Fast fünf Wochen sind vergangen, als Toyota den sicher geglaubten Sieg bei den legendären 24 Stunden von Le Mans buchstäblich in letzter Minute verlor. Bittere Tränen flossen, die Konkurrenz spendete Trost. Der Sieg aber ging an Porsche. Marc Lieb, Neel Jani und Romain Dumas setzten sich in der WM-Wertung mit dem Triumph an der Sarthe deutlich ab. Ihr Vorsprung beträgt nun bereits 39 Punkte. Nun gastiert die Langstrecken-Weltmeisterschaft am Nürburgring, wo Porsche im vergangenen Jahr ebenfalls siegte. Doch beim Gastspiel in Deutschland will auch Audi glänzen. Und die Basis von Toyota in Köln ist ebenfalls nicht weit weg.

LMP1-Rückblick: Die 24 Stunden von Le Mans

Der Moment der Entscheidung: Marc Lieb überholt Kazuki Nakajima, Foto: Toyota
Der Moment der Entscheidung: Marc Lieb überholt Kazuki Nakajima, Foto: Toyota

Alles schien angerichtet für den ersten Sieg Toyotas bei den 24 Stunden von Le Mans. Fünf Minuten vor Rennende lag die #5 mit Anthony Davidson, Kazuki Nakajima und Sebastien Buemi komfortable 50 Sekunden in Führung, als Nakajima plötzlich Leistungsverlust meldete. Der Porsche flog heran und übernahm ziemlich genau auf der Start/Zielgeraden mit Beginn der letzten Runde die Führung. Bittere Tränen in der Toyota-Box, die bis dahin einen fehlerfreien Job hingelegt und die Probleme der Konkurrenz ausgenutzt hatten. Den Sieg holte sich der #2-Porsche vor dem zweiten Toyota und dem Audi mit der #8. Da Nakajima die letzte Runde nicht innerhalb der vorgegebenen Maximalzeit absolvierte, fiel der Toyota sogar komplett aus der Wertung.

Toyota vor den 6h vom Nürburgring

Für das Trio Nakajima/Buemi/Davidson war Le Mans die Fortsetzung einer bisher unglücklichen Saison. In allen drei Rennen musste man große technische Probleme hinnehmen, aktuell steht das Trio bei einem mickrigen WM-Punkt. Das Schwesterauto #6 mit Kobayashi/Conway/Sarrazin liegt aktuell auf WM-Rang drei. Nun geht es an den Nürburgring. Das Rennen dort stellt auch für Toyota ein Heimspiel dar. Die Basis des Teams in Köln ist nur etwa eine Autostunde entfernt.

"Nachdem ich den Schmerz von Le Mans hinter mir gelassen habe, bin ich noch motivierter als je zuvor, mich endlich wieder hinter das Lenkrad setzen zu können", so Davidson. "Der Nürburgring ist eine Strecke die ich mag und ich hoffe, dass das Auto dort so konkurrenzfähig sein wird, wie in den vergangenen beiden Rennen", blickt der Brite voraus. Nakajima ergänzt: "Ich weiß, dass viele Kollegen aus Köln das Rennen besuchen werden, daher bin ich hochmotiviert, ihnen ein gutes Resultat zu geben, besonders nach dem, was in Le Mans passiert ist."

Das Trio Sarrazin/Conway/Kobayashi ist noch im WM-Kampf dabei, Foto: Toyota
Das Trio Sarrazin/Conway/Kobayashi ist noch im WM-Kampf dabei, Foto: Toyota

Während die WM für das Trio gelaufen ist, machen sich die Teamkollegen noch Hoffnungen. "Wir sind zurück im Kampf. Unser Ziel ist es nun, Rennen zu gewinnen und um die WM zu kämpfen", stellt Stephane Sarrazin klar. Mike Conway pflichtet ihm bei. "Wir sind mit unserem Auto immer noch im Kampf um die WM dabei. Hoffentlich können wir eine Menge Punkte einfahren und aufholen", so Conway. "Die Atmosphäre am Nürburgring im vergangenen Jahr war großartig und ich hoffe, dass ich einige unserer Fans und Kollegen wiedersehe."

Porsche vor den 6h vom Nürburgring

In der Rolle des Gejagten befindet sich vor dem Nürburgring-Rennen Porsche. Zwar haben auch die Weissacher nur noch einen Boliden im WM-Kampf dabei, doch dieser ist bereits enteilt. Die Le-Mans-Sieger Lieb/Dumas/Jani liegen bereits 39 Punkte an der Spitze der Gesamtwertung, zum Sieg an der Sarthe kamen bislang auch der Erfolg beim Saisonauftakt in Silverstone sowie Rang zwei in Spa hinzu. Eine fast perfekte Bilanz. "Unsere Ausgangslage in der WM ist gut, aber bei noch sechs ausstehenden Sechsstundenrennen ist noch gar nichts gewonnen. Wir haben noch nicht einmal Halbzeit", warnt Jani aber vor zu frühem Enthusiasmus.

Im vergangenen Jahr feierte Porsche am Nürburgring einen Doppelsieg. Doch auch hier gibt sich der Schweizer zurückhaltend. "Ich reise mit hohen Zielen an, aber die Kräfteverhältnisse sind in diesem Jahr anders als 2015. Es geht verdammt eng zu an der Spitze", stellt er klar. Für Marc Lieb ist es auch als Fahrer ein Heimrennen. "Der Nürburgring ist einer meiner Lieblingsorte, um Rennen zu fahren, weil ich persönlich so viel mit dieser Strecke verbinde. Eine Saison ohne ein Rennen am Ring, ist für mich nicht komplett", schwärmt er.

Porsche bringt für das Wochenende am Nürburgring zudem eine aerodynamische Weiterentwicklung an ihre 919 Hybrid. "Bereits in der sehr intensiven Zeit vor und während des Einsatzes in Le Mans hat das Team in Weissach unermüdlich weiterentwickelt und unser drittes Aerodynamikpaket der Saison für viel Abtrieb fertiggestellt", erklärte Teamchef Andreas Seidl. "Nach einem überzeugenden viertägigen Test in Barcelona haben wir uns entschlossen, dieses Paket bereits am Nürburgring einzusetzen. Die Daten und das Feedback von Romain Dumas, Marc Lieb, Brendon Hartley und Mark Webber beim Barcelona-Test waren vielversprechend", so Seidl.

Porsche geht mit einem neuen Aero-Paket am Nürburgring an den Start, Foto: Porsche
Porsche geht mit einem neuen Aero-Paket am Nürburgring an den Start, Foto: Porsche

Audi vor den 6h vom Nürburgring

In Le Mans hatte Audi nichts zu melden im Kampf um den Sieg, beide Autos kämpften frühzeitig mit technischen Problemen. Dennoch brachte der geerbte dritte Platz das Trio Duval/di Grassi/Jarvis auf Rang zwei in der WM und damit in die Rolle des ersten Porsche-Verfolgers. Ein ungewohntes Bild bietet sich dem Zuschauer beim Anblick der Startnummer 7. Das erfolgreiche Trio Fässler/Lotterer/Treluyer wird gesprengt, der Franzose kann nach einem Fahrrad-Unfall Ende Juni am Rennen nicht mitwirken. "Wir wünschen Ben schnelle Genesung und freuen uns darauf, wenn er beim nächsten Lauf in Mexiko wieder mit an Bord sein wird", schickten Fässler und Lotterer nette Worte an ihren Teamkollegen.

Für die beiden ist es auch deshalb ein besonderes Rennen, weil sie zum ersten Mal seit vielen Jahren ohne ihre Renningenieurin Leena Gade auskommen müssen. Nach ihrem letzten Einsatz in Le Mans verließ sie Audi und wechselte konzernintern zu Bentley. Ihr Nachfolger wird Erik Schuivens. Zudem tritt Stefan Dreyer seine neue Stelle als Leiter LMP bei Audi an. Bislang fungierte er im Motorenbereich.

Der Audi mit der #7 tritt nur mit zwei Fahrern an, Foto: Audi
Der Audi mit der #7 tritt nur mit zwei Fahrern an, Foto: Audi

Sportlich blickt man bei Audi einem spannenden Rennen in der Eifel entgegen. "Wenn die bisherigen Saisonläufe ein Maßstab sind, dann darf sich das Publikum am Nürburgring nun auf einen noch spannenderen Wettbewerb als vor einem Jahr freuen", so Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich.

WEC am Nürburgring: Kräfteverhältnis im Vorjahr

Porsche feierte bei der Rückkehr der Sportwagen-WM in die Eifel 2015 einen Doppelsieg. Die späteren Weltmeister Mark Webber/Brendon Hartley/Timo Bernhard gewannen vor dem Schwesterauto. Audi belegte mit seinen beiden Autos die Plätze drei und vier. Toyota war deutlich unterlegen und musste sich als klare Nummer drei mit den Plätzen fünf und sechs zufrieden geben.

Die Aussagen der Verantwortlichen vor den 6h vom Nürburgring

Dr. Wolfgang Ullrich, Motorsportchef Audi: "Wenn die bisherigen Saisonläufe ein Maßstab sind, dann darf sich das Publikum am Nürburgring nun auf einen noch spannenderen Wettbewerb als vor einem Jahr freuen. Wir wünschen uns, dass wir vor vollen Rängen ein Wort im Kampf um die Spitze mitreden können."

Fritz Enzinger, Leiter LMP1 Porsche: "Die Wochen seit dem Herzschlagfinale in Le Mans waren intensiv. Es gab zahlreiche Termine und Veranstaltungen für die Fahrer, unter anderem das Festival of Speed in Goodwood sowie die Weltpremiere des neuen Porsche Panamera. Romain Dumas ist gleich nach dem Le-Mans-Sieg in die USA geflogen und hat in Colorado das berühmte Bergrennen am Pikes Peak gewonnen. Parallel haben wir in Weissach mit Vollgas an der Optimierung des Porsche 919 Hybrid gearbeitet. Unser Ziel für die verbleibenden sechs WM-Läufe ist klar: Wir wollen sowohl den Hersteller- als auch den Fahrertitel verteidigen.

Toshio Sato, Team-Präsident Toyota: "Wir wollen die Enttäuschung von Le Mans hinter uns lassen. Aber zunächst möchte ich meinen Dank ausdrücken an alle Fans, Rivalen und Freunde, die uns so berührende Nachrichten in den letzten Wochen geschrieben haben. Wir werden das nicht vergessen. Als Motorsport-Team wollen wir nun weitermachen und das tun wir mit noch mehr Motivation und Teamgeist. Das Rennen am Nürburgring ist eine tolle Gelegenheit für uns. Es ist auch ein Heimrennen, was bedeutet, dass wir die Unterstützung all unserer Kollegen aus Köln haben werden. Im vergangenen Jahr haben wir ein großartiges Publikum erlebt, daher hoffe ich, dass wir wieder volle Tribünen haben werden. Ich bin sicher, dass wir um den Sieg kämpfen können.