Niki, vor dem Brasilien-Grand-Prix hatten Sie Sebastian Vettel schon abgeschrieben. Aber er gewann und konnte mit nun 15 Punkten Rückstand auf Fernando Alonso seine WM-Chance wahren. Schreiben Sie ihn vor dem Saisonfinale immer noch ab?
Niki Lauda: Nein, ich schreibe niemanden ab, aber man muss nur die Punkte zusammen zählen. Und danach werden entweder Mark Webber oder Fernando Alonso Weltmeister.

Was aber, wenn Vettel wieder vorne liegt?
Niki Lauda: Natürlich ist am Sonntag vieles denkbar, auch ein Weltmeister Vettel. Aber meine Logik sagt mir, dass Sebastian seinem Red-Bull-Kollegen Webber in dem Moment die Chance geben wird, in dem er am Ende des Rennens zwar vorne liegt, aber dennoch keine Chance auf den Titel hat, weil Alonso auf Rang 3 fährt. Dann wäre Vettel der Größte aller Zeiten. Es wäre Gentleman-Like und eine Geste für das Team, die sich immer fair verhalten und seine Fahrer nicht mit einer Teamorder gegeneinander aufgebracht hat.

Was denken Sie über den Red-Bull-Kodex, der keine Stallorder vorsieht?
Niki Lauda: Was Red Bull gezeigt hat, hat es noch nie in der Formel 1 gegeben. Zum einen, weil sich ein privates Team hinstellt und allen "Top Teams" um die Ohren fährt und dann die Konstrukteursweltmeisterschaft gewinnt. Zum anderen, weil Dietrich Mateschitz klar sagt, bei mir gewinnt der bessere Fahrer und ich nehme keinen Einfluss. Das Team von Red Bull führt sich wie bei einer Olympiade auf. Und das in einer Sportart, in der bis heute versucht wird, das Regelwerk so zu biegen, bis man gewinnen kann. Diese Haltung verdient meinen Respekt.

Aber hätte es nicht auch etwas Ruchbares, wenn ein Vettel in Abu Dhabi in der letzten Runde auf Platz eins liegend vom Gas geht, weil er so Mark Webber zum Titel verhelfen könnte?
Niki Lauda: Ein Fahrer selbst kann immer noch für sich eine Entscheidung treffen, weil er der wichtigste Teil eines Teams ist. Das man es natürlich nicht so blöd machen muss wie Felipe Massa und Fernando Alonso in Hockenheim, wo sich alle Welt betrogen fühlte, ist natürlich auch klar. Warten wir einfach ab, wie es ausgeht.

Muss die FIA in Sachen Stallorder jetzt klarere Regeln aufstellen?
Niki Lauda: Ich bin absolut der Meinung, dass die ganze Stallorder-Diskussion falsch ist. Ich habe immer gesagt, dass das Verbot in Ordnung ist, solange es Betrügereien verhindert. Sollte aber ein Fahrer keine Chance mehr auf den Weltmeistertitel haben, dann muss es möglich sein, dass er für das Team fährt. So eine Situation kann es aber nur zum Ende einer Saison, also jetzt in Abu Dhabi, geben.

Wer hat Sie fahrerisch in diesem Jahr besonders überzeugt?
Niki Lauda: Die größte Überraschung war Mark Webber, denn dass er aus dem Nichts plötzlich um die WM mitfährt, hätte ich nicht erwartet. Sebastian Vettel hat sich weiterentwickelt, denn er ist immer besser geworden, allerdings noch nicht fehlerfrei. Und Lewis Hamilton hat mit seiner aggressiven Fahrweise auch einige Rennen weggeschmissen, obwohl er sicherlich sonst zu den Topfahrern gehört. Fernando Alonso ist für mich der kompletteste Fahrer, da er am coolsten bleibt und die meiste Erfahrung hat.

Und Michael Schumacher? Nagt der Zahn der Zeit an ihm, oder saß er im falschen Auto?
Niki Lauda: Nein, Verfallserscheinungen sehe ich bei ihm nicht. Ganz im Gegenteil, er hat uns im letzen Rennen erst gezeigt, was er noch drauf hat. Er muss es nur noch mehr umsetzten. Und Mercedes muss 2011 ein konkurrenzfähiges Auto haben, weil es so nicht weiter geht. Dann werden wir sehen, wie Schumacher sich durchsetzten kann. Er hat sicherlich nicht damit gerechnet, dass es diese Saison so schwierig werden wird.