Halbmond und Stern auf der türkischen Nationalflagge waren für die Mercedes-Gegner allem Anschein nach kein gutes Omen: Nach den jüngsten Erfolgen erlebte die Stuttgarter Konkurrenz, allen voran Mattias Ekström, einen nachtschwarzen Tag, der vollständig von Mercedes-Sternen geprägt war. Ein bewölkter Himmel am Nachmittag schloss für Audi und Opel die Sichtung einer sternenklaren Nacht somit nicht aus...

Umnachtung oder Erleuchtung?

Ein trotz spiegelglatter Fahrbahn problemloser Start aller 20 Piloten bildete gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm. Der Vorwärtsdrang Mattias Ekströms, der von Platz fünf startend schon vor der ersten Kurve an den Persson-Piloten Bruno Spengler und Jamie Green vorbeigezogen war, schien allerdings schon in der ersten Runde zu stocken: Anstatt den zweitplatzierten Bernd Schneider unter Druck zu setzen, bekam der Schwede seinerseits Druck von hinten zu spüren. Auf Platz vier liegend hing Jamie Green im ekströmschen Getriebe, bevor der junge Brite offenbar die Geduld verlor: Ausgerechnet in der letzten Kurve vor Start und Ziel, einer dafür eigentlich wenig prädestinierten Stelle, setzte Green zum Überholen an, setzte sich innen neben Ekström, sprang über die inneren Curbs und drängte den Titelverteidiger am Kurvenausgang neben die Strecke - wovon auch seine Sternkollegen Mika Häkkinen und Jean Alesi zu profitieren wussten.

Ekström und Green - Streithähne unter sich, Foto: Sutton
Ekström und Green - Streithähne unter sich, Foto: Sutton

"Man müsste eigentlich annehmen, der Green wollte den Eki rausschießen", kommentierte ein sichtlich verärgerte Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich während des Rennens gegenüber der ARD, "mir geht es hier um prinzipielle Fairness, und die habe ich hier in keiner Weise gesehen." Sein Mercedes-Kollege Norbert Haug, der das Manöver seines Schützlings als "astrein" befand, sah dies naturgemäß anders: "Mattias Ekström hat ein Loch aufgelassen. Das ist Rennsport." Später wurde der Schwabe deutlicher: "Wir haben den Ruf, nicht zu rempeln, und ich kenne Leute, die schon sehr, sehr viel gerempelt haben." Die Vermutung, dass Haug mit dieser Andeutung auf Ekström, mit dem ihn nicht erst seit dem Ekström/Green-Unfall auf dem EuroSpeedway Lausitz in Mai eine innige Freundschaft verbindet, zielte, erscheint dabei zumindest nicht abwegig...

So war es die alte Rivalität zwischen den beiden süddeutschen Premiummarken, die in Folge des Istanbul-Rennens so offensichtlich zu Tage trat wie schon lange nicht mehr. Eine der ansonsten recht großzügig vergebenen Boxendurchfahrtsstrafen für Green stand in Kreisen der Rennleitung zwar zur Debatte, wurde allerdings schließlich verworfen. Zwar ging man so auch den in letzter Zeit viel geäußerten Befürchtungen, die Fahrer mit der Bestrafung misslungener Überholmanöver vom Überholen immer mehr abzuhalten, aus dem Wege; doch nicht nur aufgrunddessen hat die Entscheidung der Rennleitung durchaus ihre Berechtigung. Zu diskutieren bleibt dennoch, auch infolge der Audi-Behauptung bezüglich eines nach der Berührung "unfahrbaren" Ekström-A4, inwieweit es für nicht in den Titelkampf involvierte Piloten vertretbar ist, mit allzu riskanten Positionskämpfen in das Meisterschaftsduell einzugreifen.

Viel Licht, wenig Schatten

Übersteht in der Regel nur selten das gesamte Feld die ersten Kurven nach dem Start unbeschadet, so gelang den DTM-Piloten dieses Kunststück ausgerechnet auf einem nassen Kurs in Istanbul, mit dem sie sich erst während der beiden vorherigen Tage bekannt machen konnten. Der bewölkte Himmel sowie das gänzlich untürkisch wirkende Wetter hatten lobenswerterweise nur wenige durchwachsene fahrerische Leistungen zur Folge - zumindest, was das Zweikampfverhalten betraf:

Betriebsunfall beim Team Mücke, Foto: Sutton
Betriebsunfall beim Team Mücke, Foto: Sutton

So waren abgesehen von der Kollision zwischen Heinz-Harald Frentzen und Christian Abt, dessen Entstehungsgeschichte ebenso kurios schien wie das Ergebnis zweier auseinander kreiselnder Fahrzeuge, keine allzu folgenschweren Fehler zu beobachten; ein teaminterner Fauxpas bei Mücke, infolge dessen Stefan Mücke und Alexandros Margaritis aneinander gerieten, war für außen Stehende eher unterhaltsam denn hinsichtlich der Fairness bedenklich. Angesichts der schwierigen Streckenbedingungen darf die Disziplin der Fahrer den zahlreichen Ausflügen neben die Strecke zum Trotz zweieinhalb Monate nach dem Crash-Spektakel auf dem Norisring durchaus gelobt werden. Dank gänzlich fehlerfreier Leistungen glänzten mit Gary Paffett, Mika Häkkinen und Bernd Schneider drei Sterne am Fahrerhimmel besonders hell.

Tag und Nacht in den Fahrerreihen

Während Gary Paffett selbst unter größerem Konkurrenzdruck auf die Unterstützung seiner sich in Istanbul stark präsentierenden Markenkollegen hätte bauen können, hatte Mattias Ekström allein auf weiter Flur zu kämpfen: So schien es bis zur Super Pole, als könne der Schwede erneut nur auf seinen dänischen Abt-Kollegen Tom Kristensen zählen - doch selbst dieser Hilfe konnte sich der Titelverteidiger nach einem folgenschweren Fehler des siebenfachen Le-Mans-Siegers in der Super Pole nicht mehr gewiss sein. Zwar erwies sich Kristensen hinsichtlich des Speeds Ekström wieder ebenbürtig; doch erst nachdem das Rennen schon begonnen hatte, für Ekström einen katastrophalen Lauf zu nehmen, tauchte Kristensen in der Nähe des blauen A4 auf.

Mattias Ekström kämpfte allein auf weiter Flur, Foto: Sutton
Mattias Ekström kämpfte allein auf weiter Flur, Foto: Sutton

Während Ekströms eigener Patzer in Form eines abgewürgten Motors beim ersten Boxenstopp angesichts der folgenreichen Berührung mit Green, eines missglückten zweiten Boxenstopps sowie eines nach eigenen Angaben schlechten dritten Reifensatzes kaum noch ins Gewicht fiel, waren seine Markenkollegen ihres eigenen Peches Schmied: Martin Tomczyk und Allan McNish enttäuschten in ihren aktuellen A4 DTM erneut mit dem Verpassen der Super Pole und wussten auch im Rennen nicht wesentlich mehr zu überzeugen. In Joest-Reihen agierte man nicht viel glücklicher: Pierre Kaffer beendete sein Rennen im Kiesbett, Christian Abt scheiterte an der Verwicklung in den zitierten Crash mit Frentzen, Rinaldo Capellos nässebedingter Elektronikschaden konnte nicht als Ende einer Triumphfahrt bezeichnet werden. Lediglich Frank Stippler wusste im Vorjahres-A4 über das ganze Wochenende hinweg zu überzeugen. Das zweifelsohne vorhandene Potenzial im Audi-Fahrerkader wurde in der Türkei bei weitem nicht ausgeschöpft.

Sternenklare Nacht für Ingolstädter und Rüsselsheimer

In Folge des Nahkampfes der beiden Titelkontrahenten auf dem EuroSpeedway sowie bei Betrachtung des Meisterschaftsstandes hatte sich die DTM bereits genüsslich auf ein spannendes Saisonfinale eingestellt - und wurde eines Besseren belehrt: Mit einer Dominanz, wie man sie von Mercedes zuletzt in den Jahren 2001 und 2003 zu Gesicht bekam, gewannen die Stuttgarter nahezu alles, was es zu gewinnen gab. Der Istanbul Speedpark schien der C-Klasse wie auf den Karbonfaserleib geschnitten; hinzu gesellte sich eine effektive Set-up-Arbeit von Fahrern und Ingenieuren, deren Auswirkungen Opel-Pilot Laurent Aiello wie folgt beschreibt: "Es war recht schwierig, die Mercedes-Autos zu überholen. Sie waren auf der Geraden unglaublich schnell." So gelang es Mercedes, die Topspeedstärke der C-Klasse voll auszunutzen, ohne dabei auf den kurvigen Streckenteilen Konkurrenz fürchten zu müssen.

Es ist vollbracht: Das beste Mercedes-Saisonergebnis, Foto: Sutton
Es ist vollbracht: Das beste Mercedes-Saisonergebnis, Foto: Sutton

Eine Konkurrenz, die sich hinsichtlich ihrer Performance nicht sonderlich voneinander unterschied. Opel-Sportchef Volker Strycek, nach den jüngsten Erfolgen von drei Punkten aus einem sechsten Platz Aiellos nicht sonderlich angetan, bestätigt: "Mehr war leider nicht drin. Mercedes-Benz war im Rennen viel schneller. Gegenüber Audi waren wir wettbewerbsfähig." So konnte man weder bei Audi noch bei Opel eine für das eigene Lager rabenschwarze Nacht mit leuchtenden Mercedes-Sternen am Himmel nicht verhindern, fragte man doch die Piloten nach Handlingproblemen und sonstigem mit guter Abstimmungsarbeit zu beseitigendem Ungemach vergeblich. Warum Audi A4 DTM und Opel Vectra GTS V8 derart weit hinter den bislang gezeigten Ergebnissen zurückblieben, wird wohl ein Geheimnis des Speedparks bleiben...

Glänzende Sterne in der Abendröte

Die DTM-Saison 2005 neigt sich ihrem Ende zu; die Abendröte der Meisterschaft wird durch den jüngsten Mercedes-Triumph von silbernen Sternen überstrahlt. Zwar wird die neue DTM erst zum zweiten Mal nach 2003 ein Saisonfinale erleben, an dessen Ende der Meister gekürt wird. Anders als vor zwei Jahren jedoch, als sich sowohl Bernd Schneider als auch Christijan Albers berechtigte Hoffnungen auf die Meisterschaft machen durften, erscheint jedoch eine Fortsetzung des Paffett-Triumphes unausweichlich, der bereits in Istanbul mit dem vorzeitigen Gewinn der Teamwertung durch seine DaimlerChrysler Bank AMG-Mercedes-Mannschaft eingeleitet wurde.

Ein Bild, das auch für Hockenheim unausweichlich scheint, Foto: Sutton
Ein Bild, das auch für Hockenheim unausweichlich scheint, Foto: Sutton

Sollte Gary Paffett nicht zum ersten Mal in dieser Saison daran scheitern, in die Punkteränge zu gelangen, verhülfe Mattias Ekström selbst ein Sieg in Hockenheim nicht zur Titelverteidigung. Kaum anders das Bild in der Markenmeisterschaft: Nach dem Audi-Desaster im Speedpark wurde für die Ingolstädter aus einem 16 Punkte betragenden Vorsprung ein Rückstand von zwölf Zählern. Ob sich das Blatt für Audi ausgerechnet in Hockenheim, wo man zuletzt beim Saisoneinstand des Abt-Meisterschaftsjahres 2002 einen Sieg feierte, wenden kann, erscheint mehr als nur fraglich. Statt eines Tauschs der Istanbul-Rollen zwischen, dessen es für Audi zur Titelverteidigung bedürfte, kommt es zwischen Audi und Mercedes somit wohl vielmehr zum Tausch der letztjährigen Meisterschaftsränge...