakt-Sessions zufrieden mit ihrem F1 W04 - Rosberg sprach von einem alles in allem guten Tag und gab an, sich bei allen Bedingungen sehr wohlgefühlt zu haben. Das war zuletzt auch in Monte Carlo der Fall, wo einem zudem die gute Traktion aus den langsamen Kurven heraus in die Karten spielte - in Kanada ein ebenso wichtiger Faktor, der einen erneut nach vorne spülen könnte. Einziges Mercedes-Manko: Pole hin oder her - überholen kann man in Montreal recht einfach. Will man also auch an diesem Wochenende den Siegerpokal mit nach Hause nehmen, wird man am Sonntag auch über die Distanz die schnellste Pace haben müssen.

Red Bull

In Sachen Siegerpokal hat sich die Reise nach Kanada für Red Bull bekanntlich noch nie gelohnt. Der dort noch ausstehende Sieg des dominierenden Teams der letzten Jahre wurde bereits als Kanada-Fluch bezeichnet. Sebastian Vettel räumte mit derlei Aussagen vor seinem neuerlichen Versuch, Jagd auf die Montreal-Krone zu machen, jedoch auf - etwas derartiges gäbe es nicht, zumal er das Rennen vor zwei Jahren um ein Haar gewonnen hätte, ehe ihn Jenson Button nach einem Fahrfehler eine halbe Runde vor dem Ziel doch noch abfing. Auch Teamkollege Mark Webber wollte die Causa sachlich angehen, räumte aber ein, dass der Circuit Gilles Villeneuve für Red Bull ob seiner Streckencharakteristik kein einfaches Pflaster sei. "Diese Art Kurs, auf dem man ein starkes Low-Downforce-Paket benötigt und zu dem Kanada mit seinen langen Geraden auch gehört, war noch nie unsere Stärke", so der Australier. Tatsächlich trug auch der Fakt, dass man beim Top-Speed oftmals das langsamste Team ist, bereits in der Vergangenheit seinen Teil dazu bei, dass man in Kanada immer Probleme hatte und selbst in noch so überlegenen Phasen der Dominanz an Vorsprung auf die Konkurrenz einbüßte.

Kanada? Für Vettel heißt das: Erst einmal teif durchatmen, Foto: Sutton
Kanada? Für Vettel heißt das: Erst einmal teif durchatmen, Foto: Sutton

Für das Wochenende müsse das aber gerade vor dem Hintergrund des wechselhaften Wetters nichts heißen, so Webber... denn wann immer die Dinge durcheinander gewürfelt würden, könne für die vermeintlichen Underdogs etwas abfallen. Immerhin hatten es beide Red-Bull-Piloten am Freitag in beiden Sessions in die Top-10 geschafft. Vettel schätzte die Lage an der Front anschließend wie folgt ein: "Vielleicht waren wir auf unserem Long-Run etwas leichter als die anderen Top-Teams unterwegs. Alles in allem war es aber ein guter Long-Run." Über kurze Distanzen könne man sich aber noch verbessern. Vettel glaubte: "Mercedes sieht auf einer Runde wieder stark aus, Ferrari auf den Long- und den Short-Runs." Lotus bescheinigte der WM-Leader hingegen, im Rennen für Überraschungen sorgen zu können. Einfach wird es für Red Bull bei dieser Konkurrenzdichte also sicher nicht...

Ferrari

Zuletzt in Monaco erwischte die Scuderia aus Maranello ein rabenschwarzes Wochenende. Felipe Massa fand sich mehr in der Mauer als auf der Strecke wieder und Fernando Alonso brachte den F138 irgendwie auch nicht so recht auf Pace. Nun ist Monaco zwar ob seines einzigartigen Layouts und der Anforderungen im Fürstentum traditionell eine Ausnahmestrecke - sich nur darauf zu verlassen und nun strotzend voller Selbstbewusstsein nach Montreal zu reisen, darauf verzichteten die Italiener aber. Dementsprechend war bei Ferrari am Freitag Tiefstapelei angesagt - der Tagesbestzeit Alonsos zum Trotz. So sprachen die Beteiligten etwa vom unvorhersehbaren Wetter und den vielen Problemen, die dieses bei der Abstimmungsfindung verursachen würde... nicht aber von der unverkennbar guten Pace ihres Boliden. Nicht unschuldig an dieser könnten auch die von Ferrari mitgebrachten Updates sein, allen voran ein neuer Frontflügel.

Nicht blenden lassen: Alonso sieht wie ein Siegkandidat aus, Foto: Sutton
Nicht blenden lassen: Alonso sieht wie ein Siegkandidat aus, Foto: Sutton

Genau dieser könnte jedoch auch zum Bumerang werden, denn großartig ausgetestet ist das Teil zwangsläufig nicht - diesbezüglich half die wenige Fahrzeit am Freitag also wirklich nicht, denn das erste Freie Training fiel ob des Regens in Sachen Nutzwert für die Fahrzeugentwicklung nahezu gänzlich ins Wasser. Dass Ferrari, diese kleinen Luxusprobleme einmal außen vor gelassen, aber voll bei der Musik ist, zeigte sich auch beim Blick auf die Zeiten. Sowohl im Regen am Vormittag, als Alonso lediglich zwei Zehntel Rückstand auf die Spitze hatte, als auch bei seiner Bestzeit in der zweiten Session, war der Spanier pfeilschnell unterwegs. Teamkollege Felipe Massa tat sich einmal mehr schon etwas schwerer, wurde im ersten Training Elfter, im zweiten Teil Sechster. Auch er gab sich anschließend betont vorsichtig und stimmte damit in den Tenor des Teams ein: Wer zwischen den Zeilen lesen kann, dürfte jedoch schnell merken, dass Ferrari vor allem eines nicht will: Die Konkurrenz aufschrecken. Schlecht aufgestellt sehen die Roten ganz sicher nicht aus.

Lotus

Von allen vier Top-Teams ist Lotus der Rennstall, bei dem eine Prognose derzeit mit am schwierigsten ist. Zum einen auf Grund der Tatsache, dass eine richtige Einschätzung ihres Leistungspotenzials und der aktuellen Stärke des Autos zuletzt in Monaco problematisch ist, weil Romain Grosjean dort keinen guten Tag erwischte und Kimi Räikkönens Rennen letztendlich von Sergio Perez' Attacke beeinträchtigt wurde. Dann darf man bei der Beurteilung der schwarz-goldenen Boliden nicht außer Acht lassen, dass ihnen die bis dato in Kanada vorgefundenen Bedingungen - namentlich kühl und feucht - überhaupt nicht entgegenkommen. Auf der einen Seite ist es schon seit langer Zeit Lotus' großer Trumpf, dass man die Reifen schont: Im vergangenen Jahr half das gerade in Montreal enorm - Romain Grosjean fuhr so aufs Podium auf der Ile Notre Dame.

Grosjean muss das Feld am Sonntag von hinten aufrollen, Foto: Sutton
Grosjean muss das Feld am Sonntag von hinten aufrollen, Foto: Sutton

Auf der anderen Seite sieht man sich vor das Problem gestellt, dass man aber warme Bedingungen braucht, um die Pneus auch zum Arbeiten zu bringen - denn wie der Dritte des Vorjahres wusste: "Für uns gilt: Je wärmer es ist, desto besser wird es für uns sein." Als positives Indiz für den weiteren Verlauf des Wochenendes wollte Grosjean werten, dass er trotz der Anti-Lotus-Bedingungen in der Nachmittagssession am Freitag die drittschnellste Zeit habe verbuchen können - diese Platzierung belegte er auch schon am Vormittag. Lediglich ein Rennstart innerhalb der Top-10 ist für den Lotus-Piloten ob seiner Strafversetzung für seinen Crash mit Daniel Ricciardo zuletzt in Monaco ausgeschlossen. Somit liegt es einmal mehr an Räikkönen, die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen: P11 im Trockenen, gepaart mit der Qualifying-Schwäche des Finnen, waren zum Auftakt in Kanada aber zumindest mit Blick auf den Samstag noch nicht die besten Vorzeichen.