Der Große Preis von Belgien 2021 in Spa-Francorchamps geht nicht nur als das kürzeste, sondern auch als eines der kontroversesten 'Rennen' in die Geschichtsbücher der Formel 1 ein. Der regnerische Sonntag auf dem Ardennenkurs verkam zu einer echten Farce, als die Rennleitung nach stundenlanger Unterbrechung alle Autos für zwei Runden hinter dem Safety Car herdackeln ließ und dafür auch noch halbe WM-Punkte verteilte.

Ein in der Formel 1 einzigartiger Vorgang, nicht aber im Motorsport: Ein ähnliches Szenario erlebte die DTM fast auf den Tag genau vor 21 Jahren! Am 03. September 2000 fiel die Rennpremiere der in jenem Jahr zurückgekehrten Tourenwagenserie auf dem neu erbauten Lausitzring wortwörtlich ins Wasser. Strömender Regen sorgte aus Sicherheitsgründen für eine Absage der Saisonrennen Nummer elf und zwölf auf dem EuroSpeedway in der Lausitz - ein Novum für die seit 1984 ausgetragene DTM.

Ein geschichtsträchtiger Vorgang, der den damals Beteiligten noch heute gut im Gedächtnis verankert ist. So auch bei Roland Bruynseraede, früherer DTM- und Formel-1-Renndirektor und heutiger Streckeninspekteur sowie Sicherheitsdelegierter des Automobil-Weltverbandes FIA, der die Geschehnisse in Spa-Francorchamps genau verfolgt hat.

Saison 2000: Rückkehr der DTM in neuem Gewand, Foto: Sutton
Saison 2000: Rückkehr der DTM in neuem Gewand, Foto: Sutton

Bruynseraede über Adelaide 1991: Keine Kritik

"Ich habe mich am vergangenen Sonntag unwillkürlich an zwei Rennen erinnert, in denen ich als Renndirektor auch vor einer schwierigen Entscheidung stand", sagt Bruynseraede im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Das war 1991 in Adelaide beim Saisonfinale der Formel 1 erstmals der Fall. Das Rennen wurde bei Regen gestartet, nach 16 Runden aber aus Sicherheitsgründen wegen Aquaplaning abgebrochen. Es gab eine Wertung nach 14 Runden und halbe Punkte - aber keine Kritik!"

Knapp 20 Jahre später beim DTM-Lauf auf dem Lausitzring war daran angesichts der Bedingungen überhaupt nicht zu denken. Wegen sintflutartiger Regenfälle fuhr im ersten Rennen das Teilnehmerfeld zunächst zwei Runden hinter dem Safety Car her - auch in der Hoffnung auf Wetterbesserung. Da dies jedoch nicht der Fall war, entschloss sich die Rennleitung noch vor der Startfreigabe zum Abbruch.

Der damalige DTM-Rennleiter Roland Bruynseraede 2006 mit Mattias Ekström, Foto: LAT Images
Der damalige DTM-Rennleiter Roland Bruynseraede 2006 mit Mattias Ekström, Foto: LAT Images

Bruynseraede: Fahrer spielten entscheidende Rolle

Vergeblich hofften die Verantwortlichen danach auf eine Wetterbesserung, um wenigstens das zweite Rennen zu starten. Doch diese Hoffnungen erfüllten sich nicht, um 15:50 Uhr verkündete Rennleiter Bruynseraede das endgültige Aus für das sechste Rennwochenende der Saison.

"Beim DTM-Rennen auf dem EuroSpeedway Lausitz war die Situation ähnlich", erinnert sich Bruynseraede heute. "Starkregen hatte auf der neuen Rennstrecke dafür gesorgt, dass das Wasser nicht richtig ablief. Der noch neue, ölige Asphalt hat sein Übriges getan. Wie in Adelaide haben auch bei dem DTM-Event die Fahrer eine entscheidende Rolle gespielt. Sie haben in beiden Fällen nämlich klar und deutlich signalisiert, dass das Rennen nicht fortgesetzt werden, bzw. aus Sicherheitsgründen erst gar nicht gestartet werden kann. Es sei viel zu gefährlich."

Mercedes, Opel und Abt-Audi gingen 2000 in der DTM an den Start, Foto: Sutton
Mercedes, Opel und Abt-Audi gingen 2000 in der DTM an den Start, Foto: Sutton

Reuter: Die Vernunft hat gesiegt

Trotz zum Teil wütender Pfiffe von den Tribünen aus den Mündern der 42.000 Zuschauer - an allen drei Tagen waren 79.000 Fans in die Lausitz gereist - herrschte unter den damaligen Fahrern und heutigen Tourenwagen-Ikonen Einigkeit. "Die Vernunft hat gesiegt, das muss jeder einsehen, auch der Fan. Selbst bei langsamer Fahrt haben die Räder durchgedreht", betonte damals Opel-Werksfahrer Manuel Reuter als einer der Fahrersprecher.

Der damalige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug erklärte die Situation und hatte Verständnis für die Reaktionen auf den Rängen: "Ich kann die Pfiffe der Fans natürlich verstehen, die können allerdings unsere Entscheidung überhaupt nicht beeinflussen. Wenn es halbwegs gegangen wäre, wären wir auch gefahren. Aber wir können nicht die Gesundheit unserer Fahrer riskieren, das wäre verantwortungslos. Wenn sie sagen, dass sie schon bei Tempo 60 ins Schwimmen kommen, verdeutlicht das den Ernst der Lage."

Rennleiter Bruynseraede zog das Feedback von Fahrern wie Bernd Schneider oder Klaus Ludwig damals in seine Entscheidungsfindung mit ein - ein richtiges Vorgehen, wie er fast 21 Jahre später noch einmal bekräftigt: "Ich wäre doch verrückt gewesen, wenn ich diese Hinweise ignoriert hätte. In meiner Funktion habe ich selten so viel Lob erhalten, wie nach diesen beiden Veranstaltungen."

Die DTM kehrte drei Jahre nach dem Ende der ITC-Ära zurück aufs Renn-Parkett, Foto: Sutton
Die DTM kehrte drei Jahre nach dem Ende der ITC-Ära zurück aufs Renn-Parkett, Foto: Sutton

Tickets als Entschädigung für Fans

Was im Hier und Jetzt der amtierende Forme-1-Weltmeister Lewis Hamilton forderte ("Ich hoffe wirklich, dass die Fans ihr Geld zurückbekommen."), spielte auch damals bei der DTM eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ob die Eintrittspreise eventuell zurückbezahlt werden oder es eine sonstige Entschädigung gibt, stand am Sonntag nach den beiden abgesagten Rennen in der Lausitz nicht fest.

Während sich die Organisatoren des Grand Prix von Belgien in Abstimmung mit der Formel 1 mit einigen Tagen Verzögerung angekündigt haben, sich um eine Entschädigung für die Zuschauer bemühen zu wollen, erwartete die DTM-Besucher innerhalb kurzer Zeit zumindest eine kleine Entschädigung: Die für die DTM-Veranstaltung erworbenen Eintrittskarten behielten ihre Gültigkeit für das ADAC-Avus-Classicrennen 14 Tage später auf dem Lausitzring...