Wer am Samstagabend als Besucher des Fahrerlagers in den zweifelhaften Genuss der zerstörerischen Wirkung der Oscherslebener Stürme gekommen war, mag die Ruhe des gestrigen Rennens durchaus als Wohltat empfunden haben - für so manchen Zuschauer jedoch ging es auf der Strecke möglicherweise zu ruhig her...

Gespenstische Ruhe

In Folge der üblichen Zwischenfälle am Start, die sich mit vereinzelten Berührungen in Reihen der Audi-Jahreswagenfahrer in Grenzen hielten, kehrte auf der Strecke - wenn auch nicht in akustischer Hinsicht - gespenstische Ruhe ein: Wie ferngesteuert drehten die Audi- und Mercedes-Boliden in Reih und Glied ihre Runden, ohne dabei von Seiten ihrer Piloten in riskante Überholversuche manövriert zu werden. "Das Mitfahren und das Überholen waren etwas Unterschiedliches, als ich auf Frentzen aufgelaufen bin und es kein Vorbeikommen gab", beschreibt Bernd Schneider sein rundenlanges Oschersleben-Schicksal, infolge dessen er nun der Lage sein dürfte, das Heck eines Audi A4 DTM aus dem Kopf in der Qualität eines Fotos zu zeichnen.

DTM-Boliden wie an der Perlenschnur, Foto: DTM
DTM-Boliden wie an der Perlenschnur, Foto: DTM

So blieb Schneider und vielen anderen Leidensgenossen nichts, als sich auf die viel zitierte "Rennintelligenz" zu berufen, der Versuchung der Brechstange zu widerstehen, und auf eine gelungene Rennstrategie des Kommandostands zu hoffen - die Piloten zeigten zwar keinen heldenhaften Mut, dafür jedoch rennfahrerische Reife. Eine exorbitant hohe Zahl an Positionswechseln während eines Zweikampfes hatten lediglich Mattias Ekström und Martin Tomczyk zu verzeichnen - ganze zwei Male tauschten die Abt-Piloten ihre Piloten, bis Tomczyk schließlich auf Rang sechs als "Sieger" hervorging. "Tauschen" war hier wörtlich zu nehmen, brachte doch Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich jene Positionswechsel mit einem begeisternden "Teamgeist" in Verbindung...

Flucht aus dem überdimensionalen Wartezimmer

Mit "zu groß geratener Kartbahn" und "anspruchsvollem Micky-Maus-Kurs" hat es Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug bislang nicht an Kreativität mangeln lassen, wenn es um Bezeichnungen für den 3,667 Kilometer langen Kurs in Oschersleben ging. Ob Haug in Folge des Rennens auch an die Bezeichnung "überdimensionales Wartezimmer" dachte, ist ungewiss, aber nicht auszuschließen... So warteten die Piloten geradezu darauf, vom Heck des Vordermanns befreit zu werden und - so reizvoll die Strecke durchaus sein mag - auf Anweisung des Kommandostands in die Boxengasse einbiegen zu dürfen, um auf diese Weise die eine oder andere Position gutzumachen.

Die Hoffnungen der Piloten ruhten auf den Boxenstopps, Foto: DTM
Die Hoffnungen der Piloten ruhten auf den Boxenstopps, Foto: DTM

Und so bot der dritte Saisonlauf eine Vielfalt an Rennstrategien, die den Taktikern und Strategen unter den Zuschauern das Herz aufgehen ließ. Während die Abt-Audi-Truppe für Tom Kristensen zunächst die klassische Variante in Form eines frühestmöglichen ersten Stopps nach Runde sechs angedacht hatte und anschließend auf den drohenden Zeitverlust im Verkehr geschickt und flexibel reagierte, gelang es den Ingolstädtern auch, die zunächst ebenfalls gelingende rennstrategische Aufholjagd Bernd Schneiders durch geschickt platzierte Stopps für Heinz-Harald Frentzen zu bremsen - ohne dabei eine für das Rennergebnis Frentzens hinderliche Entscheidung zu treffen.

So zeigte sich, welche Möglichkeiten trotz des wenig überholfreundlichen Layouts des Kurses im Falle einer perfekten Rennstrategie, des Ruhebewahrens auf der Strecke sowie eines guten Starts offen standen: Ein erster Boxenbesuch in Runde 22 sowie ein zweiter in Runde 30 brachten den auch fahrerisch brillierenden Alexandros Margaritis im Persson-Jahreswagen im letzten Renndrittel auf Platz vier - Resultat wäre ohne einen technischen Defekt kurz vor Rennende der dritte Meisterschaftsrang gewesen. Wie eng das Zeitfenster bei der Wahl einer solchen Strategie war, demonstrierte Stefan Mücke, dessen weitere drei Runden später angesetzter zweiter Boxenstopp für einen ähnlichen Positionsgewinn bereits nicht mehr hilfreich war.

La Rosa machte sich am Audi-Kommandostand keine Freunde, Foto: DTM
La Rosa machte sich am Audi-Kommandostand keine Freunde, Foto: DTM

Zwischenzeitlicher Windhauch

Eine kurze Unterbrechung der gespenstischen Ruhe zeichnete sich lediglich einmal am Audi-Kommandostand ab: Während Sportchef Dr. Wolfgang Ullrichs Miene ernster wurde, ließ Teamchef Hans-Jürgen Abt seinem allseits bekannten Temperament freien Lauf. Im Laufe seines zweiten Stints war der boxenstoppbereinigt führende Tom Kristensen auf das noch nicht zum Boxenstopp erschienene Mücke-Duo aus Daniel La Rosa und Stefan Mücke aufgelaufen - wohlgemerkt jene Piloten, die im Anschluss an das Qualifying noch am meisten mit blockierendem Verkehr gehadert hatten. Im Gegensatz zu seinem Teamchef jedoch blieb der Däne ruhig - und gab die aussichtslosen Überholversuche nach einiger Zeit auf: "Mit einer aggressiven Strategie - also nach der sechsten Runde zu stoppen - wussten wir, dass wir diese Probleme bekommen."

Wenngleich die clevere Reaktion der Abt-Truppe in Form des vorgezogenen zweiten Boxenstopps Folgen jenes Vorfalls verhinderten: Die altbekannten Diskussionen um Legitimität oder "Verwerflichkeit" des Eingriffs von Jahreswagen ins Geschehen an der Spitze kochten zwischen Audi und Mercedes neu hoch. Und obwohl auch diesmal kein anderes Fazit bleibt, als dass sich La Rosa und Mücke keinen Regelverstoß vorzuwerfen haben: Inwiefern der Kampf gegen Kristensen für die Rundenzeiten und somit auch für das Rennergebnis des Mücke-Duos hilfreich war, ist fraglich...

Bernd Schneider büßte die Meisterschaftsführung ein, Foto: DTM
Bernd Schneider büßte die Meisterschaftsführung ein, Foto: DTM

Beruhigung für Audi, Ruhe seitens der Kritiker

Viele hatten sie infolge der zu Beginn der Saison überlegenen Leistungen Bernd Schneiders und Mercedes' an die Wand gemalt - die Mercedes-Dominanz sowie einen entsprechend ermüdenden Verlauf der Meisterschaft. Nachdem zumindest im Rennen anhand der Vorstellungen Tom Kristensens sichtbar wurde, dass Audi einerseits einen leichten Performancegewinn zu verzeichnen hat, andererseits jedoch auch das Gewichtsreglement seine leicht korrigierende Aufgabe erfüllt, scheinen auch mit Blick auf die Meisterschaft, die Kristensen und Abt-Audi nun jeweils knapp anführen, die Chancen auf ein beständiges Herstellerduell auf gleicher Augenhöhe gut zu stehen.

Und obgleich es nicht das Rennen des schließlich fünftplatzierten Bernd Schneider war, stellte der dritte Saisonlauf für Titelrivale Tom Kristensen keine Spazierfahrt dar, wurde Schneider doch an der Spitze durch die HWA-Youngster und Podestbesucher Bruno Spengler und Jamie Green würdig vertreten - wenngleich letzterer am Start auch diesmal nicht die Ruhe bewahrte...