Sieger, die aus Sicht der Zuschauer auf der Tribüne wie in der Lotterie bestimmt schienen, Jahreswagenpiloten als strategische Marionetten, deren Laune sich von Rennen zu Rennen verschlechterte: Die strategischen Freiheiten in der DTM gehörten in der vergangenen Saison zu den meistkritisierten Phänomenen der DTM. Doch fünf Rennen nach Einführung des Boxenstoppfensters steht fest: Die Limitierung der Stopps auf das zweite Renndrittel nahm den Rennen allzu viel Spannung - und wurde nun auf die beiden mittleren Rennviertel erweitert. In den Runden 10 bis 29 dürfen die Piloten in Zandvoort die Boxencrew aufsuchen - nachdem gemäß alter Regel die Runden 13 bis 25 angedacht waren.

"Das Boxenstoppfenster nimmt uns die Möglichkeiten - das finde ich schade", sagte Bruno Spengler gegenüber der adrivo Sportpresse. Profitierte in früheren Jahren oft gerade das HWA-Team von gelungenen Rennstrategien, so sah der Kanadier nun die taktische Komponente komplett ausgeschaltet. Spengler hält das Boxenstoppfenster in seiner bisherigen Form gar für überflüssig: "Eigentlich hätte man das Boxenstoppfenster nicht gebraucht, weil die Blaue-Flaggen-Regel verhindert, dass sich die Marken gegenseitig blockieren. Wenn man nach einem Boxenstopp auf jemanden aufläuft, der noch keinen Boxenstopp absolviert hat, kommt man nun problemlos vorbei."

Neben dem Ziel, gegenseitige strategische Blockaden der beiden Marken zu verhindern, sollte das Boxenstoppfenster auch für mehr Transparenz in den Rennen sorgen. Ein Vorhaben, das nach Ausweitung des Boxenstoppfensters auf die mittleren beiden Rennviertel auch Ralf Schumacher nicht wesentlich beeinträchtigt sieht: "Die Teams bekommen nun wieder mehr strategische Möglichkeiten - mehr Abwechslung kommt in die Rennen. Das ist auch für die Zuschauer positiv, zumindest für die Zuschauer am TV-Bildschirm."

Eine Ansicht, der auch Mathias Lauda zustimmt: "Bisher waren die Strategien bei allen gleich - was für die Zuschauer nicht sehr interessant war. Es kann wieder mehr taktiert und mit einem bewusst späten Stopp der eine oder andere Platz gut gemacht werden." Auch Bruno Spengler kann sich mit dem modifizierten Boxenstoppfenster weit besser anfreunden als mit der Originalversion: "Im letzten Jahr durfte man ab Runde sechs in die Box, nun ab Runde zehn. Das ist kein allzu großer Unterschied - vielleicht haben wir jetzt wieder mehr strategische Möglichkeiten."

So könnte auch Ralf Schumachers Stunde schlagen, der in der Formel 1 elf Jahre lang stark strategisch dominierte Rennen bestritt. Allerdings trifft jene Einschätzung laut dem sechsfachen Grand-Prix-Sieger nur auf den ersten Blick zu: "Ich mag rennstrategische Möglichkeiten, profitiere aber nicht direkt davon, weil die Strategien in der Formel 1 ganz andere waren." Nach fünf Rennen eines praktisch nicht vorhandenen strategischen Wettbewerbs sieht er nun DTM-spezifische Herausforderungen auf sich zukommen:

"In der DTM sind die Reifen auf den ersten Runden sehr stark, bauen dann aber deutlich ab", vergleicht Schumacher, "in der Formel 1 ist man die erste Runde schnell, dann bauen die Reifen etwas ab, aber weil das Auto auf Grund der Spritverbrennung leichter wird, kommt man wieder in die Zeitenregionen, in denen man sich während der ersten Runden befand. Das ist in der DTM anders - zumindest auf den meisten Rennstrecken." Bis zu seinem Ausfall erlebte Schumacher schon auf dem Norisring, wo das Fenster bereits eine absolut gesehen große Rundenzahl umfasste, einen Vorgeschmack auf Zandvoort: Mit geschickt getimten Boxenstopps hatte sich der Kerpener auf dem besten Wege in die Punkteränge befunden.