Über 600 und damit rund 100 PS mehr als die bisherigen V8-Sauger sowie angeblich 300 km/h Höchstgeschwindigkeit: Die theoretischen Leistungsdaten der neuen Turbo-Rennwagen für die DTM-Saison 2019 klingen durchaus beeindruckend. "Die Rundenzeiten werden je nach Strecke zwei oder drei Sekunden schneller sein als bisher", wurde der frühere DTM-Champion Mike Rockenfeller jüngst in einer Pressemitteilung von Audi zitiert.
Die DTM samt ihrer Hersteller rührt seit Monaten die Werbetrommel für die neuen Autos, die ab 2019 mit Turbo-Aufladung und vier statt acht Zylindern aufwarten. Doch können die 'Neuen' auch halten, was bis jetzt versprochen wurde?
Motorsport-Magazin.com liegen exklusiv Daten von den letzten Testfahrten in Jerez vom 10. bis 12. Dezember 2018 vor, die eigentlich nicht an die Öffentlichkeit hätten gelangen sollen. Da auf der spanischen Rennstrecke sowohl die Turbo-Autos als auch ihre V8-Vorgänger gleichzeitig ihre Runden drehten, lässt sich ein erster Direktvergleich ziehen.
Turbo-Auto nur 1,587 Sekunden schneller
Nico Müller erzielte die schnellste Rundenzeit aller Fahrer mit einem Turbo-Audi RS 5 in 1:32.428 Minuten (172,467 km/h). Die beste Rundenzeit eines DTM-Autos mit V8-Motor auf der 4,428 Kilometer langen Strecke ging auf das Konto von Audi-Markenkollege Jamie Green. Der Brite benötigte 1:34.015 Minuten (169,556 km/h). für seine beste Runde. Damit war Green lediglich 1,587 Sekunden langsamer als Müller im Turbo-Auto.
Müller, der mit Rockenfeller die Testarbeit im Audi RS 5 Turbo erledigte, legte am letzten der drei Testtage in Jerez 118 Runden zurück, Young-Driver-Referenzfahrer Green dagegen nur 31 Umläufe. Mit Blick auf Rundenzeiten von früheren Testfahrten, wie dem Young Driver Test (zuletzt) 2016 an gleicher Stelle, lässt sich belegen, dass Green durchaus schnell unterwegs war.
Zeitenvergleich: Testfahrten Jerez
Schnellste Turbo-Fahrer, schnellster Referenzfahrer, schnellster Young Driver
Fahrer | Auto | Bestzeit | theor. Bestzeit | Topspeed |
---|---|---|---|---|
Nico Müller | Audi-Turbo | 1:32,428 | 1:32,391 | 256 km/h |
Mike Rockenfeller | Audi-Turbo | 1:32,678 | 1:32,496 | 257 km/h |
Bruno Spengler | BMW-Turbo | 1:33,025 | 1:33,011 | 256 km/h |
Jamie Green | Audi-V8 | 1:34,015 | 1:33,856 | 238 km/h |
Jonathan Aberdein | Audi-V8 | 1:34,842 | 1:34,842 | 238 km/h |
Turbos mit voller Leistung unterwegs?
Das führt zu der interessanten Frage, ob die Turbo-Prototypen beim Test wirklich schon mit voller Leistung unterwegs waren. Ein Zeitunterschied von rund eineinhalb Sekunden klingt zunächst einmal nicht allzu spektakulär, wenn man den brandneuen Motor mit einem Aggregat vergleicht, das seit dem Jahr 2000 durchweg in der DTM zum Einsatz gekommen ist - und der angeblich rund 100 PS mehr leisten soll.
Auch das Brechen der von Euphorikern vermuteten Topspeed-Schallmauer von 300 km/h muss bezweifelt werden. Auf der 600 Meter langen Geraden in Jerez erzielte Rockenfeller nach Informationen von Motorsport-Magazin.com mit 257 km/h den Höchstwert. Beim vorangegangenen ersten Turbo-Test in Estoril soll das schnellste Turbo-Auto auf der 985 Meter langen Geraden mit 292 km/h gemessen worden sein.
Zum Vergleich: Die langgezogene, ultraschnelle Parabolika-Linkskurve auf dem Hockenheimring gilt mit rund 1.000 Metern Länge als schnellster Streckenteil im DTM-Rennkalender. Hier erzielte der 2012er Champion Bruno Spengler beim Saisonfinale 2018 in Hockenheim im BMW M4 DTM V8 den höchsten Topspeed mit 274 km/h...
Finale Ausbaustufe noch nicht erreicht
Die finale Ausbaustufe mit den 2019er Turbo-Boliden ist noch nicht erreicht, wie BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com erklärt: "Für Jerez hatten wir schon einen guten Schritt gemacht. Bis zum nächsten Test im neuen Jahr gibt's einen weiteren Schritt. Der Turbomotor ist ein komplett anderes Gesamtpaket. Auf dem Prüfstand kann man zwar schon viel vorbereiten, aber wie sich das Auto mit Kühlbalance und Co. verhält, da muss man feintunen. Da sind wir dabei."
Wie schon so oft wollen sich die Hersteller bei den Testfahrten nicht in die Karten schauen lassen. Unabhängig davon spielt die Haltbarkeit der Turbo-Motoren eine gewichtige Rolle. Die angepriesene Leistung von 'rund 600 PS' (ursprünglich war sogar von 620 PS die Rede) könnte eher theoretischer Natur sein, sofern die Standfestigkeit der aufgeladenen Motoren ein wesentlicher Faktor in der Saison 2019 werden sollte. Als Faustregel gilt: Je länger ein Motor halten muss, desto mehr wird dessen Leistung beschnitten. Beim Turbo wäre dies etwa durch einen geringeren Ladedruck möglich, was sich effektiv jedoch auf die Leistung auswirkt.

Wie viele Motoren gibt es?
Noch ist nicht offiziell bekannt, wie viele Motoren jeder Marke in der kommenden Saison zur Verfügung stehen. 2018 durften Audi, BMW und Mercedes an den zehn Rennwochenenden acht statt wie 2017 (wegen neun Events) sieben Motoren für die jeweils sechs Autos, die zudem straffrei untereinander getauscht werden konnten, nutzen. Auch 2019 stehen wieder zehn Veranstaltungen, neun DTM- und das Japan-Event, mit insgesamt 20 Rennen auf dem Programm.
Nach aktuellem Stand gehen die nächsten privaten Testfahrten Anfang März erneut in Jerez über die Bühne. Mitte April findet der offizielle ITR-Test auf dem Lausitzring statt. Nur zwei Wochen später wissen wir nach dem Saisonstart der DTM in Hockenheim (3.-5. Mai) endgültig, wer seine Hausaufgaben am besten erledigt hat...
DTM-Tests Jerez - Rundenzeiten aller Tage kumuliert
P. | Fahrer | Fahrzeug | Zeit | Runden | KM |
---|---|---|---|---|---|
1 | Nico Müller | Audi RS 5 DTM (Turbo) | 1:32,428 Minuten | 118 | 522,504 |
2 | Mike Rockenfeller | Audi RS 5 DTM (Turbo) | 1:32,678 Minuten | 211 | 934,308 |
3 | Bruno Spengler | BMW M4 DTM (Turbo) | 1:33,025 Minuten | 246 | 1089,288 |
4 | Jamie Green (RF) | Audi RS 5 DTM (V8) | 1:34,015 Minuten | 31 | 137,268 |
5 | Jonathan Aberdein | Audi RS 5 DTM (V8) | 1:34,842 Minuten | 220 | 974,16 |
6 | Sheldon van der Linde | BMW M4 DTM (V8) | 1:34,870 Minuten | 42 | 185,976 |
7 | Nick Yelloly | BMW M4 DTM (V8) | 1:34,923 Minuten | 72 | 318,816 |
8 | Philipp Eng (RF) | BMW M4 DTM (V8) | 1:35,033 Minuten | 29 | 128,412 |
9 | Sergei Sirotkin | Audi RS 5 DTM (V8) | 1:35,103 Minuten | 91 | 402,948 |
10 | Ferdinand Habsburg | Mercedes-AMG C 63 DTM (V8) | 1:35,110 Minuten | 165 | 730,62 |
11 | Frederic Vervisch | Audi RS 5 DTM (V8) | 1:35,152 Minuten | 47 | 208,116 |
12 | Daniel Juncadella (RF) | Mercedes-AMG C 63 DTM (V8) | 1:35,239 Minuten | 31 | 137,268 |
13 | Mikkel Jensen | BMW M4 DTM (V8) | 1:35,272 Minuten | 67 | 296,676 |
14 | Jake Hughes | Mercedes-AMG C 63 DTM (V8) | 1:35,508 Minuten | 55 | 243,54 |
15 | Benoit Treluyer | Audi RS 5 DTM (V8) | 1:35,534 Minuten | 134 | 593,352 |
16 | Thomas Preining | Mercedes-AMG C 63 DTM (V8) | 1:35,860 Minuten | 78 | 345,384 |
17 | Sacha Fenestraz | Audi RS 5 DTM (V8) | 1:35,959 Minuten | 57 | 252,396 |
18 | Marco Wittmann | BMW M4 DTM (Turbo) | 1:36,258 Minuten | 36 | 159,408 |
19 | Nick Catsburg | BMW M4 DTM (V8) | 1:36,290 Minuten | 57 | 252,396 |
20 | Jake Dennis | Mercedes-AMG C 63 DTM (V8) | 1:36,431 Minuten | 45 | 199,26 |
21 | Andreas Bakkerud | Audi RS 5 DTM (V8) | 1:36,878 Minuten | 59 | 261,252 |
RF: Referenzfahrer für Young Driver
1 Runde = 4,428 Kilometer
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