Freitagabend im Mercedes-Hospitality. Bernd Schneider lässt einen erfolgreichen Testfreitag ausklingen. Mit den Plätzen zwei und vier in den beiden Trainingssessions hat er sich konkurrenzfähig präsentiert; die Abstimmungsarbeit ging der unbekannten Strecke zum Trotz flüssig voran. Zu diesem Zeitpunkt weiß Bernd Schneider noch nicht, welch turbulentes Wochenende ihm bevorsteht: Dass er sich morgen im Qualifying mehrere Fehler erlauben und auf Startplatz neun landen wird. Dass er im Strudel des Startchaos bis auf Platz 18 gerissen werden wird. Dass er sich nur mit größter Mühe auf Platz fünf wird kämpfen können.

Dass er übermorgen seinen fünften Meistertitel in der DTM feiern darf, scheint er jedoch bereits zu ahnen. Er schwelgt in Erinnerungen seines ersten Meistertitels. "1995 - das ist lange her. Da hat man natürlich nur die schönsten Erinnerungen im Kopf behalten", beginnt Schneider zu plaudern, "abends laufen bei uns im Mercedes-Motorhome ja die Bilder von 1995; da bekommt man auch einmal das eine oder andere Rennen mit, wo es nicht so gut gelaufen ist."

Erfolgreiche Wachablösung

Selbst in für die Verhältnisse eines Rennwochenendes recht besinnlichen Momenten wird der unbändige Ehrgeiz Schneiders deutlich. Er führt seine Gedanken fort: "Ich weiß noch, dass ich 1995 am Nürburgring ziemlich deprimiert war, obwohl ich beide Rennen gewonnen habe. Dario Franchitti war aber eigentlich schon um Einiges schneller und ich hätte keinen Stich gegen ihn bekommen. Auch damals war nicht alles Sonnenschein", erinnert sich der Saarländer eines Zweikampfes mit seinem damaligen Teamkollegen, der beim ersten Lauf in Führung liegend mit Kupplungsdefekt ausgeschieden war.

Von Beginn der neuen DTM an dominierte Schneider das AMG/HWA-Team, Foto: Sutton
Von Beginn der neuen DTM an dominierte Schneider das AMG/HWA-Team, Foto: Sutton

"Es war ein gigantisches Jahr; ich habe damals 14 Rennen gewonnen, was immer noch der Rekord in der DTM ist", beendet Schneider seine Zeitreise ins Jahr 1995 - ein Jahr, in dem er die Wachablösung eines gewissen Klaus Ludwig einleitete. Seit den 80er-Jahren hatte Schneider, zunächst als Vertreter des Juniorentrios von Ford, sein Talent immer wieder aufblitzen lassen, hatte gemeinsam mit Zakspeed einen nur wenig von Erfolg gekrönten Ausflug in die Formel 1 gewagt, um 1991 mit Mercedes sein erfolgreiches Comeback in der DTM zu geben, wo 1995 mit Titeln in der DTM und der ITC der Durchbruch erfolgte. Streng genommen kürte sich Schneider heute zum sechsten Mal zum Meister...

Einsam an der Mercedes-Spitze

Es folgte eine Erfolgsgeschichte in der DTM, die ebenso wie jene Michael Schumachers in der Formel 1 bereits zu oft zitiert wurde, als dass sie noch Neuigkeitswert besäße. Mit 41 Siegen und 24 Pole Positions steht Bernd Schneider auch abseits der Meistertitel an der Spitze jeglicher Erfolgsstatistiken; dass Schneider wie zuvor Klaus Ludwig jahrelang die unangefochtene Speerspitze der Stuttgarter darstellte, kam nicht von ungefähr:

2000 errang der damals 36-Jährige den Titel trotz starker Konkurrenz durch Opel-Pilot Manuel Reuter vorzeitig; 2001 machten ihm seine Teamkollegen ebenso wenig Konkurrenz wie Abt-Audi TT-R und Opel Astra Coupé V8 seinem Mercedes CLK. 2002 errang zwar mit Laurent Aiello die bayrische Konkurrenz den Titel; an der teaminternen Vormachtstellung vermochte dies jedoch nichts zu ändern. 99 Punkte, 60 Punkte, 34 Punkte - so lautete in den Jahren 2000 bis 2002 der gemessen am jeweiligen Punktesystem beträchtliche Vorsprung Bernd Schneiders auf die jeweils zweiterfolgreichsten Mercedes-Piloten Klaus Ludwig, Uwe Alzen und Marcel Fässler.

Albers und Paffett schienen das Ende der Ära Schneider einzuläuten, Foto: xpb.cc
Albers und Paffett schienen das Ende der Ära Schneider einzuläuten, Foto: xpb.cc

So waren es eher ungewohnte Umstände, die 2003 den vierten DTM-Titel Bernd Schneiders begleiteten: Bis zum letzten Saisonrennen war ihm sein 24-jähriger Teamkollege Christijan Albers, der seinerseits die erste Saison im HWA-Neuwagen bestritt, im Meisterschaftskampf auf den Fersen geblieben. Nur mit Mühe sowie einem Quäntchen Glück hatte sich Schneider am Ende um vier Punkte gegen den Niederländer durchsetzen können. Erstmals seit Klaus Ludwig 1994 und Dario Franchitti 1996 hatte ihm ein Teamkollege ernsthafte Konkurrenz gemacht...

Verhinderte Wachablösung

Eine Entwicklung, die sich beschleunigte: Während Bernd Schneider 2004 mit einem fünften Startplatz sowie einem Radaufhängungsbruch im Rennen mit bescheidenem Erfolg in die Saison startete, bekamen die HWA-Youngster Gary Paffett und Christijan Albers Auftrieb - ausgerechnet auf Schneiders Leib- und Magenstrecke Hockenheim landeten sie einen Doppelsieg. Im Kampf gegen den späteren Audi-Meister Mattias Ekström wechselten sich Albers und Paffett mit ihren Rennerfolgen ab; der vierfache DTM-Meister rückte nicht nur in den Hintergrund - er zeigte wieder und wieder Schwächen:

Das Qualifying-Konzept des Einzelzeitfahrens der schnellsten zehn Piloten widerstrebte Schneider, monatelang kam er nicht über dritte bis fünfte Startreihen hinaus. Der gewohnt gelungenen Rennstrategien des HWA-Kommandostands zum Trotz wurden Podestankünfte von Seiten Schneiders zur Rarität; an die Brillanz früherer Jahre reichte der 40-Jährige nicht mehr heran. In der Endabrechnung musste sich Bernd Schneider mit dem Trostpreis eines Sieges beim Finalrennen in Hockenheim zufrieden geben, der am mageren sechsten Gesamtrang jedoch nichts mehr ändern konnte. Der Generationswechsel hatte Fahrt angenommen...

2006 ließ Schneider die teaminterne Konkurrenz hinter sich, Foto: DTM
2006 ließ Schneider die teaminterne Konkurrenz hinter sich, Foto: DTM

"Ich habe so viel trainiert wie nie zuvor, um zum Saisonbeginn auf meinem besten Leistungsgewicht zu sein, und ich habe wirklich alles getan, um optimal vorbereitet zu sein", berichtete vor dem Saisonbeginn 2005 ein umso motivierterer Bernd Schneider, der gleich beim ersten Saisonrennen sein persönliches Pleitenjahr 2004 vergessen machen wollte, "ich möchte um den Titel kämpfen und möglichst schon in Hockenheim den Grundstein dafür legen." Ein Vorhaben, das gründlich misslang. Mit dem gewohnten achten Startplatz sowie dem mit einer Strafe geahndeten Frühstart blieb trotz beachtlichen Speeds zwar ein dritter Platz - doch ausgerechnet hinter Youngster Gary Paffett...

Schon nach dem dritten Saisonrennen war der Meisterschaftszug, auf den zu diesem Zeitpunkt neben den späteren Duellanten Paffett und Ekström auch Tom Kristensen und Mika Häkkinen ausgesprungen waren, für Schneider mehr oder minder abgefahren: Ein Antriebsdefekt beim zweiten, ein Unfall beim dritten Saisonrennen - auch das Rennpech spielte gegen den 41-Jährigen. So verwunderte es kaum, dass auf den Durchbruch in der ungeliebten Super Pole in Form von Startplatz eins in Zandvoort auf der Fahrt zum ersten Saisonsieg eine Kollision mit Audi-Jahreswagenfahrer Rinaldo Capello folgte...

"Den Generationswechsel sehe ich, seit ich angefangen habe zu fahren. Es wäre ja eine Katastrophe, wenn Emerson Fittipaldi und Klaus Ludwig und Alain Prost hier noch DTM fahren würden", versuchte Schneider im Sommer 2005 den Jubel um die "jungen Wilden" Paffett und Ekström etwas zu relativieren. Dass ihn die Erfolge des britisch-schwedischen Duos sowie die eigene Saison 2005, die erneut mit dem Trostpreis eines Hockenheim-Sieges endete, ganz unberührt ließen, konnte man Schneider jedoch nicht recht abnehmen. "Ein erfolgreicher Deutscher wäre natürlich wieder einmal nicht schlecht. Denn mittlerweile wissen wir in der DTM schon gar nicht mehr, wie sich die deutsche Nationalhymne anhört", ergänzte Schneider - möglicherweise mit einer gewissen Vorahnung...

So erklang die deutsche Nationalhymne zu Saisonbeginn 2006 bekanntlich gleich zweifach. Mit Siegen in Hockenheim und Klettwitz machte Bernd Schneider von Beginn an seine Titelambitionen deutlich; die Hochform Bruno Spenglers, wie sie der Kanadier seit Saisonmitte offenbarte, erfolgte zu spät und zu wenig konstant, als dass sie dem Wahlmonegassen in diesem Jahr gefährlich werden konnte. Mit einer Konstanz, wie man sie von ihm aus all seinen Meisterschaftsjahren, nicht jedoch den Saisons 2004 und 2005 kannte, hat Bernd Schneider den Generationswechsel abgewendet. Der 42-Jährige, der heute seinen fünften DTM-Titel bejubeln durfte, hat sich nach zwei Jahren, während derer so mancher Beobachter ihn bereits endgültig abgeschrieben hatte, als im wahrsten Sinne des geflügelten Wortes als "tapferes Schneiderlein" erwiesen - und wird sich vermutlich auch 2007 nicht von den Youngstern der DTM-Welt aus dem Konzept bringen lassen...