In einem Rennen, in dem der Gesamtsieger zum dritten Mal in Folge bereits vor dem Beginn feststand, drehten die eigentlichen Stars noch vor dem Erlischen der Startampel ihre Runden auf dem Circuit de la Sarthe. Der zweifache Le-Mans-Gewinner Alex Wurz in einem Toyota-Konzeptfahrzeug und Group-PSA-Chef Carlos Tavares, der den ikonischen Peugeot 908 LMP1 pilotierte, verkörperten die Hoffnung auf ein besseres Le Mans.

Eines, das wieder den Status des wichtigsten Autorennens der Welt einnehmen soll und eines, in dem nicht Toyota den Alleinunterhalter in der Top-Kategorie gibt. Unter den wachsamen Augen eines metallischen Löwen in der Dunlop-Schikane läuteten Wurz und Tavares mit ihren Ehrenrunden nicht nur den Abschied der LMP1-Ära, sondern auch den Beginn des neuen Hypercar-Zeitalters bei den 24 Stunden von Le Mans ein.

Beide Autobauer haben angekündigt, Hypercars unter dem neuen Technischen Reglement der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft ins Feld zu führen. Während die Japaner schon 2021 mit einem Hybrid-Hypercar auf Basis des künftigen Straßenautos GR Super Sport einsteigen und den Boliden im Januar kommenden Jahres präsentieren, kehrt Peugeot nicht vor 2022 zurück nach Le Mans. Flankiert werden die beiden Hersteller von den Privatiers ByKolles und Glickenhaus, die ebenfalls den Bau von Hypercars für 2021 angekündigt haben.

Heckansicht des noch geheimen Toyota-Hypercar für 2021, Foto: Toyota
Heckansicht des noch geheimen Toyota-Hypercar für 2021, Foto: Toyota

Dabei kann bei äußerer Betrachtung leicht der Eindruck entstehen, dass die 2018 vom ACO und der FIA initiierten Hypercars - wahlweise mit reinem Verbrennungsmotor wie bei Kolles und Glickenhaus oder Hybridsystem und Allradantrieb - nur schmuckes Beiwerk in einem größeren Gesamtbild sind. Der eigentliche Hoffnungsträger hört auf den Namen LMDh, oder auch: Le Mans Daytona hybrid.

Diese vom Automobile Club de l'Ouest (ACO) und der US-amerikanischen IMSA gemeinsam ausgearbeitete Formel verfolgt das Ziel, globale Autohersteller unter einem Dach zu vereinigen und ihnen die Möglichkeit zu geben, kostengünstig Rennen sowohl in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC als auch in der IMSA-Rennserie zu bestreiten.

Nicht umsonst nahm die Präsentation der letzten Regeldetails bei der traditionellen Pressekonferenz am Rande der diesjährigen 24 Stunden von Le Mans einen Großteil des Programmes ein. Nur Mainstream-Autohersteller sollen die LMDh-Boliden, die über Chassis von Dallara, Ligier, Multimatic oder Oreca sowie ein einheitliches Hybridsystem von Bosch und Williams verfügen, entwickeln dürfen. Noch immer steht nicht offiziell fest, wann die LMDh ihr Renndebüt geben werden, wegen der Corona-Krise soll es wohl erst Anfang 2023 beim 24-Stunden-Rennen von Daytona vollumfänglich losgehen.

Alex Wurz am Steuer des Toyota-Demoautos in Le Mans, Foto: Toyota
Alex Wurz am Steuer des Toyota-Demoautos in Le Mans, Foto: Toyota

Damit LMDh und LMH (Le Mans Hypercar) mittels einer Balance of Performance in der künftigen Top-Kategorie unter dem Namen 'Hypercar' auf gleichem Niveau in Wettbewerb treten können, wurden die Leistungsdaten der Hypercars immer weiter beschnitten. Von den einst angepeilten 950 PS ist schon lange keine Rede mehr. Die Autos sollen stattdessen maximal 500 kW respektive 680 PS leisten dürfen und damit ähnlich schnell sein wie die LMDh-Geschwister mit ihren Einheits-Hybridsystemen.

Verlockend klingt vor allem das an den LMDh angeheftete Preisschild. Die Verantwortlichen haben ausgerechnet, dass ein solches Auto ohne Motor rund eine Million Euro kosten soll. Der Fahrzeugrahmen ohne Bodywork, Motor und Hybridsystem soll mit 3450.000 Euro zu Buche schlagen, während die Hybrid-Einheit mit weniger als 300.000 Euro pro Auto und Saison veranschlagt wird.

Ausgaben, die sich angesichts der wirtschaftlich herausfordernden Zeiten vermutlich bei den jeweiligen Vorständen durchdrücken lassen vor dem Anreiz, die Autos bei den weltweit wichtigsten Langstreckenrennen einsetzen zu können. Wie viel auf der Gegenseite der Bau eines Hypercars kostet, bleibt unklar. Bei der ursprünglichen Verkündung der neuen Klasse wurde ein Maximalwert von 25 Millionen Euro für ein Team mit zwei Fahrzeugen festgesetzt. Inzwischen heißt es seitens der Serien-Verantwortlichen nur noch: Hohe Ausgaben werden keinen Performance-Vorteil mit sich bringen.

Peugeot kehrt auf die Langstrecke zurück, Foto: Peugeot
Peugeot kehrt auf die Langstrecke zurück, Foto: Peugeot

Während sich bei den Hypercars mit Toyota, ByKolles, Glickenhaus und Nachzügler Peugeot zumindest ein konkretes Bild des Starterfeldes abzeichnet, bleibt es bei den LMDh nebulös. Fakt ist: Bislang hat sich kein Autohersteller eindeutig zur neuen Formel bekannt. Die Hoffnungen ruhen weiter auf Motorsport-Leuchtturm Porsche, dessen Vorstand zumindest eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben hat. Es dürfte auch kein Zufall gewesen sein, dass LMDh-Zeichnungen während der ACO/IMSA-Präsentation in Le Mans eindeutig erkennbar eine Porsche-Silhouette trugen.

Ferrari wäre das zweite Zugpferd, um die Werbetrommel richtig ans Laufen zu bringen. Die Italiener liebäugeln mit einer Rückkehr in die Top-Klasse von Le Mans, der letzte der neun Gesamtsiege datiert aus dem Jahr 1965. Mit der Idee eines von extern angefertigten Chassis konnte sich Ferrari bislang allerdings nicht anfreunden. Bis zum Ende dieses Jahres will Maranello laut GT-Leiter Antonello Coletta eine Entscheidung treffen.

"Alle sind zuversichtlich, dass nach der Vorstellung des finalen Regelwerks mehr Namen auf den Tisch kommen", sagte der neue IMSA-Präsident John Doonan in Le Mans, ohne konkrete Namen nennen zu wollen oder zu können. "Wir blicken in eine vielversprechende Zukunft und das sind sehr gute Nachrichten in diesem schwierigen globalen Kontext." Das Interesse von mehr als einem Dutzend Hersteller sei nach dem Schulterschluss zwischen ACO und IMSA wichtig gewesen, um den Prozess fortzusetzen.

Spektakuläre Grafik: Das ByKolles-Hypercar für 2021, Foto: ByKolles
Spektakuläre Grafik: Das ByKolles-Hypercar für 2021, Foto: ByKolles

Positive Signale bezüglich LMDh kommen aus Amerika, wo die neue Formel ab 2022 die aktuellen DPi-Autos ablösen wird. Honda-Ableger Acura - künftig mit Wayne Taylor Racing - arbeitet bereits an einem Nachfolger des aktuellen Daytona-Prototypen. Mazda dürfte ebenfalls weiter an Bord bleiben mit der Verlockung, die Autos sowohl in Daytona als auch Le Mans einsetzen zu können. Fragezeichen gibt es bei Cadillac, das angekündigt hat, seine Straßenflotte bis 2030 auf elektrische Antriebe umzurüsten.

Peugeot hat sich unterdessen final und wenig überraschend für ein Hypercar und gegen den Bau eines LMDh-Boliden entschieden. Die offenbar erheblichen Mehrkosten geben den Franzosen zumindest die Freiheit, das Chassis komplett nach eigenen Designwünschen zu gestalten und mit dem Allradantrieb sowie Hybridsystem an der Vorderachse Bezug zur Serienproduktion zu nehmen.

Vorgeschmack von Peugeot auf das künftige Hypercar in Le Mans, Foto: Peugeot
Vorgeschmack von Peugeot auf das künftige Hypercar in Le Mans, Foto: Peugeot

Toyota hatte schon länger angekündigt, dass ein eigenes Hybridsystem die Voraussetzung für den Bau eines Hypercars war. Dabei darf der Zusatzantrieb an der Front nicht mehr als 200 kW betragen und elektrisches Drehmoment erst ab einer Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h auf Slick-Reifen oder alternativ auf direktem Weg in die Boxengasse abgegeben werden.

ByKolles und die Truppe um Investor James Glickenhaus verzichten unterdessen auf die Möglichkeit elektrischer Energierückgewinnung und setzen zugunsten des Gesamtgewichts voll auf Verbrenner-Power. Das im bayerischen Greding gefertigte Kolles-Hypercar mit dem Namen 'PMC Project LMH' verfügt über einen 700 PS starken V8-Motor bei einem eingestuften Gewicht von 1.040 Kilogramm. Parallel dazu bietet ByKolles Straßenautos auf dieser Basis mit Hybridantrieb und einer Systemleistung von rund 1.000 PS an. Die Scuderia Cameron Glickenhaus sprach in seiner letzten Version des SCG 007 Hypercars von einem V6-Aggregat und 840 PS bei einem Gewicht von 1.100 Kilo.

Glickenhaus baut ebenfalls ein eigenes Hypercar für die WEC und Le Mans, Foto: Scuderia Cameron Glickenhaus
Glickenhaus baut ebenfalls ein eigenes Hypercar für die WEC und Le Mans, Foto: Scuderia Cameron Glickenhaus

Als wäre das alles noch nicht genug, stiftet Renault-Tochter Alpine in Zusammenarbeit mit Signatech noch ein wenig mehr Verwirrung. Die bisherige LMP2-Kombo steigt 2021 auf und startet mit eingekauften LMP1-Boliden von Aussteiger Rebellion in der Topklasse. Auch hier muss die Balance of Performance zum Einsatz kommen, um eine Vergleichbarkeit der alten Autos mit den neuen Hypercars zu schaffen.

Die Serienmacher bezeichnen diesen Kompromiss als Übergangslösung in der Hoffnung, dass Alpine - unter diesem Namen startet Renault künftig auch in der Formel 1 - längerfristig auf der Langstrecke bleibt. "Es ist wichtig, dass Marken aus der Automobilbranche kommen und Alpine hat sogar schon in Le Mans gewonnen", blickte FIA-Langstreckenchef Richard Mille auf den Gesamtsieg des Renault Alpine A44 im Jahr 1978 zurück.

Passend dazu der Rennkalender 2021 der WEC-Langstrecken-Weltmeisterschaft, bestehend aus nur sechs Rennen, angepriesen als "Übergangs-Saison" und wegen Corona alles andere als stabil. Rufen bei all diesen Kompromissen, Änderungen, Übergängen und dem äußerst eng gestrickten Zeitrahmen am Ende wirklich Alle unisono: 'Hyper, Hyper, Hurra'?

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